Oberhausen. „Der lange Schlaf“, die 18. Premiere der neuen Oberhausener Intendanz in der Spielzeit 2022 / ’23, bietet große Bilder, aber wenig Tiefgang.
Der Panoramablick auf die Apokalypse ist auf jeden Fall sehenswert. Das wusste schon der unvergleichliche Douglas Adams, als er vor über 40 Jahren sein „Restaurant am Ende des Universums“ eröffnete. Etwas vom satirischen Touch des Briten hätte auch dem Drama des deutsch-irischen Australiers Finegan Kruckemeyer gut getan. So bietet „Der lange Schlaf“, die 18. und letzte Premiere einer ungemein emsigen und nicht minder erfolgreichen Spielzeit am Theater Oberhausen, zwar enorme Schauwerte. Doch aus der hochspannenden Ausgangs-Konstellation wird in der zweiten Hälfte der 110 Minuten ein süßsaures Melodram, wie es allenfalls Marvin, dem depressiven Androiden aus Adams’ Feder, gefallen könnte.
Die Diagnose trifft schmerzhaft genau
Immerhin, die Diagnose trifft schmerzhaft genau. Noch sieben Jahre bis 2030, dem Ausgangspunkt der Kruckemeyer’schen Science-Fiction: In einer poetisch-kraftvollen Sprache, die Großes erwarten lässt, umreißt der 42-jährige Vielschreiber das planetarische Verhängnis. Den Schleuderkurs unseres blauen Planeten in den Abgrund hätte in ähnlich „schrecklicher Schönheit“ wohl nur ein William Butler Yeats beschreiben können. Das Bühnenbild dazu ist eine Wucht: Der Boden dunkel mit geschwärzten Brocken überkrustet, hier und da ein wie zufällig liegen gebliebener Bildschirm.
Doch Videokünstler Stefano Di Buduo bespielt die Rückseite des Bühnenraumes nicht mit den erwartbaren Nachrichten-Bildern von Dürren oder Überflutungen in paradoxer Gleichzeitigkeit. Seine streng stilisierte Schwarz-Weiß-Kunst bewegt sich wogend bis an den Bühnenrand: Man assoziiert Brandung oder Wolkentürme in diesen genial zwischen Abstraktion und Abbildung changierenden Bildern.
Finegan Kruckemeyers vor dieser gewaltigen Kulisse agierende Figuren sind längst nicht so fein gezeichnet, sondern zum größeren Teil klischeehafte Thesenträger. Dabei bietet Regisseur Christoph Mehler mit fünf Schauspielerinnen und fünf Schauspielern das halbe Ensemble plus Gäste für „Der lange Schlaf“ auf. Doch ein Könner wie Klaus Zwick wirft seine ganze Spielfreude als Minister Warwick Grant in die Karikatur eines karrieristischen Polit-Fieslings. Vor fünf Jahren, in Stanislaw Lems eisiger Satire „Der futurologische Kongress“, durfte er ungleich doppelbödiger agieren.
Die Menschheit kann ein Jahr nicht widersprechen
Bei Lems wie bei Kruckemeyers Science-Fiction für die 2030er spielt ein Aerosol die heimliche Hauptrolle des „MacGuffin“, wie Alfred Hitchcock diesen erzählerischen Coup genannt hätte: Aus dem Psycho-Spray des Polen wird nun „52 E - 501 E“, das potente, gasförmige Schlafmittel für die Menschheit, im Schriftband am Bühnenrand amüsant dargestellt als schier endlose Formel. „Wir brauchen nicht die schlaueste, wir brauchen die richtige Antwort“, tönt der Minister. „Es funktioniert, weil wir ein Jahr nicht widersprechen können.“
Für die Risiken und Nebenwirkungen des einjährigen Winterschlafes der Menschheit zwecks dringender Erholung der irdischen Natur findet Kruckemeyer schaurig-schöne Beispiele. So erzählt Anna Polke als Cassandra (aber ohne Bezug zur trojanischen Seherin) von den Hunden, die – aus den Häusern der Schlafenden ausgesperrt – zu urbanen Wölfen mutieren: „Es ist, als wären wir nie Freunde gewesen.“ Und Samia Dauenhauer klagt als Chidera um ihr ertrunkenes Kind, das einer durch die Millionenmetropole Lagos schwimmenden Meeresschildkröte hinterher tauchte.
Doch die eindringlichsten Dialoge gehören Maggie und Pete (Franziska Roth und Khalil Fahed Aassy), die beide nicht in den „Winterschlaf“ fielen, weil ihnen synthetische Lungen implantiert worden waren. Maggie gesteht, wie sie mit gehortetem Benzin den verheerenden Brand eines Wohnblocks auslöste – und wie ihr Rettungsversuch an den verwilderten Tieren scheiterte. Hier spielt das bis dahin teils satirische Bühnenepos clever mit der bösen Menagerie der Düster-Genres.
Doch mit dem (bösen) Erwachen nach einjährigem Knockout vertändelt sich „Der lange Schlaf“ an ein konfektioniertes „Well-made Play“. Finegan Kruckemeyer, der für die Bühnen seiner Heimat fast ebenso pfeilschnell produziert wie 200 Jahre vor ihm Eugène Scribe, der Erfinder des Genres, wandelt jetzt Emily Metcalfe (Simin Soraya), die idealistische Erfinderin des „Winterschlaf“-Coups, zur kühlen Machtpolitikerin. Und er „enthüllt“ ihre private Agenda – eine Wendung, wie man sie besser den Fließband-Autoren für Streaming-Serien überlassen hätte. Ihre populistische Erkenntnis: „Leider wird nahezu jedes Land von den falschen Menschen geführt.“
Zum Schluss rüstet sich das Ensemble für einen weiteren „langen Schlaf“. Und der wunderlich schöne Baum, der mit seinen Ästen voller rosafarbener Blüten die Silhouette einer menschlichen Lunge bildet, entschwebt wieder in den Bühnenhimmel. Großer Applaus für ein verwegenes, aber auch krudes Gedankenspiel.
Auch im Repertoire der kommenden Spielzeit
Eine weitere Vorstellung im Mai folgt am Mittwoch, 31., im zeigt das Theater „Der lange Schlaf“ am Freitag, 2., Sonntag, 4. (18 Uhr), Mittwoch, 14., Freitag, 16., und Samstag, 17., jeweils um 19.30 Uhr
Karten kosten von 11 bis 23 Euro, 0208 8578 184, per Mail an service@theater-oberhausen.de. In der kommenden Spielzeit 2023/’24 zählt das Drama von Finegan Kruckemeyer ebenfalls zum Repertoire.