Oberhausen. Die fürchterlichen Gräueltaten der Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten bestimmen die Gedenkfeier zur November-Pogromnacht vor 85 Jahren.
Vor 85 Jahren ist die Oberhausener Synagoge an der Friedenstraße 24, nicht weit entfernt vom Hauptbahnhof, von den Nazi-Schergen niedergebrannt worden – in Sichtweite jüdischer Familien. Die Pogromnacht, früher verharmlosend „Kristallnacht“ genannt, war der Auftakt zum fürchterlichsten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte, der Ermordung von sechs Millionen Juden.
War in den vergangenen Jahren das Gedenken an die Pogromnacht des 9. Novembers 1938 ein Ritual, über das so mancher schon irrtümlich gedacht hat, es sei gar nicht mehr so unbedingt nötig, so haben das Massaker der Hamas-Terroristen auf 1400 unschuldige Zivilisten in Israel und die darauf folgende Antisemitismus-Welle in Deutschland traurigerweise gezeigt, wie wichtig der Einsatz gegen Judenhass ist.
Und so haben sich an der Friedenstraße an diesem Donnerstagabend über 120 Bürger und Verantwortliche der Stadtgesellschaft versammelt, um gemeinsam zu demonstrieren: „Nie wieder!“. Doch die Realität an diesem Abend demonstriert, dass selbst solche, eine im Grunde harmlose Versammlung für und mit Juden derzeit gleich doppelt geschützt werden muss: Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeiter sperren an beiden Seiten die Friedenstraße ab, um die Sicherheit zu gewährleisten. „Wir sehen so viel Hass auf den Straßen in Deutschland, wir bekommen Angst, nicht nur die Juden, sondern alle“, beschreibt Lev Schwarzmann, der Vorstandsvorsitzende der Liberalen Jüdischen Gemeinde im Ruhrgebiet, am Mikrofon die Gemütslage.
Oberbürgermeister Daniel Schranz: Eine unerträgliche Welle von Antisemitismus
Oberbürgermeister Daniel Schranz versicherte in seiner Rede, dass „wir alle uns hier dem Antisemitismus entgegenstellen“. Denn: „Unerträglich ist die Welle von Antisemitismus, die sich seit dem Massaker am 7. Oktober 2023 immer weiter auftürmt. Sie rollt durch viele Länder der Welt, und sie rollt auch durch Deutschland. Und das können wir nicht hinnehmen, das wollen wir nicht hinnehmen und das dürfen wir nicht hinnehmen.“ Kräftiger Beifall der Runde an Zuhörerinnen und Zuhörern, die sich um die ehemalige Synagoge an der Friedenstraße versammelt haben.
Und in Zeiten, in denen interessierte politische Kreise versuchen, Judenhass ausschließlich Muslimen zuzuschreiben, und andere wiederum, die den Antisemitismus vor allem bei Neonazis sehen, legt das Oberhausener Stadtoberhaupt Wert auf die Feststellung: „Sein Ursprung spielt keine Rolle: Antisemitismus ist immer inakzeptabel – egal ob rechtsextremistisch, linksextremistisch oder islamistisch motiviert. Antisemitismus ist immer unentschuldbar. Mit unserer Zusammenkunft ächten wir Antisemitismus in jeder Form.“ Wieder Beifall in der Runde nach diesen Worten. Den Terrorakt der Hamas bezeichnete Schranz als „aktuellen Pogrom“. Mit „furchtbarsten Gräueltaten“ seien seit dem Ende der Shoah an keinem Tag so viele Jüdinnen und Juden ermordet worden wie an diesem 7. Oktober vor nicht einmal fünf Wochen.
David Geballe, Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen hebt zum Gedenkgebet für die Opfer der Shoah und des Hamas-Terroranschlags an – und sagt mit Blick auf die Täter, auf die Nazis und die Hamas-Terroristen: „Möge ihre Erinnerung und ihr Name ausgelöscht werden!“
Schwarzmann redet frei, spricht von Herzen, wenn er sich zwar für die Worte von Oberbürgermeister Daniel Schranz bedankt („Das war bewegend und wichtig“), doch zugleich Zweifel durchblicken lässt, dass Gedenkveranstaltungen tatsächlich ein „Nie wieder!“ verhindern – und dieser Staat danach seine Politik ausrichtet. So habe er in einer Runde zur Willkommenskultur in Oberhausen im Jahre 2015, als viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen, erhebliche Bedenken aus jüdischer Sicht geäußert: „Deutschland kann doch nicht ohne Kontrolle so viele Menschen aus Ländern hereinlassen, in denen Juden so sehr gehasst werden.“ Man habe ihn damals nur verwundert angeschaut.
Liberale Jüdische Gemeinde: Kampf zwischen Zivilisation und Mittelalter entbrannt
Durch den Krieg in der Ukraine und den Krieg der Hamas-Terroristen sei nun der „Kampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Zivilisation und Mittelalter, zwischen Wahrheit und Lüge“ entbrannt. „Die Barbaren brauchen keine Wahrheit und keinen Frieden. Der Mob hat nur ein Ziel: die Auslöschung des jüdischen Volkes. Dafür leben die. Es beginnt mit dem jüdischen Volk, dann sind die anderen Völker dran.“
Auch wenn Mitglieder der Liberalen Jüdischen Gemeinde an diesem Gedenktag auf der Friedenstraße ein jüdisches Friedenslied mit viel „Shalom“ singen, ist der Frieden in der Realität wohl noch weit weg. Schwarzmann erzählt, wie in Oberhausen Vertreter der muslimischen Gemeinden und der Evangelischen Kirche kürzlich zu ihm gekommen seien, um für den Frieden und Waffenstillstand im Gaza-Streifen und in Israel zu beten. „Wir haben gesagt, dass wir einen solchen Frieden jetzt nicht wollen, er wäre gegen die Wahrheit. Erst wenn alle Geiseln der Hamas entlassen werden, kann es einen Waffenstillstand geben.“ Das gemeinsame Gebet zwischen Christen, Muslimen und Juden kam in Oberhausen nicht zustande.