Oberhausen. Einem Schiffsuntergang im Weltkriegsjahr 1942 spürt „Serenade für Nadja“ nach. Uraufführung am 12. Januar im Theater Oberhausen.
Mit den besten Gründen möchte Ebru Tartıcı Borchers für ihr „Handwerk“, wie sie selbst sagt, vom Theater eingeladen werden - nicht für ihre Herkunft. Doch dann hatte die junge Regisseurin selbst das Werk dieses großen türkischen Literaten für ihre erste Oberhausener Inszenierung vorgeschlagen: „Serenade für Nadja“ (im Original „Serenad“) von Zülfü Livaneli. Der heute 77-Jährige ist in seiner Heimat gleichermaßen berühmt als Romancier wie als Liedermacher und Komponist. Mit seinem international noch bekannteren Kollegen Mikis Theodorakis (1925 bis 2021) bemühte er sich so lange wie entschieden um eine türkisch-griechische Aussöhnung. „Livaneli war mal Abgeordneter im Parlament, mal im Exil“, so bündig beschreibt die Regisseurin die Position dieses mutigen Mannes in der türkischen Öffentlichkeit.
Seine „Serenade“ führt zurück ins Weltkriegsjahr 1942 und in ein entsprechend dunkles Kapitel der Geschichte: Dem Schiff „Struma“, einst die Luxusyacht reicher britischer Eigner, ein halbes Jahrhundert später ein mit 782 jüdischen Passagieren überladener Frachter auf dem Weg durchs Schwarze Meer, verweigerten türkische Behörden jede Hilfe. Und die britische Regierung vereitelte die Weiterfahrt durch die Ägais nach Palästina. Als schließlich ein sowjetisches Kriegsschiff irrtümlich die „Struma“ beschießt, kommen fast alle an Bord ums Leben: Ein einziger Überlebender wird am Tag nach dem Angriff geborgen.
Wie kann Theater ein solches historisches Drama erzählen, dessen Uraufführung am Freitag, 12. Januar, um 19.30 Uhr im Großen Haus des Theaters steigt? „Es soll natürlich nicht wie ein historisches Seminar wirken.“ Ebru Tartıcı Borchers verweist auf die „magisch-poetischen Erzählmöglichkeiten“ des Schauspiels. Zudem hatte auch der berühmte Romancier, dessen „Serenad“ in der Türkei bereits in 70. Auflage erscheint, sich für eine Erzählung in Rückblenden entschieden: Ein 87-jähriger ehemaliger Hochschullehrer, Maximilian Wagner (gespielt von Klaus Zwick), lässt sich an die Schwarzmeerküste fahren, spielt dort auf seiner Geige jene selbst komponierte „Serenade für Nadja“ - und bricht zusammen. Maya Duran (Regina Leenders), von der Universität beauftragt, den hochbetagten Gelehrten zu betreuen, erkennt, dass sie selbst und ihr Gast unter Beobachtung des Geheimdienstes stehen.
Mit Filmszenen (in denen fast das gesamte Oberhausener Ensemble mitwirkt) ergänzt Ebru Tartıcı Borchers das unmittelbare Bühnengeschehen. Sie sei selbst als Zuschauerin „oft sehr ungeduldig“, sagt die Regisseurin: „Ich brauche auf der Bühne Action, Bewegung, Musik.“ Die liefert für sie allerdings kein Violinist, sondern der spanische Percussionist Dani Catalán Dávila.
Die Stimmen zum schrecklichen Schicksal der „Struma“ und ihrer Passagiere präsentiert ihre Inszenierung als persönliche gefärbte Erinnerungen: „Wir behaupten nicht, es ist so passiert.“ David Stoliar, der einzige Überlebende des Untergangs, schwieg jahrzehntelang über das Drama auf See. „Niemand konnte vom Schiff berichten“, sagt Ebru Tartıcı Borchers. „Man kann sich nur vorstellen, wie schlimm es an Bord war.“
Sie sei sehr gespannt, „wie das deutsche Publikum die Serenade erleben wird“. Ihr selbst ist diese Regiearbeit ein besonderes Anliegen. Und sie ist gespannt, ob der stets reiselustige und neugierige Zülfü Livaneli Zeit finden wird, sich eine der Oberhausener Vorstellungen anzusehen.
Karten für die Premiere der Uraufführung gibt‘s von 12 bis 32 Euro. Weitere Aufführungen folgen am Freitag, 19., und Mittwoch, 24. Januar, jeweils um 19.30 Uhr sowie in den folgenden Monaten. Alle Vorstellungen sind in deutscher Sprache mit türkischen Übertiteln geplant. Dramaturg Jascha Fendel nennt‘s „eine Einladung“ an jene, die vielleicht Bedenken haben, ihre Deutschkenntnisse könnten für einen langen (fast dreistündigen) Theaterabend zu lückenhaft sein.