Rheinberg. Elf geflüchtete Frauen lernen in Rheinberg, wie verkehrssicheres Radfahren geht.
„Ja, Galia, super. Jetzt einen großen Bogen machen.“ Petra Platzek fiebert mit allen Frauen mit, die auf dem Gelände an der Flüchtlingsunterkunft am Melkweg versuchen, sich auf einem Vehikel fortzubewegen, auf dem die meisten von ihnen noch nie gesessen haben: Sie fahren Fahrrad. „Nach vorne gucken. Links herum fahren, nicht rechts rum“, ruft Birgit Kraemer eine Radlerin zurück, die falsch abgebogen ist und beim Wenden nur mit Mühe das Gleichgewicht halten kann. Aber sie schafft es, wie auch die anderen zehn Flüchtlingsfrauen, die bei dem Projekt der Genossenschaft „Tuwas“ mitmachen und seit Montag Radfahren lernen.
Jeden Vormittag, nach einem kleinen Aerobic-Aufwärm-Programm um 9.30 Uhr, schwingen sie sich auf der Wiese hinter der Unterkunft in den Sattel. Mittags wird gemeinsam gegessen, nachmittags noch eine Stunde geübt. Die Kinder werden derweil betreut. Kraemer leitet das Projekt. Bei Platzek, die ehrenamtlich bei der Flüchtlingshilfe mitarbeitet und Asylsuchenden zwei Mal in der Woche Deutsch beibringt, hatten die Frauen vorher theoretischen Unterricht. Hier lernten sie die Verkehrszeichen und die deutschen Begriffe für die Einzelteile am Drahtesel. Und dass eine Klingel dafür da ist, auf sich aufmerksam zu machen, wenn man Rad fährt und ein Hindernis im Weg ist.
Projekt hat auch einen gesundheitlichen Aspekt
In der Fahrradwerkstatt an der Buchenstraße hatten Karl-Heinz Lochen und Arnold Hüsch, der beim Projekt „Pack Drauf“ des Klimatisches mitarbeitet, den Frauen gezeigt, wie man kleine Reparaturen an der Fiets selber hinkriegt oder platte Reifen aufpumpt, den Dynamo am Vorderrad richtig einstellt, kaputte Reifen wechselt, die Kette wieder auf die Ritzel zieht. Auch Sarah Bernstein, Integrationshelferin der Stadt, und Klimaschutzmanagerin Nicole Weber F. Santoz sind involviert, schauen zu, wie die Frauen ihre Sache meistern und auf zwei Rädern immer sicherer werden. „Durch das Fahrrad erweitert sich der Aktionsradius für die Frauen enorm“, sagt Santoz.
Die Frauen kommen aus Syrien, dem Irak, dem Kosovo und der Türkei. Sie sind anerkannte Flüchtlinge, zwischen 25 und 65 Jahre alt, haben anfangs in der Unterkunft am Melkweg gelebt und wohnen inzwischen mit ihren Familien in der Reichelsiedlung. Eine von ihnen ist Jusra. Die 40-Jährige kommt aus Syrien, hat vorher noch nie auf einem Rad gesessen. Im Gegensatz zu Galia (31), die vor vier Jahren aus Syrien nach Rheinberg gekommen ist. Als Kind sei sie mal Rad gefahren, erzählt sie, aber seit rund 15 Jahren überhaupt nicht mehr. Verlernt hat sie’s aber nicht, sitzt nun wieder sicher im Sattel und zieht vergnüglich ihre Runden. „Das macht echt Spaß“, sagt sie und lacht. Dass das Ganze auch einen gesundheitlichen Aspekt hat, ist ein willkommener Nebeneffekt. Mit der Beweglichkeit und Fitness der Teilnehmerinnen war’s nicht so weit her.
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Derzeit lernen die Flüchtlingsfrauen, was ein „Toter Winkel“ ist: An der Unterkunft wird ein Pritschenwagen geparkt; im Wechsel setzen sich die Frauen ans Steuer und beobachten im Außenspiegel die Radlerinnen, die sich dem Fahrzeug nähern – und die, kurz bevor sie auf Höhe des Pritschenwagens sind, plötzlich aus dem Blick geraten. Warum es so wichtig ist, einen Helm zu tragen, wird eindrucksvoll mit einer Melone vermittelt, die zerschmettert, wenn sie auf dem Boden aufschlägt.