Oberhausen. Die Feuerwehr Oberhausen holte das tote Mädchen aus dem Kanal. Der Anblick – kaum zu ertragen. Ein besonderes Team hilft, damit fertig zu werden.

Dort ist es passiert: Zwischen der Brücke „Slinky Springs to Fame“ und der Rohr-Brücke am Kaisergarten in Oberhausen hatte ein Dinslakener seine tote Tochter mit Gewichten beschwert in den Rhein-Herne-Kanal geworfen. Berufsfeuerwehrleute aus Oberhausen halfen der Mordkommission in der Nacht zum Samstag (7. Oktober 2023) bei der Suche nach der Dreijährigen. Taucher entdeckten das Kind am Grund und holten es hoch. Wie soll man so etwas vergessen?

Der Abend ist lau, tagsüber waren es rund 20 Grad. Der Himmel ist bewölkt, die Blätter in den Bäumen rascheln in der Dunkelheit. Natürlich haben die Einsatzkräfte Licht gemacht, man will ja etwas sehen. Die Taucher halten das kalte Kind im Arm, den kleinen Körper, schon aufgedunsen von den Stunden im Wasser. Ihr Vater, so informierte die Polizei später, hatte sie zuvor tagelang im Keller des Mehrfamilienhauses eingesperrt. Die Obduktion ergab: Sie ist an Erbrochenem erstickt. Jetzt liegt das Mädchen dort im Leichensack, auf den sich unwillkürlich auch die Blicke von vier weiteren Einsatzkräften richten, als er noch einmal geöffnet werden muss. Sie sehen ihr genau ins Gesicht. Wie kann man so etwas vergessen?

„Manchmal ein Leben lang nicht“, weiß Markus Hangert. Er ist Einsatzleiter bei der Berufsfeuerwehr Oberhausen und Mitglied des dortigen PSU-Teams. PSU steht für psychosoziale Unterstützung. Längst nicht jede Feuerwehr verfügt über eine solche Einheit. Oberhausen ist auf diesem Gebiet weit vorne. Elf zusätzlich ausgebildete Feuerwehrleute unterstützen in unserer Stadt ihre Kolleginnen und Kollegen dabei, belastende Eindrücke zu verarbeiten. Drei weitere befinden sich noch in der Ausbildung. Sechs Monate dauert diese in der Regel, sie findet meist an den Wochenenden statt. Dazu kommen acht intern ausgebildete Helfer, die „ihre Augen und Ohren bei der Freiwilligen Feuerwehr für uns offen halten“.

Die Einsatzkräfte der Feuerwehr wissen nie, was auf sie wartet

Brände, Unfälle, tote Kinder: Was Feuerwehrleute in Oberhausen erleben, ist oft nur schwer zu verkraften. Hier bei der Brandbekämpfung in einem Mehrfamilienhaus auf der Ebertstraße am 11. Juni 2021.
Brände, Unfälle, tote Kinder: Was Feuerwehrleute in Oberhausen erleben, ist oft nur schwer zu verkraften. Hier bei der Brandbekämpfung in einem Mehrfamilienhaus auf der Ebertstraße am 11. Juni 2021. © Feuerwehr Oberhausen

„Denn was die Einsatzkräfte erleben, ist manchmal nur schwer zu ertragen“, sagt Hangert. „Meist wissen wir gar nicht, was da auf uns zu kommt.“ Einsätze des Rettungsdienstes bei häuslicher Gewalt zählen dazu, ein Brand in einem Mehrfamilienhaus, ein Unfall. „Als ich noch in der Ausbildung war, wurde ich zum Beispiel zu einem Unfall auf der Autobahn geschickt, ein Wagen war unter einen Lkw geraten“, erinnert sich Hangert noch gut. Drei, vielleicht auch vier Menschen hatten wohl in dem Pkw gesessen. Es war nicht mehr viel von ihnen übrig. „Ich behalte die Details für mich“, sagt Hangert. Auch darüber klärt das Team heute seine Kollegen auf. Nicht jeder könne alles hören, das gelte auch für Familienangehörige. „Selbst die Schilderung eines solchen Vorfalles kann schon traumatisieren – und so zu einer Belastung für die Partnerschaft werden.“ Sich selbst und seine Familie schützen – das sei wichtig, um gesund zu bleiben.

Unterstützung auch bei privaten Problemen

Die Mitglieder des PSU-Teams der Berufsfeuerwehr Oberhausen führten im Jahr 2022 bereits 75 persönliche Einzelgespräche durch. Dazu kamen 30 Telefonate sowie 13 größere Gruppengespräche und elf Kleingruppen-Gespräche.

Die psychosozialen Unterstützungs-Einheiten sind auch Ansprechpartner bei persönlichen oder familiären Problemen. Verschwiegenheit ist dabei selbstverständlich. PSU-Mitglieder sind für die Erst-Einordnung zuständig. Bei weitergehendem Handlungsbedarf vermitteln sie an Therapie-Einrichtungen.

Meistens werden die Team-Mitglieder von den Kollegen selbst angefordert oder vom Einsatzleiter. „Wir warten dann auf der Wache, bis alle sich umgezogen haben und sich ein wenig sammeln konnten.“ Wer möchte, kann dann von dem Erlebten berichten. „In größeren Gesprächsrunden sind wir besonders aufmerksam, denn nicht jeder hat das Gleiche gesehen, gehört, gerochen.“ Immer wieder schließen sich deshalb Einzelgespräche an. Nach 14 Tagen folgt ein weiteres Treffen. „Spätestens nach sechs Wochen sollte alles verarbeitet sein.“ Bleiben danach noch auffällige Verhaltensmuster wie Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen, Flashbacks (unwillkürliche Erinnerungen, die nach einem Schlüsselreiz immer wieder von Neuem durchlebt werden müssen) – werden die geschulten Feuerwehrleute hellhörig. Dazu zählt auch, wenn ein Kollege, eine Kollegin plötzlich Suchtverhalten zeigt „oder andere Vermeidungsstrategien – wie ein gezieltes Umfahren eines Einsatzortes“.

Ein gut funktionierendes Netzwerk springt ein

In solchen Fällen können die Team-Mitglieder auf ein gut funktionierendes Netzwerk zurückgreifen, vermitteln etwa an die Trauma-Ambulanz in Essen oder an Psychotherapeuten. „Zum Glück werden seelische Belastungen durch unseren Beruf inzwischen ernst genommen“, meint Hangert. Als er noch Berufsanfänger war, habe er nach dem furchtbaren Unfall nur zu hören bekommen: „Junge, trink einen Schnaps, das wird schon wieder!“.

Auch das positive Beispiel des PSU-Teams aus Oberhausen habe dazu geführt, dass diese Einheiten in das Landeskonzept für die NRW-Brandschutzbedarfsplanung aufgenommen worden sind. „Nur psychisch gesunde Mitarbeitende können eine gute Leistung erbringen – diese Einsicht ist endlich durchgedrungen“, freut sich Hangert über eine Oberhausener Erfolgsgeschichte.

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