Wesel. . Karl-Heinz Ortlinghaus wurde drei Jahre alt, als die Bomben aus Wesel fielen. Als die Angriffswelle vorbei war, wurde Geburtstag gefeiert.

An seinen dritten Geburtstag kann Karl-Heinz Ortlinghaus sich nicht mehr erinnern. 70 Jahre ist das her. Es war der 16. Februar, und einer der Tage, an denen es Fliegeralarm gab. Wenn das der Fall war, suchte seine Familie Schutz im nahen Bunker an der Esplanade. Gab es Entwarnung, versuchten die Menschen „die Illusion eines normalen Lebens aufrecht zu erhalten“, wie er sagt.

Als an diesem Tag die Angriffswelle vorbei war, wurde Geburtstag gefeiert. Dazu „haben wir uns am frühen Nachmittag von der Norbertstraße, wo wir damals wohnten, zu Fuß auf den Weg zum Schepersweg 1, dem Elternhaus meiner Mutter, begeben“, erzählt Karl-Heinz Ortlinghaus. Die „Brincks­burg“ wurde das genannt, und an sie sowie das Elternhaus hat er noch eine Erinnerung.

Weniger an den Stachelbeerkuchen, der zu seinem Ehrentag gebacken worden war und auf dem Küchentisch stand, wie ihm seine Mutter später berichtete. Am Nachmittag habe es dann wohl wieder eine Angriffswelle auf die Stadt gegeben. „Die Menschen jenseits der Bahnlinie müssen sich sicher gefühlt haben und waren nicht in den Bombenkellern.“ Aber die Explosionen erschütterten die Gebäude. Und so löste sich aus der damals üblichen Pliesterdecke feiner Putz, der herunter rieselte - auch auf den Geburtstagskuchen. „Man machte das Beste daraus“, hat die Mutter gesagt: „Wir hatten dann sogar noch Puderzucker auf unserem Kuchen.“

Wenig später wurde die Familie evakuiert, kam in Östönnen bei Soest auf dem Bauernhof der Familie Vogelsang unter. Züge fuhren noch, wenn auch nicht durchgehend. Bis auf die Papiere „hatten wir nichts mehr“, sagt Karl-Heinz Ortlinghaus.

Er saß auf den Schwellen an der Kleinbahn nach Werl und wartete auf seinen Vater, den sie noch eingezogen hatten. Er wartete auf ihn auch etwa ein halbes Jahr später, als die Familie wieder in Wesel war. Daran kann sich Karl-Heinz Ortlinghaus noch erinnern, wie er erwartungsvoll an der Mauer der Reitzenstein-Kaserne entlang ging und auf die Ankündigung, es würden Kriegsgefangene entlassen, hoffte. Im Mai 1946 waren sie wieder vereint, wohnten zu Viert in zwei Zimmern in der „Brincks­burg“.

Vater Karl und der elf Jahre ältere Bruder Hans arbeiteten in Schermbeck bei der Dachpfannen-Firma Maid, bevor der eine zum Finanzamt ging, der andere eine Lehre beim Eisenwaren-Großhändler August Schmidt begann.

„Spielsachen hatte ich wenige“, sagt Karl-Heinz Ortlinghaus. Etwa eine Eisenbahn zum Aufziehen mit einem kleinen Schienenkreis. Verspätet kam er in die Schule, weil er („damals war ich tatsächlich lang und hager“) bei einer DRK-Untersuchung mit einem vermeintlichen Schatten auf der Lunge auffiel und zur Genesung in die Schweiz geschickt wurde. Danach habe er dann eine Zeit lang zu Hause darauf gewartet, mit sieben eingeschult zu werden.

Sein Buch mit Grimms Märchen hütete er wie seinen Augapfel und nutzte die Zeit: „Als ich zur Schule kam, konnte ich die Zeitung lesen.“ Vater Karl war Vorbild: Er war der zehnte Abonnent der neu gegründeten NRZ.