Oberhausen. 1000 Helfer aus ganz NRW waren Weihnachten nötig, um den Bruch des Ruhrdeichs in Oberhausen zu verhindern. Schuld daran soll eine Kuhherde haben.
Drei Tage und drei Nächte über Weihnachten, über 1000 Kräfte der Feuerwehr und des Technischen Hilfswerks aus ganz NRW, 17 dicke Laster mit Kies im 15-Stunden-Einsatz, Kosten von über einer halben Million Euro - mit einem beispiellosen Sandsack-Kraftakt haben die Männer und Frauen in Oberhausen erreicht, dass das Hochwasser nicht durch den Ruhrdeich im Stadtsüden durchbricht und Ruhrpark wie Siedlungen in Alstaden komplett überflutet. „Krise kann Oberhausen“, lobt Oberbürgermeister Daniel Schranz die Professionalität und das Engagement der Helfer bei einem Bilanzgespräch mit beteiligten Fachleuten im Rathaus. „Zum Glück bestand keine akute Deichbruchgefahr, wir haben vorsorgend gehandelt.“
Doch warum war ein solcher gigantischer Katastropheneinsatz zum Schutz der Bürger überhaupt notwendig? Schließlich wusste die Stadt Oberhausen spätestens seit dem Jahrhunderthochwasser von Sommer 2021, dass der Deich dringend sanierungsbedürftig ist. Und die Stadt Oberhausen selbst, kein anderer, ist bei diesem Ruhrdeich hochwasserschutz-pflichtig, muss also unter Aufsicht der Bezirksregierung Düsseldorf dafür sorgen, dass Anwohner und Häuser nicht durch Überflutungen weggeschwemmt werden. Tatsächlich wusste die Stadtspitze seit März 2022, wie sanierungsbedürftig der über 100 Jahre alte Deich ist: Da lag den Praktikern der Wirtschaftsbetriebe Oberhausen (WBO) das direkt im Sommer 2021 in Auftrag gegebene Deich-Gutachten eines Sachverständigenbüros vor. Der Deich entspricht nicht mehr dem Stand der Technik. Doch seitdem hat sich sichtbar nichts am Deich getan. Fünf Gründe, warum der Deich immer noch marode ist:
Erster Grund für den maroden Ruhrdeich: Keine Prioritätensetzung
Dass mindestens 50 Bäume viel zu dicht am Deich stehen, so dass diese mit ihren Wurzeln vor allem bei Sturm den Deichgrund untergraben, war schnell klar. Die Genehmigungen der Fällungen dauerten aber nach Darstellung der Stadtexperten so lange, weil Artenschützer, Umweltfachleute, Naturschutzbeirat, der Landesbetrieb Wald eingeschaltet werden müssen – zum Teil mit neuen Gutachten. Zudem müssen alle Aufträge ausgeschrieben werden. Erst für Februar 2024 hätten die Wirtschaftsbetriebe die Erlaubnis gehabt, die Gefahren-Bäume zu fällen. Naturschutz gegen Deichschutz. „Bürger haben natürlich auch kritisch gefragt, was wird dann aus unserem Ruhrpark, wenn so viele Bäume gefällt werden“, schildert Schranz. „Viele Interessen, viele Ziele müssen in den Genehmigungsverfahren beachtet werden.“ Und fordert eine Wende: „Wir müssen dringend dahin kommen, dass der Schutz von Menschen, hier der Deichschutz, als vorrangiges, übergeordnetes Ziel verankert wird.“
Zweiter Grund für den maroden Ruhrdeich: Nur schrittweises Arbeiten möglich
Um Alstaden vor den häufiger werdenden Ruhr-Hochwassern künftig besser zu schützen, muss der Deich unterschiedlich ertüchtigt werden. Im Bereich des Ruhrparks, zwischen der Eisenbahnbrücke und der Stadtgrenze zu Mülheim, müssen weitere 80 Bäume gefällt werden – denn in diesem Bauabschnitt 2 über eine Länge von einem halben Kilometer wird in diesem oder nächstem Jahr ein asphaltierter Deichverteidigungsweg angelegt. So sollen Feuerwehr, THW und WBO im neuen Hochwasser-Fall mit schweren Geräten schnell zum Deich kommen. Zugleich aber dient der Deichweg dazu, die Last auf den Deich zur Landseite kräftig zu erhöhen, diese macht den Deich standsicher.
Fotostrecke: Der Ruhrdeich nach dem Weihnachts-Hochwasser
Die Planungen des Weges müssen natürlich mit Feuerwehr, Umweltamt und Bezirksregierung abgestimmt werden, damit keine Fehler passieren. Doch das dauert. Die Fällgenehmigung für diese Bäume liegt für Frühjahr vor. Erst nach dem Abschluss der Planungen des Weges können neue Gutachter berechnen, ob weitere Deichsanierungen im Ruhrpark-Bereich notwendig sind.
Dritter Grund für den maroden Ruhrdeich: Lange Genehmigungsverfahren
Im Deichabschnitt vom Biotop zur Eisenbahnstrecke (also von Duisburg aus Richtung DB-Strecke) muss man zwar dank der vorhandenen Straße „Am Ruhrufer“ keinen neuen Deichverteidigungsweg anlegen, doch der Deich muss stabilisiert werden. Dies soll mit einer über 640 Meter langen Spundwand aus Stahl geschehen, die von oben in den Deich gerammt wird. Danach soll die Deichkrone aufgeschüttet und damit breiter werden. Technisch nicht einfach umsetzbar, aber vor allem durch die Genehmigungsprozeduren von langer Dauer, denn hier ist ein aufwändiges Planfeststellungsverfahren notwendig. Man rechnet hier in Jahren, nicht in Monaten. Das liegt durchaus auch daran, dass es in NRW an Ingenieuren und Fachbeamten in diesem Bereich fehlt.
Vierter Grund für den maroden Ruhrdeich: Kuhherde aus Mülheim
„Wenn die Kühe die Grasnarbe des Deiches nicht zertrampelt hätten, wäre ein solch großer Einsatz gar nicht notwendig gewesen“, zeigt sich Oberbürgermeister Daniel Schranz aufgrund der Aussagen von Fachleuten überzeugt. Noch immer ist den Fachleuten aus dem Rathaus unklar, wie die frei im Ruhrbogen herumlaufende Herde trotz Zäunen überhaupt auf den Deich gelangt ist. Nach Darstellung der Landwirtsfamilie aus Mülheim sind allerdings die Zäune in Folge des Hochwassers umgekippt, so dass die Kühe auf den Deich kamen. Die Grasnarbe ist so wichtig für die Schutzfähigkeit des Deiches, weil sonst das schnell fließende Hochwasser der Ruhr die Erde des Deiches leicht wegspülen kann. „Es ist strikt verboten, dass Kühe auf dem Deich herumlaufen. Wir prüfen eine Schadenersatzklage gegen Eigentümer der Kühe.“ Zudem soll mit der Stadt Mülheim geklärt werden, wie widerstandsfähig künftig die Zäune am Ruhrdeich sein müssen.
Fünfter Grund für den maroden Deich: Gottvertrauen
Ausgerechnet das Jahrhunderthochwasser im Sommer 2021 könnte tatsächlich psychologisch eine Rolle gespielt haben, wie sehr man dem Deich und seiner Stabilität traut. Denn rein rechnerisch hat der Gutachter 2021 nach dem Jahrhundert-Hochwasser festgestellt, dass der Deich so schwach ist, dass er diese Wassermassen eigentlich nicht hätte bewältigen können. Doch der Deich hat dieses Jahrhunderthochwasser erstaunlicherweise ohne Schaden überstanden. Da könnte man als Behörde schon auf den Gedanken kommen: Sooooo dringend ist die teure Deichsanierung nun auch wieder nicht. Aber nach diesen Weihnachtsfluten, obwohl noch zwei Meter unter einem Jahrhunderthochwasser, ist klar: „Mit Hochwasserlagen haben wir durch den Klimawandel häufiger zu tun“, meint Schranz. Und deshalb wird nun von allen Beteiligten in die Hände gespuckt.
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