Rheinberg/. Ein Pflegekind in die eigene Familie aufzunehmen, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Das wissen die Mitarbeiterinnen der Pflegekinderdienste.

Manchmal ist es wirklich sehr dringend: „Dann kommt ein Kind auch schon mal ohne ein Kleidungsstück – außer dem, das es anhat – und ohne jegliches Gepäck, vielleicht sogar ohne notwendige Medikamente plötzlich abends an einem Feiertag zu einer Familie“, sagt Doris Christ-Hennig. „Das erfordert wirklich großes Engagement. Und wir sind sehr froh, dass wir rund 20 bis 25 Familien im Kreis Wesel haben, die eine Bereitschaftspflege für diese Kinder übernehmen“, sagt die Fachdienstleiterin der Sozialen Dienste der Jugendhilfe im Kreisjugendamt.

Bei der Bereitschaftspflege wird ein Kind aus einer akuten Notsituation heraus kurzfristig in einer Familie untergebracht, bis klar ist, wie es weitergeht. „Zum Beispiel bis es auf Dauer in einer Pflegefamilie untergebracht werden kann, aber manchmal auch, bis es wieder zu den eigenen Eltern zurück gehen kann“, erklärt die 55-Jährige. Die Kinder bleiben vorübergehend für ein paar Tage oder Wochen, manchmal auch Monate in einer Bereitschaftspflegefamilie. Eine Aufgabe, die herausfordernd sein kann, die Mut, Verständnis, Offenheit, Einfühlungsvermögen, aber auch Belastbarkeit erfordert. „Denn die Kinder haben ja eine Vorgeschichte, kommen aus belasteten Verhältnissen“, weiß Doris Christ-Hennig. „Der Pflegekinderdienst unterstützt und berät diese Eltern und wir schulen sie auch.“

Pflegeeltern zu sein, das sei eine andere Form der Elternschaft, „eine traditionslose“, meint die Fachdienstleiterin. „Denn mit jedem Kind, das aufgenommen wird, gibt es eine ganz neue Situation, denn das Kind hat einen eigenen Hintergrund, eigene Bedürfnisse und auch Problemstellungen, auf die man sich einlassen und denen man mit viel Geduld und Akzeptanz begegnen muss“, sagt sie. „Aber wir haben viele tolle Bereitschaftspflegefamilien, die mit sehr viel Herzblut und Engagement dabei sind, aber auch mal ein Tränchen verdrücken, wenn sie ein Kind wieder abgeben müssen.“

Bei der Dauerpflege von Kindern ist das anders. Dabei handelt es sich um eine zeitlich unbefristete Vollzeitpflege, die eine langfristige Perspektive für das Kind bieten soll und ihm ein neues Bindungssystem ermöglicht. „Die Pflegeeltern werden zu Hauptbezugspersonen“, heißt es dazu im Info-Blatt „Kinder suchen Pflegeeltern“ des Pflegekinderdienstes der Stadt Rheinberg. Und weiter, dass Vollzeitpflege auch bedeute, „dass es eine gute und enge Zusammenarbeit zwischen Pflegefamilie, Herkunftsfamilie und dem Jugendamt gibt“.

Denn ein Pflegekind – und sei es noch so klein – habe immer eine Vorgeschichte und immer auch leibliche Eltern. Und es habe das Recht – ebenso wie die leiblichen Eltern auch – auf einen Kontakt zu diesen, so die Fachdienstleiterin des Kreisjugendamtes Wesel. Dabei dürfe man auch nicht vergessen, so Doris Christ-Hennig, dass die leiblichen Eltern „oftmals auch unverschuldet in die Situation geraten sind, zum Beispiel aufgrund mangelnder eigener Erziehungserfahrung in der Kindheit, aufgrund von Suchterkrankungen, psychischen Erkrankungen oder anderer Umstände, die es ihnen nicht möglich machen, ihren Kindern das Beste zu geben – denn das wollen alle Eltern.“ Die leiblichen Eltern hätten sich ihre Situation nicht ausgesucht, sagt sie. „Da stehen Schicksale dahinter.“ Pflegeeltern, Pflegekinder, aber auch die leiblichen Eltern bräuchten daher Unterstützung. „Für die Ursprungsfamilien gibt es da heute auch viele ambulante Hilfen“, sagt Doris Christ-Hennig.

Vor 20 Jahren gegründet

Pflegeeltern finden Unterstützung neben den Fachstellen und Fachmitarbeitern der Jugendämter beispielsweise auch in Gesprächskreisen, so wie dem Pflege- und Adoptivelternkreis Alpen-Rheinberg-Sonsbeck-Xanten, der bereits vor 20 Jahren gegründet wurde. Hier treffen sich regelmäßig die Eltern von Pflege- und Adoptivkindern, aber auch solchen, die es erst werden wollen, um sich auszutauschen. „Denn wir kennen alle die Praxis“, sagt die Sprecherin des Kreises, Angelika Lenhardt. Auch sie hat sich mit ihrer Familie vor vielen Jahren für diese Aufgabe entschieden, „weil sie mir ein Gefühl von Sinn gibt“, sagt sie. „Ich versuche, den Kindern ein Zuhause und eine Familie zu geben und es ihnen zu erleichtern mit ihrer eigenen Vergangenheit wieder gut durchs Leben gehen zu können.“

Oftmals sind auf diesem Weg „viele unterstützende Worte für die Kinder nötig“, weiß auch Doris Christ-Hennig. „Denn die Kinder fühlen sich meist schuldig dafür, dass sie nun andere Eltern haben.“ Pflegekinder könne man daher auch nicht „durch noch mehr Liebe heilen“, sagt sie, „sondern nur durch viel Struktur, Gleichmäßigkeit und auch Konsequenz“, so die Fachdienstleiterin. „Pflegeeltern zu sein, ist eine hoheitliche und verantwortungsvolle Aufgabe, aber auch eine, die Spaß macht“, weiß sie. Angelika Lenhardt bestätigt dies, denn trotz aller Herausforderungen und Schwierigkeiten „würde ich es immer wieder tun.“

Gesucht werden neue Pflegefamilien übrigens immer – sowohl für die Bereitschaftspflege als auch für die Vollzeitpflege. „Und das im ganzen Kreisgebiet“, sagt Doris Christ-Hennig. Allerdings – und das bestätigt auch Monika Schulze, Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes der Stadt Rheinberg – sei es „schwieriger geworden, Pflegeelternbewerber zu finden“. Durch die Berufstätigkeit oft beider Eltern und auch durch neue, berufliche Perspektiven seien viele Eltern heute sehr eingespannt.