Oberhausen. Oberhausens geheimnisvollster Stadtteil liegt direkt am Gleis: Der Rangierbahnhof Osterfeld ist ein eigenes Reich der Lokomotiven und Waggons.

Wer mit dem Auto im Osterfelder Tunnel in die Cheruskerstraße einbiegt, taucht in eine erstaunliche Welt der Lokomotiven, der Waggons, der Weichen und schwerer Lasten ein. Der Osterfelder Standort von DB Cargo wirkt wie ein geheimnisvoller Stadtteil von Oberhausen und ist ein pulsierender Punkt des Warenverkehrs. Güterzüge werden hier neu zusammengestellt, Waggons präzise über das riesige Gleisfeld bewegt. Signale ertönen. Männer mit kräftigen Armen hantieren mit Kupplungen und Hemmschuhen, die auf die Gleise gesetzt werden und verhindern, dass sich Güterwagen unkontrolliert bewegen.

Gerald Schmidt aus Hünxe ist einer von ihnen. Der 43-Jährige ist Wagenmeister in Ausbildung und seit November 2022 bei DB Cargo beschäftigt. Vorher hat er 27 Jahre lang in einem Autohaus gearbeitet. Als es dort keine berufliche Zukunft mehr gab, hat er sich nach dem Tipp eines Bekannten dazu entschlossen, sich bei DB Cargo zu bewerben. Mit Erfolg. Mit seiner vorherigen Ausbildung als Kfz-Mechaniker konnte er eine perfekte Grundlage anbieten, um sich künftig um Güterzüge und Bahnverkehr zu kümmern. „Ich bin froh, dass mein beruflicher Wechsel so gut geklappt hat“, sagt Gerald Schmidt.

Quereinsteiger sind am Gleis in Osterfeld willkommen. Auch Detlev Bröder (55) aus Castrop-Rauxel ist so ein Fall. Er hatte zuvor eine Berufsausbildung als Kfz-Elektriker absolviert. Ende 2014 ist er mit damals 46 Jahren zu DB Cargo gewechselt. Er ist seit Oktober 2015 Wagenmeister und befindet sich in der Ausbildung zum Gruppenleiter.

Berufswelt am Gleis in Osterfeld: Hier halten alle zusammen, wie einst im Bergbau

E-Loks, Dieselloks, Rangierverkehr: DB Cargo stellt in Osterfeld Güterzüge rund um die Uhr neu zusammen.
E-Loks, Dieselloks, Rangierverkehr: DB Cargo stellt in Osterfeld Güterzüge rund um die Uhr neu zusammen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Was am Gleis in Osterfeld sofort auffällt: Hier halten alle zusammen. Es herrscht eine gute Kameradschaft etwa wie einst im Bergbau. Man muss sich in jeder Sekunde aufeinander verlassen können. Wo sich tonnenschwere Waggons bewegen, muss jeder Handgriff sitzen. Die Wagenmeister sorgen auf dem Gleisfeld dafür, dass Güterzüge sicher zusammengestellt werden, sie hantieren mit schweren Kupplungen und dem großen Klanghammer, der beachtliche 70 Zentimeter lang ist und auch dafür verwendet wird, die Radsätze auf mögliche Schäden oder Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Der Rangierbahnhof ist dabei keine reine Männerwelt mehr. Es gibt längst auch Wagenmeisterinnen. Und ihr Anteil wächst. Insgesamt arbeiten für DB Cargo am Standort Oberhausen, zu dem organisatorisch auch Herne-Wanne gehört, zusammen 710 Menschen. In Osterfeld-Süd zählen zum Beispiel 64 Lokrangierführer, 101 Rangierbegleiter, 184 Triebfahrzeugführer und 75 Wagenmeister zur Belegschaft.

Die Dimensionen des Osterfelder Bahnbetriebs sind erstaunlich. Täglich werden hier 700 Güterwagen rangiert. Es gibt 200 Weichen und 110 spezielle Gleise, davon 19 Berggleise, 66 Zugbildungsgleise, zwölf Einfahr- und Verbindungsgleise sowie 13 Abstell-, Tank- und Baudienstgleise. Der Rangierbahnhof in Osterfeld bildet zusammen mit dem Rangierbahnhof in Wanne-Eickel ein wichtiges Drehkreuz für die Stahl-, die Chemie- und die Automobilbranche. Zum Standort Oberhausen gehört auch der Bahnhof „Duisburg Ruhrort Hafen“, wo der gesamte internationale Containerverkehr abgewickelt wird. Außerdem kommt in der Anlage Oberhausen-West zum Beispiel Kohle aus den niederländischen Seehäfen an. Der Rangierbahnhof Osterfeld-Süd bildet dabei auch räumlich ein eigenes Reich der Gütermobilität: drei Kilometer lang und einen Kilometer breit. Seine Geschichte geht bis auf das Jahr 1888 zurück, als die ersten Planungen begannen. Die Bauarbeiten starteten im Sommer des Jahres 1889.

Ein eigenes Reich der Lokomotiven und Güterwagen: der Rangierbahnhof Osterfeld-Süd
Ein eigenes Reich der Lokomotiven und Güterwagen: der Rangierbahnhof Osterfeld-Süd © FFS | Kerstin Bögeholz

Wir erkunden – Sicherheitsweste, Schutzhelm und festes Schuhwerk sind dabei Pflicht – in Begleitung der DB-Cargo-Leute das Areal, gehen an einer Diesellok der Reihe 294 vorbei und an einer Elektrolok der Reihe 185. Beide Varianten sind hier nötig. Müssen Frachten zu einem gewerblichen Kunden gebracht werden, der zwar über einen eigenen Gleisanschluss verfügt, aber über keine entsprechende Oberleitung, kommt die robuste Diesellok zum Einsatz. Alle möglichen Frachten werden hier in Osterfeld auf Waggons bewegt und neu zu Zügen zusammengestellt: Chemieprodukte, Stahlteile, industrielle Ausrüstung – die Vielfalt der Warenwelt auf den Gleisen ist unerschöpflich. Standortleiter Hakan Güney bringt das so auf den Punkt: „Wir transportieren alles mit Ausnahme von Tieren und Menschen.“

DB Cargo in Osterfeld: Passgenaue Logistik für Großkunden wie Thyssenkrupp

Hakan Güney berichtet mit sichtlichem Stolz von seinem Team und von technischen Fortschritten – zum Beispiel von der Umrüstung der Bremssysteme hin zu leiseren Varianten; von den deutschlandweit 600 neuen Azubis, die DB Cargo als Einstellungsziel ansteuert; von den rund 50 künftigen Eisenbahnern im Betriebsdienst, die das Unternehmen pro Jahr in NRW einstellt; allein am Standort Osterfeld werden es im Jahr 2024 insgesamt 18 Azubis sein; von großen Kunden wie Thyssenkrupp, deren Produktion ohne die passgenaue Logistikleistung von DB Cargo sofort zum Erliegen käme.

Während der Standortleiter das am großen Konferenztisch an der Cheruskerstraße 25a erzählt, rauschen Lokomotiven direkt am geöffneten Fenster des Konferenzraumes vorbei, ertönen schrille Signale vom Gleisfeld. Osterfeld sieht von hier aus ganz anders aus: Waggons und Lokomotiven dominieren das Bild, die Wohnhäuser schmiegen sich im Hintergrund an die Gleise an. Der Kirchturm von St. Pankratius grüßt am Horizont, wirkt aber plötzlich viel kleiner als gewohnt. Die große weite Bahnwelt prägt das Panorama und weist hier selbst den lieben Gott in die Schranken.