Oberhausen. Protokolle von 1531 und Rechnungen der Schloss-Bäckerei: Die Grafen von Westerholt sorgten für Oberhausens ältesten Archivschatz.
Beim Namen Westerholt ist Verwirrung garantiert - so vielfältig und verstreut ist allein die Zahl der einstigen Adelssitze dieser gräflichen Familie: Die Prachtimmobilien reichten vom Schloss Arenfels am Mittelrhein über die gewaltige Barockanlage des Schlosses Lembeck (längst das Zuhause derer von Merveldt) bis nach Oberhausen. Und zwar in dieser historischen Reihenfolge: erst das Schloss Oberhausen, dann der danach benannte Bahnhof der Köln-Mindener-Eisenbahn und schließlich die gleichnamige Bürgermeisterei, erwachsen auf „öder Heide“. Hier zitiert Archivar Christoph Spilling die prominenteste Dichterin Westfalens, Annette von Droste-Hülshoff. „Die Droste“ allerdings stammt aus einer ganz anderen Adelsfamilie.
Jene Familie Westerholt, deren hinreichend komplizierter Stammbaum noch einige Jahrhunderte weiter zurückreicht als bloß bis zur Stadtwerdung Oberhausens anno 1874 - also vor genau 150 Jahren - erfährt jetzt eine angemessene Würdigung: Das Stadtarchiv ließ seinen Westerholt-Gysenberg‘schen Bestand von einer Kölner Fachfirma nach konservatorischem „State of the Art“, so Diplom-Archivar Spilling, aufarbeiten. Schließlich zählen zu den umgerechnet sieben Regalmetern (oder tausend Archiv-Einheiten) auch Prunkstücke wie eine Lehensurkunde des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 bis 1688). „Dreieinhalb Zeilen brauchte der Mann, um zunächst seine Titel aufzuzählen“, sagt Christoph Spilling mit feiner Ironie, „und dann kundzutun: Wir bekennen in diesem Briefe . . .“, der aus dem Jahr 1681 datiert.
Es ist nicht einmal das älteste Original im Westerholt‘schen Bestand - aber bestimmt jenes Dokument mit der am schönsten geschnörkelten Kanzleischrift. Von der historischen Bedeutung her bewertet, ist der Erkenntnisgewinn aus der schmucken Urkunde gering, wie der Archivar meint: „Jemandem gehörte diese leere Heide.“ Rund um Schloss Oberhausen habe vor dreieinhalb Jahrhunderten noch nicht mehr gestanden „als allenfalls ein paar Plaggenhütten“. Wurden derlei fotogene Urkunden in Archiven noch vor wenigen Jahren in Plastikhüllen aufbewahrt, sind nun säurefreie Archivkartons ein Muss: 24 davon, mit je drei Urkunden Inhalt, bewahren die prächtigsten Westerholt-Archivalien. „Das Gros sind Akten.“
Ein Sammelsurium an Bauakten und Handwerkerrechnungen
Anders als der Stammsitz derer von Westerholt im gleichnamigen Fachwerk-Dorf ist das Schloss Oberhausen quasi ein „Neubau“ unter den Adels-Residenzen: Erst 1812 begann die Anlage des Herrenhauses nach Entwürfen des Hofbaumeisters August Reinking, der ein älteres Gebäude ersetzte. Und so ist der Westerholt-Gysenberg‘sche Bestand an der Liricher Eschenstraße auch ein Sammelsurium an Bauakten und Handwerkerrechnungen: Allerdings betont Christoph Spilling, sei es heutzutage eine Wissenschaft für sich, korrekt einschätzen zu können, ob tausend Taler für den Verputz des neuen Backhauses nun eine horrende Summe bedeuteten oder eine alltägliche Transaktion.
Bevor die Konservatoren in Köln ihr gutes - und mit rund 21.000 Euro bezahltes - Werk begannen, sei der Zustand des Westerholt-Bestandes „zwischen desolat und ziemlich gut“ gewesen, so der Archivar. Es war der letzte sogenannte „Altbestand“, der im Stadtarchiv noch aufzubereiten war: Gemeint sind damit sämtliche Archivalien aus der Zeit vor 1929, als „Groß-Oberhausen“ auch die beiden nördlichen Nachbarstädte Osterfeld und Sterkrade vereinnahmt hatte. Die Akten und Urkunden selbst sind zwar nicht digitalisiert, doch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis soll bald auch online zu durchblättern sein. „Wir können es Benutzern jetzt geordnet in die Hand drücken“, wie Christoph Spilling sagt. „Das sind wir der Geschichte schuldig.“
Industrieadel hatte den alten Adel abgelöst
Von eng beschriebenen Protokollen aus dem Jahr 1531, die detailliert bis zu jedem Feldrain die Grenzen des Damenstifts Essen im (bis heute geteilten) Borbeck festhielten, reicht der Bestand bis 1952, also über mehr als vier Jahrhunderte. 40 Jahre zuvor hatten die Westerholt-Gysenbergs Schloss Oberhausen an die Stadt verkauft. Ihr einstiger Familiensitz - während der Hoch-Zeit der Schwerindustrie eingefasst von den Zechen Concordia Schacht IV und Osterfeld - war da bereits völlig herabgekommen: So sehr, dass einer der raren Schloss-Neubauten des 20. Jahrhunderts nötig wurde. Und die sprechenden Fotos von der Grundsteinlegung durch Oberbürgermeisterin Luise Albertz 1958 bewahrt das Stadtarchiv natürlich ebenfalls: Huldvoll wohnt GHH-Vorstandschef Hermann Reusch, der Sohn des umstrittenen Hitler-Förderers Paul Reusch, als Mäzen der Zeremonie bei: Industrieadel hatte den alten Adel hier längst abgelöst.
Tag der offenen Tür mit „Fräulein Grimmigs“ Abschied
Vormerken sollten sich historisch Interessierte bereits Sonntag, 3. März, denn dann lädt das Stadtarchiv an der Eschenstraße 60 zu seinem Tag der offenen Tür und zwar unter dem Motto „Kinder und Jugendliche erobern das Archiv“. Ein kleiner Maskenball zählt dann ebenso zum vollen Programm von 9.30 bis 17 Uhr wie Archivführungen, eine Stadtteilführung durch Lirich oder Übungen in der alten Sütterlin-Schrift.
Geradezu „historisches“ Gepräge erhält um 14 Uhr die letzte Unterrichtsstunde von „Fräulein Grimmig“: Denn Olga Cahoj-Roosen, die viele Jahre das Historische Klassenzimmer im Gebäude der alten Liricher Hauptschule betreut hat, verabschiedet sich in den Ruhestand.