Wesel. . LVR-Archäologen haben Reste römischer Marschlager nachgewiesen. Somit ist Wesel Teil des Niedergermanischen Limes – und der hat gute Chancen, 2020 zum Welterbe zu werden.
Brombeergestrüpp, hohe Bäume, lichter Schatten und sanfte Wellen im weichen Boden: Laien können kaum ausmachen, was diese Stelle im Flürener Wald besonders macht. So besonders, dass sie 2020 Teil des Unesco-Welterbes werden soll. LVR-Archäologe Steve Bödecker ist sich sicher: Er steht auf den Wallresten eines römischen Marschlagers. 2012 entdeckte und noch nicht publizierte Spuren beweisen das. Zwar endete das Römische Imperium auf der linken Rheinseite. Doch für ihre Manöver haben sich die Soldaten ins „freie Germanien“ gewagt. Vier Übungslager im Flürener Wald sollen zum Teil des Unesco-Welterbes Niedergermanischer Limes werden, Teil der bestehenden Welterbestätte „Grenzen des Römischen Reichs“.
Fast nebenan fand der ehrenamtliche Bodenarchäologe Peter Bruns ein ungleich größeres Marschlager, dort sind die Wallreste auch für unkundige Augen deutlich zu erkennen. Moritz von Oranien hat die römische Kunst im 17. Jahrhundert bis ins Detail exakt kopiert. Im Zusammenhang mit den guten Radwegen, dem Preußen- und demnächst Niederrhein-Museum auf der einen und Römermuseum Xanten auf der anderen Seite, dazwischen das römische Original und die niederländische Kopie: Es tun sich attraktive Chancen des weichen Tourismus auf, die niemand vorhersehen konnte. Bruns steckt schon voller Ideen.
Was haben die Römer bloß in diesem Wald getrieben? Es waren Manöver, erläutert Bödecker, der für den Welterbe-Antrag zuständig ist. Sie übten also: Fünf Kohorten, somit rund 2500 Soldaten, sollten in dem Marschlager unterkommen. Nur zwei bis drei Stunden hat es gedauert, ein 2,4 Hektar großes Areal aus dem Boden zu stampfen. Ein 1,50 Meter hoher Wall aus Grassoden, davor ein mindestens ebenso tiefer Spitzgraben: Fertig ist ein Zeltplatz für eine Nacht, über den kein noch so entschlossener Germanenfürst „mal eben“ herfallen konnte. Das fasziniert: Drei Stunden Knochenarbeit, deren Ergebnis noch 2000 Jahre später im Flürener Waldboden nachweisbar ist. Genau lassen sich die Reste nicht datieren, irgendwann rund um Christi Geburt bis etwa 200 nach Christi muss es gewesen sein, dass die Männer hier schwitzten. Ein weiteres Lager maß 2,2 ha, dazu gibt es zwei kleinere.
In der Schlacht waren schnell und solide gebaute Marschlager überlebenswichtig: Schnell, weil die Soldaten in der Bauphase sehr angreifbar waren. Und solide, weil das Schlachtfeld nahe lag und der Schutz dringend notwendig war. Mit „Igeln“, zusammengebundenem Dornengestrüpp, vor die Eingänge gezogen, und Schanzpfählen hinderten die Römer ungebetene Besucher am Eindringen.
Dass die Funde tatsächlich römisch sind, erkennt Fachmann Bödecker an der so genannten Spielkartenform: abgerundete Ecken und eine speziell ausgetüftelte Torform, die so nur die Römer gebaut haben. Laserkarten, aus der Luft erstellt, haben die Formen sichtbar gemacht: Der Boden wird vom Flugzeug aus gescannt, Computer rechnen den Bewuchs fort. Übrig bleibt die Struktur des Bodens. „Das ist die schonendste Form, den Wald zu entlauben“, scherzt der Archäologe.
Grenzen des römischen Imperiums
Die Unesco-Welterbestätte „Grenzen des Römischen Imperiums“ ist international. Hadrians- und Antoniuswall in Großbritannien und der Obergermanisch-Raetische Limes in Deutschland haben bereits Welterbestatus. Der Niedergermanische Limes soll folgen. Er ist 385 Kilometer lang von Vinxtbach in Rheinland-Pfalz bis zur Nordseeküste bei Katwijk.
Marschlager wie diese gibt es mehr als hundert. Das besondere an den Flürenern: Sie sind auf der rechten Rheinseite. Weitere gab es bei Bonn, allerdings ohne verbliebene oberirdische Spuren.
Moritz von Oranien baute sein Lager nach römischem Vorbild
Marschlager sind nach der Römerzeit aus der militärischen Mode gekommen, in späteren Jahrhunderten hat man sich diese Mühe nicht mehr gemacht. Erst die Niederländer erkannten mehr 1500 Jahre später die Vorteile dieser römischen Lager und kopierten sie. Peter Bruns, ehrenamtlicher Bodenarchäologe des LVR, hat 2013 die Reste eines mächtigen Heerlagers gefunden. Im Wald, unweit der Stelle, an der die Römer den Bau solcher Lager trainierten. Das niederländische Pendant hat eine Geschichte, die derzeit im Eiskeller Diersfordt in der Ausstellung „20 000 Soldaten und 400 Schiffe vor Wesel“ erzählt wird.
Im Herbst 1620 lag das niederländische Heer unter Prinz Moritz von Oranien vor Wesel, die Stadt war von den Spaniern besetzt. Und zwar im Wald nahe Schloss Diersfordt. Mit großem militärischem Prunk und Paraden wurde der Gesandte Venedigs empfangen, die Schiffe lagen auf dem Rhein und sollten die militärische Macht demonstrieren.
Während im Wald Wälle an die Ausmaße des Lagers erinnern – immerhin waren hier drei Monate lang rund 20 000 Soldaten untergebracht – zeigt die Ausstellung mehr und informiert über die historischen Zusammenhänge. Bis zum 29. Oktober ist sie zu sehen, geöffnet jeweils sonntags von 11 Uhr bis 17 Uhr und nach Vereinbarung.
Informationen über römische Funde gibt Bodenarchäologe Steve Bödecker in einem Vortrag am Mittwoch, 16. November um 19.30 Uhr im Forum an der Ritterstraße.
600 Jahre Weseler Landwehren sind am Mittwoch, 12. Oktober, Thema eines Vortrags von Peter Bruns, 19.30 Uhr im Forum. Auch solche Bauwerke, noch heute zu sehen, gibt es unter anderem im Flürener Wald. „Sie sind alt, wurden aber später noch genutzt“, sagt Bruns. Auch von Moritz von Oranien. Sie, so die Idee des Ehrenamtlers, könnten auch Teil einer touristischen Rad- und Wanderroute werden.