Oberhausen. Zu ihrem Jubiläum zeigt die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen kostbare Porzellan-Figuren des Rokoko – und feiert die Erotik des Landlebens.
Industriespionage war schon lebensgefährlich, als es noch gar keine Industrien gab – sondern Manufakturen. So schickte die Seerepublik Venedig ihren nach Frankreich abgeworbenen Spiegelglas-Handwerkern im 17. Jahrhundert meuchelnde Agenten hinterher, so kostbar war das Monopol. Nicht minder geheimnisvoll war’s um die Rezeptur der Porzellanherstellung bestellt, denn die Kaiser von China hatten ihr Reich der Mitte weitgehend abgeschottet.
Jene kleinen Figuren, die jetzt die Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen mit nicht geringem Stolz unter dem Slogan „It’s a Passion“ präsentiert, waren also große Kostbarkeiten. Denn das Wissen ums Porzellan ließ sich auch von einem August dem Starken (1670 bis 1733) für kein Geld aus geheimen Fonds einkaufen. Der als „Alchemist“ am sächsischen Hofe angeworbene Johann Friedrich Böttger hatte das unwahrscheinliche Glück, das „weiße Gold“ 1708 ein zweites Mal zu erfinden. Europas nun über 300 Jahre alte älteste Porzellan-Manufaktur in Meißen, die bis heute ihre feine Ware mit gekreuzten Schwertern als Markenzeichen brennt, ist unter der Figuren-Hundertschaft der aktuellen Ausstellung entsprechend reich vertreten.
Einfach einzurichten ist eine Jubiläumsschau zum 25-Jährigen der Ludwiggalerie mit derart empfindlichen Exponaten wahrlich nicht. Aber Christine Vogt weiß das „ungewöhnliche Thema“ als Direktorin im Schloss Oberhausen natürlich sinnreich einzuordnen – nämlich als Hommage an das Sammlerpaar Peter und Irene Ludwig. Beide Mäzene schöpften aus dem Vermögen zweier Schokoladen-Dynastien. Kakao kannte man in Barock und Rokoko nur als flüssige Kostbarkeit für adelige Abnehmer. Und für deren Genuss waren feinste Services gerade gut genug – so also die familiäre Quelle der Ludwig’schen Porzellan-Sammlung, die sonst im berühmten Bamberger Brücken-Rathaus residiert.
Das prunkvollste Werk der „Passion“-Schau setzt diesen Hintergrund wie bestellt ins Bild: Eine adelige Dame im kostbar ausgemalten Krinolinenrock hat neben einem Miniatur-Tischchen Platz genommen. Auf ihrem Schoß ein Mops, der müffelnde Modehund des Rokoko, an ihrer Seite ein Diener mit Turban, den Kinder des 20. Jahrhunderts sofort unkorrekt als „Sarotti-Mohr“ titulieren würden. Im Prachtkatalog zur Ausstellung ist diese Luxus-Skulptur in manchen Variationen zu sehen: Anstelle des Tischchens gibt’s auch einen bezopften Galan, der Dame die hoheitsvoll gereichte Hand küssend. Oder statt der Kakao-Tassen steht ein Vogelbauer auf dem Tischchen – in früheren Jahrhunderten war jedes „Vögel“-Attribut ein dreistes erotisches Signal.
Das schöne Landvolk ist „verkleideter Adel“
„Let’s talk about Sex“ – das steht für die reichen Genussmenschen des 18. Jahrhundert in zarten Porzellanfarben (statt in plakativem Englisch) auf dem Gros der als Tischdekoration entworfenen Figuren. Aber die zeigen doch durchweg Menschen der arbeitenden Klassen? Vom Winzerehepaar bis zum Quacksalber mit seinem Äffchen, dem „It’s a Passion“-Posterhelden. Eben, kam man zwischen den zahlreichen Gängen über die niederen Stände ins Gespräch, führte solches Geplauder ins vermeintliche Idyll eines einfacheren Lebens – und schließlich zu Schäfer, Schäferin und ihren „Schäferstündchen“.
Handwerker und Landvolk sind, in Porzellan geformt, „alles schöne Menschen“, wie Christine Vogt betont: nirgends Pockennarben, stattdessen hübsche Kleider und teils gewagte Dekolletés. Eigentlich zeigten diese Kleinskulpturen „den verkleideten Adel“.
Und ihre Schöpfer, die ja „nur“ als Kunsthandwerker galten, stellten sich selbstbewusst den vermeintlich höher gestellten Künsten: Die Figurengruppe eines Kupferstiche-Verkäufers aus der Frankfurter Manufaktur Höchst steckt voller feinst ausgearbeiteter Details. Zwei Kinder bestaunen die Grafiken und „blättern“ sogar in den Bögen aus Porzellan. Die Züricher Figur einer schönen Malerin zeigt nicht nur Palette und Pinsel sowie den Reibstein für die Farben – sondern ein vollendetes Genre-Gemälde en miniature. Der Anspruch der Modellierer und der nicht weniger kunstfertigen Porzellanmaler: Was Grafiker und Maler können, können wir sogar dreidimensional.
Mit der schönsten Preußin endet das Lotterleben
Selbst an den darstellenden Künsten versuchten sich die Tischdekorateure mit Anspruch: Eine ganze Serie zeigt Typen der italienischen Commedia dell’arte in vollendet sprechenden Posen. Es brauchte schon eine welterschütternde französische Revolution, um die delikat gestaltete Freude an Frivolitäten auszubremsen. Die jüngste Leihgabe aus der Ludwig’schen Sammlung zeigt – in vornehmer Blässe und marmorähnlichem Biskuitporzellan – die schönste Preußin: Die Büste von Königin Luise entstand 1795 nach einem Vorbild des Hofkünstlers Johann Gottfried Schadow. Er schuf ein Porträt von zurückhaltender Anmut. Das Lotterleben an überbordenden Tafeln war unter dem Ansturm Napoleons erst einmal zerschellt.
Spiegel und große Fotos weisen auf feinste Details
Die Jubiläumsausstellung „It’s a Passion“ ist bis zum 17. September im Großen Schloss der Ludwiggalerie zu sehen. Ein faszinierender „Wegweiser“ zu den feinen Details der Figuren sind dort die großformatigen Fotografien von Thomas Wolf. Manche Exponate stehen auch auf oder vor Spiegeln, um auf alle Feinheiten des barocken Kunsthandwerks hinzuweisen.
Der großformatige Katalog, 130 Seiten stark und erschienen im Kerber Verlag, kostet 29,80 Euro, erhältlich im Museumsshop sowie im Buchhandel.
Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro. Ein Flyer sowie der Webauftritt ludwiggalerie.de informieren über das üppige Begleitprogramm von Führungen und Vorträgen bis zum Kindergeburtstag im Schloss Oberhausen.