Wesel. . Ernest Kolmann wurde als Ernst Kohlmann im Marienhospital geboren. Er floh und kehrte zurück – seine ehemalige Heimatstadt hat ihn zum Ehrenbürger ernannt.

Ernest Kolman ist der letzte Weseler jüdischen Glaubens. Er ist der einzig verbliebene Zeitzeuge, der über die grausamen Repressalien berichten kann, die die jüdischen Bürger in den 1930er-Jahren in Wesel haben erdulden müssen.

Und er ist ein Mensch, der dies auch tut. Seit fast 30 Jahren kommt er regelmäßig in seine einstige Heimatstadt, die ihm so viel weniger Heimat war, als sie es hätte sein sollen, um mit den Bürgern, vor allem Schülern, in Kontakt zu treten und sich für die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit einzusetzen. Dafür wurde ihm im Rahmen einer Sondersitzung des Stadtrates, die Ehrenbürgerwürde verliehen.

Rund 120 Menschen, Ratsmitglieder und Gäste, waren zu diesem Anlass in den Sitzungssaal gekommen. Zunächst einmal hieß es aber warten, denn jeder einzelne wollte dem zukünftigen Ehrenbürger die Hand geben, bevor der Festakt begann. „Ich fühle mich ja fast wie ein König, bei so vielen Händen, die ich schütteln muss“, freute sich der mittlerweile 90-jährige Kolman, der extra aus England angereist war.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen dann Laudationes auf den Ehrenbürger. Den Anfang machte Bürgermeisterin Ulrike Westkamp, die sich direkt an Kolman richtete.

Transport nach England

Ernest Kolman, 1926 als Ernst Kohlmann im Marienhospital geboren, wohnte mit seinen Eltern und der älteren Schwester in der Sandstraße, später in der Moltkestraße. 1932 wurde er in die jüdische Volksschule am Willibrordiplatz eingeschult, doch zwei Jahre später zog die Familie nach Köln. „Sie glaubten in einer Großstadt als Juden sicherer leben zu können, als in der Kleinstadt Wesel“, erläuterte Westkamp.

Doch die Reichspogromnacht, Ende 1938, zeigte das Ausmaß der Bedrohung im faschistischen Deutschland. So organisierte die jüdische Gemeinde „Kindertransporte“ um die Kinder außer Landes zu bringen. Im Januar 1939 kam der damals 12-jährige Kolman mit dem ersten Transport nach England, wo er bis heute lebt.

1988 besuchte er, gemeinsam mit 15 weiteren ehemaligen Bürgern jüdischen Glaubens, erstmals wieder Wesel, damals auf Einladung des Stadtrats anlässlich des 50. Jahrestages der Novemberpogrome.

„Sie haben uns durch die Bereitschaft, der Einladung zu folgen, die Hand gereicht zur Versöhnung. Sie waren bereit in den Dialog zu treten“, rekapitulierte Ulrike Westkamp. „Dieser Dialog ist über die Jahre intensiviert worden. Er hat Verstehen, Verständnis und Vertrauen wachsen lassen.“

Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung habe der jüdisch-christliche Freundeskreis, aber auch Ernest Kolman selbst, betonte sie: „Sie mahnen uns, wachsam zu sein und Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung in unserer Stadt nicht zu dulden. Sie sind für uns die treibende Kraft, an das Geschehen zu erinnern und die Erinnerung wachzuhalten.“

Einen ähnlichen Tenor hatte auch Wolfgang Jung, Vorsitzender des jüdisch-christlichen Freundeskreises. Er beschrieb Ernest Kolman als Teil der Erinnerungskultur in Wesel, als Person, die „beeindruckt und mahnt“. Der jüdisch-christlich Feundeskreis hätte ohne ihn nie zu dem werden können, was er heute ist: „Erinnerungsarbeit und Versöhnungsarnbeit sind ohne mahnende Personen wie Ernest Kolman nicht möglich.“

„Ich habe nur ein Wort für Sie, und das ist: Danke“, sagte Kolman. Noch heute könne er sich an den Boykott jüdischer Geschäfte erinnern, das Wort „Jude“ an die Fensterscheiben gekrakelt. Deshalb empfindet er es als ein Schimpfwort, das er bis heute nicht benutzt.

Auch an den Morgen nach der Pogromnacht erinnert er sich deutlich. Er wollte zur Schule gehen, doch seine Mutter zeigte aus dem Fenster und deutete auf die brennende Synagoge. Zwei katholische Nachbarinnen versteckten ihn dann in ihrer Wohnung.

„Ich war kein Held, ich hatte nur das, was alle jüdischen Menschen zu der Zeit hatten: Angst. Angst, Angst, Angst!“, verdeutlichte der 90-Jährige. Wenn es an der Tür geklingelt hat, wussten sie nicht, ob es nun die Heilsarmee oder die Gestapo ist.

Es waren sehr emotionale Einblicke, die Kolman gewährte. So ehrlich, so traurig, so berührend, dass vielen Zuhörern die Tränen über das Gesicht rannen. „Heute bin ich wieder allein“, sagte er mit Blick auf den Tod seiner Frau, mit der er über 60 Jahre lang verheiratet war, „aber wenn ich mich so umschaue, wie viele Freunde ich habe, kann ich nicht traurig sein. Ich bitte meinen Gott – nein, unseren Gott – dass er euch segnet.“