Oberhausen. Festivalleiter Lars Henrik Gass soll angeblich mit einem solidarischen Facebook-Post für Israel palästinensische Berliner „stigmatisiert“ haben.
Gefährdet ein Facebook-Appell die Internationalen Kurzfilmtage im Herbst vor ihrem 70. Jubiläumsjahr? Am 20. Oktober platzierte Festivalleiter Lars Henrik Gass auf der Facebookseite der Kurzfilmtage einen Post, der dazu appellierte, in Berlin jene Demonstration (am 22. Oktober) zu unterstützen, die Solidarität mit Israel und mit den deutschen Jüdinnen und Juden zeigen wollte. Darin der Satz: „Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamasfreunde und Judenhasser in der Minderheit sind.“
Für eine ominöse „International Film Community“, hinter derem klangvollen Namen keine in der Filmwelt anerkannte Institution steht, genügt dieser Satz, um einen geharnischten Boykott-Aufruf zu formulieren, dem online auch prompt 1500 Namen zustimmten. Die namenlosen Autoren des englischsprachigen Pamphlets beschreiben jenen Berliner Stadtteil, in dem der Hamas-Terror vom 7. Oktober mit Jubel und dem Verteilen von Süßigkeiten gefeiert wurde, als Ort „willkürlicher Polizei-Repression“. Ihre steile Schlussfolgerung: Die Gass’schen Formulierungen „entmenschlichen und stigmatisieren Palästinenser“. Dies dürfe man dem Festivalleiter nicht durchgehen lassen.
Gass: „Festival bleibt ein Ort des freien Denkens“
Routiniert liest sich der Satz des im Stil der BDS-Kampagne („Boycott, Divestment and Sanctions“) formulierten Aufrufs, man stehe „gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus“. Ebenso routiniert verweist man auf die Bedeutung der Internationalen Kurzfilmtage als „eines der weltweit größten Festivals“ seines Genres. Wörtlich: „Dies war ein Ort, um Solidarität, Kameradschaft und Unterstützung für unterdrückte Völker zu zeigen.“ Aus Sicht der Boykott-Kampagne habe nun der 58-jährige Festivalleiter mit dieser Tradition gebrochen.
Der Aufruf endet mit einem Appell an Filmschaffende weltweit „ihre Haltung gegenüber dem Festival zu überdenken“. In einem zweiten Facebook-Post zum Thema mäßigt Lars Henrik Gass seine Wortwahl und schreibt: „Meine Absicht war nicht, die palästinensische Bevölkerung pauschal zu stigmatisieren.“ Versöhnlich schließt er mit dem Ausblick „das Festival bleibt ein Ort des freien Denkens und der Diskussion“, und weiter: „Wir wünschen uns, dass der Dialog fortgesetzt wird.“
Deutsche Filmschaffende „demaskieren“ Antisemitismus
Zu einer Stellungnahme, ob und welche tatsächlichen Folgen der Boykottaufruf für die vom 1. bis 6. Mai 2024 geplanten 70. Kurzfilmtage hat, zeigte sich Gass gegenüber dieser Redaktion nicht bereit.
Deutliche Worte findet dagegen ein „Offener Brief von über 550 deutschen Filmschaffenden“, publiziert vom Münchner Online-Filmmagazin artechock.de, und unterzeichnet von zahlreicher Prominenz wie Meret Becker oder Edgar Reitz. Dieser Text nimmt zwar nicht direkt Bezug zum Boykottaufruf, beschreibt aber dessen Autoren punktgenau: „Wir verurteilen jede Form des Antisemitismus: auch dort, wo er sich hinter der Maske angeblich emanzipatorischer Diskurse versteckt.“