Oberhausen. Was kann man tun, wenn man bei einem Familienmitglied oder einer Freundin ein Suchtproblem vermutet? Zwei Expertinnen aus Oberhausen geben Tipps.

Eine Sucht begleitet Betroffene und ihre Angehörigen oft ein ganzes Leben. Malina Bardenheuer und Eva Bauer vom Kompetenzzentrum Suchtberatung der Stadt Oberhausen wissen das. Täglich begegnen sie Menschen, die süchtig waren, sind oder es werden könnten. Doch bevor diese Menschen zur Anlaufstelle im Oberhausener Stadtteil Sterkrade kommen, sind es meist Angehörige, Freundinnen oder Freunde von Suchtkranken, die hier die Hilfe der Fachleute suchen.

Das Kompetenzzentrum Suchtberatung der Stadt Oberhausen befindet sich im Stadtteil Sterkrade an der Dorstener Straße 52. Die Aufgaben des Teams sind die Beratung, Vermittlung und Behandlung von Betroffenen, aber auch die Unterstützung des sozialen Umfeldes. Die Angebote des Zentrums richten sich an alle Altersklassen. „Wie auf der Spielepackung: 0 bis 99 Jahre“, sagt Einrichtungsleiterin Malina Bardenheuer. Ein besonderes Augenmerk legen die Fachleute aber auf Schülerinnen und Schüler. Immer wieder sind sie in Oberhausener Schulen zu Gast und sprechen mit den Jugendlichen über das Thema Sucht – über Vapes, Zigaretten, Alkohol, Cannabis oder besorgniserregenden Medienkonsum.

Angehörige sollten das Gespräch suchen

Suchtprävention finde aber nicht nur im Jugendalter statt, betont Eva Bauer, Koordinatorin der Fachstelle Suchtprävention. In jedem Alter und in jeder sozialen Schicht gebe es Risikofaktoren. „Niemand ist vor Sucht sicher“, sagt die 51-Jährige. Häufig liege zum Beispiel ein niedriger Selbstwert zugrunde. Auch fehlende Struktur und Einsamkeit können eine Rolle spielen, sagt Malina Bardenheuer. Und: „Der Schritt in den Ruhestand ist ein Risikofaktor.“ Besonders gefährdet seien außerdem Kinder, die in einer Familie groß werden, in der Verwandte abhängig sind. Jedes fünfte Kind sei davon betroffen, berichtet Eva Bauer. Diese jungen Menschen könnten dadurch stark beeinträchtigt werden. Das Risiko, selbst in eine Sucht abzurutschen, sei erhöht.

Malina Bardenheuer, Einrichtungsleiterin Kompetenzzentrum Suchtberatung (r.), erklärt, dass auch Angehörige von der Suchterkrankung mitbetroffen sind.
Malina Bardenheuer, Einrichtungsleiterin Kompetenzzentrum Suchtberatung (r.), erklärt, dass auch Angehörige von der Suchterkrankung mitbetroffen sind. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Das Suchtverhalten kann vielerorts auffallen. Zum Beispiel, wenn eine Person in der Bar mehr Alkohol trinkt als alle anderen, aber nicht betrunkener wirkt. Denn der Körper gewöhnt sich mit der Zeit an das Suchtmittel und entwickelt eine Toleranz. Wenn man jemanden lange kennt und sich markante Verhaltensweisen ändern, können das ebenfalls Anzeichen für eine Sucht sein, sagt Malina Bardenheuer. Etwa, wenn jemand plötzlich stark schwitzt, schnell gereizt ist oder wenig schläft.

Menschen im Umfeld einer suchtkranken Person müsse aber klar sein, dass sie nicht für das Verhalten dieser Person verantwortlich sind und es auch nicht ändern können, betont Eva Bauer. Wenn die Situation zu belastend ist, sollten Familie, Freundinnen und Freunde Konsequenzen ziehen und sich selbst schützen. Denn: „Angehörige sind mitbetroffen von der Krankheit“, erklärt Malina Bardenheuer. „Häufig sind die Angehörigen die ersten, die zu uns kommen und Hilfe suchen.“

Alles kann ein Suchtmittel sein

Ihnen raten die Fachleute, die Betroffenen anzusprechen. „Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger.“ Vielmehr sollte man in Ich-Botschaften kommunizieren, seine Sorge ausdrücken und ein Angebot zum Gespräch machen, rät die 33-Jährige. Zum Beispiel so: „Mir kommt etwas komisch vor. Ich würde gerne mit dir darüber sprechen.“ Man sollte aber auch mit Widerspruch rechnen, ergänzt Eva Bauer – und dennoch seine Sorge immer wieder formulieren. „Die Betroffenen kriegen über die Zeit von mehreren Personen Rückmeldungen“, ist ihre Erfahrung. „Und dann fängt es an zu rattern.“

Die Betroffenen kriegen über die Zeit von mehreren Personen Rückmeldungen. Und dann fängt es an zu rattern.
Eva Bauer - Koordinatorin der Fachstelle Suchtprävention

Auf die Frage, was überhaupt süchtig machen kann, antwortet die Leiterin des Zentrums: „Alles.“ Das Suchtmittel sei nicht entscheidend, erläutert Eva Bauer. Es gehe um das abhängige Verhalten, um den Missbrauch des Suchtmittels. Der Konsum erfülle immer eine bestimmte Funktion, erklärt Malina Bardenheuer. Jemand trinkt, um seine Trauer nicht spüren zu müssen. Jemand anderes konsumiert Kokain, um leistungsfähiger zu sein. Und wenn man das Verhalten „mal sein lässt“, bekommt man Entzugserscheinungen, sagt Eva Bauer. Das könne schon passieren, wenn man abends einfach mal das Smartphone bis zum nächsten Morgen weglege.

Wie Betroffene mit herausfordernden Situationen umgehen können

Irgendwann bemerken Betroffene: „Ich habe ein Problem.“ Entweder, weil sie von Menschen im Umfeld darauf angesprochen wurden, oder weil eine Situation entstanden ist, die sich nicht mehr schönreden lässt. Etwa, wenn sie ihr gesamtes Geld verspielt haben und pleite sind. Spätestens dann sollte man sich jemandem anvertrauen, über seine Gefühle sprechen und sich erlauben, Hilfe anzunehmen, raten die Fachfrauen. Viele Betroffene denken, dass es anderen noch schlechter gehe als ihnen, weiß Malina Bardenheuer. Andere hemmt die Scham. Doch sich Hilfe zu suchen, sei kein Scheitern, betont Eva Bauer. Es sei eine Stärke.

Mit Schaukoffern und unterschiedlichen Utensilien bringt das Team des Kompetenzzentrums Suchtberatung in Oberhausen Menschen aller Altersklassen das Thema „Sucht“ näher.
Mit Schaukoffern und unterschiedlichen Utensilien bringt das Team des Kompetenzzentrums Suchtberatung in Oberhausen Menschen aller Altersklassen das Thema „Sucht“ näher. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

„Es ist eine Krankheit, daran ist niemand selber schuld“, sagt die 51-Jährige. Und immer stecke eine Geschichte dahinter, sagt Malina Bardenheuer. Auch wenn jede Geschichte anders sei, sagten fast alle Betroffenen: „Ich bin da hereingerutscht.“ Sie kämpften mit Herausforderungen, häufig gebündelt. Im Kompetenzzentrum Suchtberatung erhalten sie zunächst einmal ein offenes Ohr. Gemeinsam mit dem Team vor Ort sprechen sie über ihre Ziele und überlegen sich Strategien, wie sie zukünftig mit herausfordernden Situationen umgehen. Manchen helfe es, in diesen Momenten eine Brausetablette in den Mund zu nehmen oder einen Löffel Wasabi-Paste, berichtet Eva Bauer. Das lenke ab. Aber „es muss nicht immer schocken“, beruhigt sie. „Es kann auch ein schöner Duft sein.“

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Auch Aktivität, Hobbys, Sport könnten einen Weg aus der Sucht darstellen. Die Fachfrauen warnen aber vor Suchtverlagerung. Es sei zum Beispiel möglich, das Rauchen aufzugeben und gleichzeitig in eine Sportsucht abzurutschen. Zielführender sei es, „unangemessenes Verhalten in angemessenes Verhalten umzulenken“, erklärt Malina Bardenheuer. „Man ist immer wieder mit verschiedenen Substanzen konfrontiert.“ Sucht sei also „ein lebenslanges Thema“. Auch Rückfälle gehören dazu. Doch sollte man diese nicht verteufeln. Betroffene sollten einen Rückfall nicht als Scheitern verstehen, sagt Malina Bardenheuer. Sondern als Möglichkeit, eine Erkenntnis zu gewinnen.

>>> Info:

  • Das Kompetenzzentrum Suchtberatung vereint drei Fachstellen: Beratung und Vermittlung, Substitution und Suchtprävention.
  • Die Angebote des Kompetenzzentrums Suchtberatung sind kostenlos.
  • Montags von 9 bis 11 Uhr sowie von 14 bis 16 Uhr gibt es eine offene Sprechstunde an der Dorstener Straße 52 in Oberhausen-Sterkrade. Dienstags und mittwochs gibt es feste Beratungstermine.
  • Das Kompetenzzentrum Suchtberatung hat am Theaterstück „Das Leben ist ein Wunschkonzert“ mitgearbeitet. In dem Stück geht es um Anna, die unter der Alkoholsucht ihrer Eltern leidet und alles gibt, damit niemand etwas davon merkt. Mehr Infos auf www.theater-oberhausen.de.
  • Mehr Infos und Kontaktmöglichkeit: suchtberatung@oberhausen.de oder unter 0208 4092 050. Die Fachstelle für Suchtprävention ist per Mail an suchtprävention@oberhausen.de erreichbar.