Wesel. . Das Projekt FitKids begleitet die Kinder suchtkranker Eltern. Von klein auf tragen sie eine große Bürde, die sie mit niemandem teilen dürfen.

  • Großer Druck lastet auf den Kindern Suchtkranker – Angst um die Eltern und Angst vor dem Heim
  • Birgit George und ihre Mitstreiter des Vereins Information und Hifle in Drogenfragen greifen ein
  • Sie bieten den Kindern Raum zum Spielen, nehmen ihnen die Verantwortung

Bildung macht neugierig auf mehr. Kleine schulische Erfolge stärken das Selbstbewusstsein. Unterstützung von Zuhause hilft, auch mal Misserfolge zu überwinden. Was aber, wenn im Kopf einer Siebenjährigen kein Platz für Mathe und Englisch ist, weil er übervoll ist? Sorge um die drogenkranken Eltern, Angst, dass das große Geheimnis herauskommt, dass sie dann ins Heim muss? Was, wenn die Mutter unter Drogeneinfluss nicht registriert, ob ihre Tochter überhaupt zur Schule gegangen ist. Wenn das Mädchen zuhause statt der Hausaufgaben die Wäsche erledigt? Und wenn es immer das Gefühl hat, dass das alles allein seine Schuld sein muss.

Wenn Vater immer „auf Montage“ ist...

Birgit George und ihre Mitstreiter sehen die Ausweglosigkeit, in die diese Kinder hineingeboren zu sein scheinen. Sie versuchen, den für kleine Schultern viel zu großen Druck zu lindern, mit den Eltern gemeinsam Chancen zu erarbeiten. George (51) ist ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins „Information und Hilfe in Drogenfragen“, der gemeinsam mit ebenso engagierten hauptamtlichen Fachleuten die Weseler Drogenberatung in der Fluthgrafstraße betreibt. Und der sich mit dem Projekt „FitKids“ um die Kinder süchtiger Eltern kümmert.

„Viele dieser Kinder haben wenig Selbstvertrauen“, sagt Diplom Pädagogin Yvonne Ewecker. Bei den FitKids versuchen sie und Kollegin Sandra Groß einen Raum zu schaffen, in denen die Jungen und Mädchen einmal nicht „anders“ sind, in dem sie offen sprechen können. „Zwei Mädchen haben einander erzählt, der Vater sei auf Montage“, sagt Sandra Groß. Die Männer waren im Gefängnis und die Erleichterung ihrer Töchter groß, als sie herausfanden, dass sie das einander auch sagen können. Es darf ja sonst niemand wissen. „In der Schule geht das nicht.“ Das Jugendamt, dazu da, um zu helfen, wird von den Familien als Feind empfunden und Kinder sind extrem loyal.

Kinder fühlen sich schuldig an der Situation

Bei den FitKids lernen sie, dass sie nicht Schuld an der Situation sind. Den Kleineren reicht es zu wissen, dass „Mama krank ist“. Mit zunehmendem Alter setzten sich die Pädagoginnen mit ihnen über das Thema Sucht auseinander. Das soll verhindern, dass die Kinder selbst zu Drogen greifen, ihr Risiko ist hoch.

„Ohne unseren Vorstand gäbe es das Projekt nicht mehr“, sagt Sandra Groß. Begonnen hat es 1996 mit einer ABM-Kraft, 1998 bis 2000 folgte das Landesprogramm „Mucki“ für Kinder süchtiger Eltern, die Gelder liefen aus. Dann 2005 bis 2008 „FitKids“ von der Stiftung Wohlfahrtspflege. Das Projekt gibt es immer noch. „Unser Vorstand wirbt für uns Spenden ein, an die wir sonst nicht kämen“, sagt Groß. Die Chorgemeinschaft Martini, die Soroptimisten, die Lions, immer mal wieder die Rotarier, um nur einige zu nennen.

Mütter und Väter mit Herz helfen ehrenamtlich

Warum tut jemand so etwas? „Die Kinder bewegen mich“, sagt die zweifache Mutter Birgit George. „Man muss sich mal vor Augen führen, wie sie leben. Dabei sind wir in Wesel, nicht in Berlin-Kreuzberg.“ Kontakt mit den Eltern und den Kindern hat sie nicht, ihre Aufgabe und die ihrer Vorstandskollegen ist eine andere. „Wir werden nicht müde, darüber zu reden“, sagt die 51-Jährige, die sichtlich für diese Sache glüht. Der Vorstand besteht aus Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen. Und er übernimmt große Verantwortung: Löhne und Gehälter zahlen Stadt Wesel und Kreis Wesel.

Das Sonderprojekt FitKids erhält Geld als freiwillige soziale Leistung der Stadt Wesel. Kerngeschäft ist die Drogenberatung unter Leiter Jörg Kons, doch: „Ohne die Beratung hätten wir die Kinder nicht bemerkt“, sagt George. „Ihr Leben beginnt nach der Entbindung mit einem kalten Entzug, manche behalten Beeinträchtigungen zurück.“ Sie und ihre Vorstandskollegen – Klaus Warthuysen, Lioba Nehlsen, Udo Höpken, Christiane Eberhardt, Martina Thielbeer-Clauß und Wilhelm Heidemann – tragen neben der Spendenwerbung auch die Verantwortung für das Geld, „dafür stehen wir gerade“. Was sind das für Leute? Rechtsanwälte, Lehrer, Landschaftsarchitekten, vor allem aber Mütter und Väter mit Herz.

Kinder, die keine Verlässlichkeit erleben

„Mindestens einmal in der Woche sollen die Kinder frei von Verantwortung sein“, sagt George. Sie sollen spielen dürfen. Manche kennen das nicht: Ostereier bemalen, Weihnachtsbaum schmücken. Oder einfach mal Urlaub machen. „Reisen bildet“, sagt die Mutter zweier junger Frauen. „Kinder müssen auch mal etwas anderes sehen.“

Dabei redet sie nicht von Fernreisen, die Gruppe fährt im Sommer eine Woche in die Region. Und die Kinder dürfen mit – anders als bei Schulausflügen, für die das Geld fehlt. Oder schlicht eine Badehose. „Der Junge hatte dann einfach Fieber, es ging nicht“, beschreibt George die Mühe der Eltern, ihre und die Würde ihrer Kinder zu bewahren. „Sie lieben ihre Kinder und wollen das Beste für sie“, sagt sie. Leider stehe ihnen ihre Suchtkrankheit oft im Wege. „Normal ist, dass Erwachsene sich um ein Kind kümmern. Darauf kann es sich verlassen. Diese Kinder kennen keine Verlässlichkeit.“

Hauptamtliche und ehrenamtliche vertrauen einander

Ständig stehen Birgit George und die Mitarbeiter miteinander in Kontakt. „Es ist eine harmonische Zusammenarbeit, geprägt von gegenseitiger Wertschätzung, Anerkennung und Vertrauen.“ Sandra Groß und Yvonne Ewecker sagen: „Wenn wir etwas brauchen, ist der Vorstand für uns da.“

Es gibt Erfolgserlebnisse. Ein Kind, das die Grundschule geschafft hat und jetzt die Gesamtschule besuchen kann. Eine junge Frau, die es mit Hilfe der FitKids in die Altenpflege-Ausbildung und in eine eigene Wohnung geschafft hat. Sie lernt fleißig: Um auf eigenen Beinen zu stehen, muss im Kopf Platz sein. Und das Selbstbewusstsein, dass man es schaffen kann.