Faisal Hamdo hat seine bewegende Geschichte in Xanten erzählt. Der junge Syrer, der aus Aleppo floh, las im Kriemhildsaal aus seinem Buch.

Xanten. Loriot als Integrationsanker? Für Faisal Hamdo jedenfalls hat er eine entscheidende Rolle gespielt, als er vor vier Jahren nach Deutschland kam. Victor Bülows Geschichte vom sprechenden Hund hat den Syrer schwer beeindruckt, der 2014 aus seiner Heimatstadt Aleppo über die Türkei nach Deutschland geflüchtet ist. In Hamburg fand er eine neue Heimat und schrieb ein Buch, das Anfang des Jahres erschienen ist.

Neun Geschwister

„Fern von Aleppo: Wie ich als Syrer in Deutschland lebe“, so der Titel, aus dem der heute 29-Jährige im Vortragssaal des Siegfriedmuseums las. Vielmehr erzählte, und zwar so wortgewandt, dass die mehr als 50 Frauen und Männer dem jungen Mann gut eineinhalb Stunden fasziniert zuhörten, der da so ganz ohne Scheu, fröhlich, humorvoll, selbstbewusst und in einwandfreiem Deutsch seine Geschichte erzählte.

Selam Aleikum, Friede sei mit euch, hallo, moin, moin: Von der ersten Minute an war klar, dass der junge Syrer nicht etwa mit seinem Schicksal hadert, sondern optimistisch nach vorne blickt. Mit neun Geschwistern groß geworden, die Eltern Analphabeten, der Vater Bauarbeiter, „er schwärmt immer von deutschem Werkzeug, da muss ,Made in Germany’ drauf stehen.“ Faisal Hamdo hat Physiotherapie studiert, den zweiten arabischen Frühling 2012 aktiv miterlebt, zwei Jahre in Krankenhäusern im umkämpften Aleppo gearbeitet, die alle zerstört wurden. „Sie waren Zielscheibe der Kampfjets von Assad“, sagt Hamdo, setzt sich an den Tisch, schlägt sein Buch auf und beginnt zu lesen. „September 2012. Eine dunkle Rauchwolke steigt zum Himmel. Ich komme gerade von einem Verletzten, renne los zum Krankenhaus. Da liegen viele Verletzte auf dem Boden. Ich nehme einen kleinen Jungen auf den Arm, vielleicht zehn Jahre alt. Er ruft: ,Mama, Mama, wo bist du?’ Die Mutter liegt neben dem Vater auf dem Boden, er hat ein Bein verloren. Die Mutter ist tot. Die Geschwister des Jungen auch.“ Entsetzen und bedrückendes Schweigen im Publikum.

Er sei übrigens Fan des FC Bayern, holt der junge Syrer die Zuhörer wieder zurück. Oliver Kahn, Michael Ballack, die fand er immer gut, hat aber nie verstanden, warum sie immer ernst guckten, auch wenn sie gerade gewonnen hatten. Das Bild hat sich festgesetzt in seinem Kopf; „Aha, so sind die Deutschen also“. In der Schule habe er gelernt, dass Deutschland an den beiden Weltkriegen beteiligt war, dass das Land zweigeteilt war. „Warum? Keine Ahnung.“ Er wollte sie verstehen, die Menschen hier, wollte ihre Sprache lernen – denn „ohne Sprache können Menschen ein Problem nicht lösen.“

Hamdo nimmt Minijobs an, Gartenarbeit, Babysitten, betagte Menschen begleiten. Abends besucht er Deutschkurse, in jeder freien Minute hört er sich Reden im Bundestag an, aber nur die aus den 70-er Jahren. Von Helmut Schmidt, Willi Brandt, Herbert Wehner vor allem. „Mir fiel auf, dass er anders sprach als andere, so dass er nicht verstanden werden konnte. Denn er liebte Nebensätze, reihte so viele aneinander, dass man am Ende nicht mehr wusste, wovon er am Anfang eigentlich gesprochen hat.“

Den ersten Kulturschock habe er in einem Altenheim in Hamburg erlebt. „Da bleiben die Menschen, bis sie ein neues Leben beginnen.“ Er findet es traurig, dass die Menschen hier Angst vor dem Alter haben. „Bei uns in Syrien ist das nicht so. Da werden alte Menschen mit Respekt, mit Würde behandelt, bis zuletzt in der Familie versorgt.“

Höfliche, aber direkte Menschen seien ihm in Deutschland bislang begegnet, doch auch er habe negative Erfahrungen machen müssen, nur weil er anders aussähe. „Aber wie die Mehrheit der Deutschen uns seit 2013 geholfen hat, das soll in die Geschichte eingehen.“