Wesel/Hünxe/Voerde. Marode Brücken und überalterte Schleusen: Eine der meist befahrenen Wasserstraßen in Europa ist ein Sanierungsfall für 750 Millionen Euro.
- Die Liste der Mängel ist endlos: Voraussichtlich in zehn bis 15 Jahren werden jede Menge Brücken gesperrt sein
- 24 der Düker – es sind Rohre, die unter dem Kanal hindurch gehen und beispielsweise Bäche führen – sind kaputt
- Es fehlt an Planungspersonal und an fertigen Plänen -- die hätten vor 20 Jahren begonnen werden müssen
„In zehn bis 15 Jahren werden jede Menge Brücken gesperrt sein“, prophezeit Hermann Poppen, Leiter der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes mit Sitz in Meiderich. Der Wesel-Datteln-Kanal gehört zu Deutschlands meist befahrenen Wasserstraßen und steht auch in Europa unter den ersten zehn. Leider ist er ein einziger großer Sanierungsfall, die Verkehrsader könnte täglich den Infarkt erleiden. Dann gingen, rein bildlich gesprochen, im Chemiepark Marl die Lichter aus. Und nicht nur dort. Poppen stellte die Lage jüngst im Umwelt- und Planungsausschuss des Kreises vor. Und er erschreckte die Mitglieder damit gründlich.
„Wir haben 53 Brücken im Programm, 16 davon sind aus Sigma Spannstahl“, erläutert er. Am Wesel-Datteln-Kanal, am Rhein-Herne-Kanal und am Dortmund-Ems-Kanal. In den kommenden 25 Jahren müssen 40 Brücken erneuert werden, sagt Oliver Jaswetz, Brückenspezialist beim WSV. Sigma Spannstahl hat sich als ungeeignet herausgestellt, die Brücken sind Sanierungsfälle. Aber: „Wir können maximal 15 Brücken in zehn Jahren schaffen“, sagt Poppen.
Sorgenkind Voerder Brücke
Neben der Brücke Friedrichsfeld – sie hat die niedrigste Durchfahrthöhe, ist aber ein Fall für die Deutsche Bahn und soll im Zuge der Betuwe erneuert werden – ist die Voerder Brücke eines der großen Sorgenkinder, Baujahr 1957. Poppen nennt sie „abgängig“. Zwar war sie gesperrt und wurde für 600 000 Euro saniert. Doch Poppen meint: „Die haben wir gesund gebetet.“ Das Problem: Die Gehwege sind aus Betonplatten, es bestand Absturzgefahr. „Wir haben Stahlelemente aufgebracht, eine Notreparatur.“
Die Voerder Brücke müsse die WSV selbst sanieren, sie sei kompliziert. Einfachere könne man zur Planung externen Büros anvertrauen. „Wir sind jetzt in einer Notlage.“ Man würde gern zügig anfangen, doch: Der in Frage kommende Ingenieur, ein erfahrener Mann und für die Aufgabe gerüstet, ist gegangen. „Woanders bekommt er mehr Geld“, sagt Poppen. Sein Ziel ist klar: Alle Brücken sollen zusammen mit der Betuwe 2025 fertig sein. Die Voerder Brücke, erläutert Oliver Jaswetz, muss aber warten. „Erst wenn die Deutsche Bahn mit ihren drei neuen Brücken fertig ist, kann sie angegangen werden.“ Fußgänger müssten sonst riesige Umwege in Kauf nehmen.
Sorgenkind Schermbecker Brücke
Und wenn sich die Sanierung der Voerder Brücke als zu schwierig herausstellt? „Im Notfall kann man die einfach abreißen“, sagt Hermann Poppen. Weitere Sorgenkinder sind die Schermbecker und die Gartroper Brücke. Sie müssen am dringendsten saniert werden. Die schlimmste, erläutert Oliver Jaswetz, sei die Gartroper Brücke. Ein Portal soll verhindern, dass zu große und schwere Fahrzeuge sie passieren.
Dabei sind die Brücken nicht das einzige traurige Kapitel. 24 der Düker – es sind Rohre, die unter dem Kanal hindurch gehen und beispielsweise Bäche führen – sind kaputt. Elf weitere müssen zeitnah saniert werden, denn sie gefährden den Kanaldamm. Manche dieser Düker, so Poppen, seien rund 100 Jahre alt.
Liste der Mängel scheint endlos
Erstaunlich eigentlich, dass der Verkehr auf dieser Wasserautobahn noch immer fließt. Das Hochwassersperrtor in Duisburg sei nicht betriebssicher, ein Engpass zudem. Auch über die Schleusen weiß der Behördenchef wenig Gutes zu sagen: Die Tore sind veraltet. Für die Steuerung gibt es keine Ersatzteile mehr, „die stellen kleine polnische Unternehmen eigens für uns her“. Undichte Kammerwände, poröses Material... die Liste der Mängel scheint endlos.
Im vergangenen August geschah, was Eingeweihte befürchtet hatten: An der kleinen Kammer der Hünxer Schleuse sprang an einem Samstag das Tor heraus. Die große Kammer war nicht in Betrieb, die Seile abgeschlagen. Nichts ging mehr. „Ich habe 15 meiner alten Leute herangeholt“, erläutert Poppen das Krisenmanagement. Jeder packte mit an, am Montagvormittag floss der Verkehr wieder. „Sämtliche Lager sind kaputt, die Schleuse wird auf Verschleiß gefahren“, verdeutlicht Poppen, dass so ein Fall jederzeit wieder eintreten kann. Dazu kommen 20 Kilometer Spundwandstrecke, die sofort ausgewechselt werden müssten. Eigentlich.
Fertige Pläne fehlen
Wie kann das sein? 750 Millionen Euro sind notwendig, um die Mängel am Kanal zu beseitigen. „Die bekommen wir, wir können sie aber nicht ausgeben“, verdeutlicht Poppen das Dilemma. Es fehlt an Planungspersonal und an fertigen Plänen in den Schubladen. Die hätten vor 20 Jahren begonnen werden müssen – wurden sie aber nicht. „Diese Situation war Mitte bis Ende der 80er Jahre absehbar“, erläutert er auf Nachfrage, warum über Jahre geschludert worden ist. „Aber die Wiedervereinigung hat neue Probleme aufgebracht.“ Bahn und Straße haben die gleichen Probleme.