Oberhausen. Der Saitenkünstler entzückt nicht nur mit seinem Repertoire von Neuheiten bis zu alten „Showtunes“. Auch die Mimik des 71-Jährigen spricht Bände.
Nein, es liegt längst nicht immer am Alter. John Scofield, ein köstlicher alter Knabe, legt als Gitarren-Solist einen Elan an den Montagabend, den auch bedeutend Jüngere nur bestaunen können. Und dass der 71-Jährige im bis hoch zu den Rängen ausverkauften Ebertbad in Socken auf die Bühne tappt – das hat weder mit Vergesslichkeit noch mit drückenden Cowboystiefeln zu tun. Sondern mit Feingefühl.
Denn das schlicht als „Solo“ angekündigte Konzert des weltbesten Jazzgitarristen, der sich den Olymp allenfalls noch mit John McLaughlin und Pat Metheny teilt, ist vielmehr ein staunenswertes Duett mit sich selbst: Den Rhythmuspart übernimmt das kleine Loop-Maschinchen – und dem widmet „Sco“ eben mehr Feingefühl als einem üblichen Effektpedal. Deshalb nimmt der Solist ja auch Platz zwischen zwei kleinen Fender-Verstärkern. Der Meister selbst nennt es „Schummeln“, doch das Gegenteil ist wahr: Erstmals ganz ohne Band oder einen Duo-Mitspieler auf Konzertreise, präsentiert John Scofield eine Essenz seiner stilprägenden Jahrzehnte als Musiker.
Vor 45 Jahren veröffentlichte er sein erstes Soloalbum mit dem schlichten Titel „John Scofield“ – und genauso heißt auch die aktuelle Studio-CD, eingespielt nur mit seiner Gitarre, seinem „Schummel“-Pedal und dem famosen Tonmeister Tyler McDiarmid. Die erste Überraschung, auf Tonträger und live im Ebertbad: Der einst mit dem Blues durchstartende Virtuose kultiviert als Solist seine tiefe Zuneigung zu den Standards des American Songbook. Er nennt die alten Broadway-Songs liebevoll „Showtunes“ und erklärt, fast überrascht: „Sie hatten auch Texte, wisst Ihr?“
Sechs Gitarrensaiten sind ein ganzes Orchester
Die meint man sogar dank des vollen, singenden Saitenklangs zu vernehmen. „My Funny Valentine“, am berühmtesten in der gehauchten Gesangsversion von Chet Baker, war damit der perfekt gewählte Einstieg: So ätherisch wie einst vor 70 Jahren, aber dank des Loops unterfüttert von einem satt rollendem Rhythmus. Erst fühlt man sich in Versuchung, den Text mit zu summen, doch dann driftet das Gitarrenspiel in die modalen Formen eines träumerischen Raga-Jazz.
In Scofields kräftigen Händen sind die sechs Saiten seiner schwarzen Ibanez eben ein ganzes Orchester. Bei „Twang“ klingt das Edel-Fabrikat aus Nagoya für Momente wie ein böser britischer Rock-Bass – ganz anders eben als beim versonnen angekündigten „Mrs. Socfield’s Waltz“, dem zarten Liebesbeweis für seine Frau und Managerin Susan Scofield. Hier glänzt ihr Gatte mit superben Hall-Effekten.
Scofield: „Ich werde nicht singen, niemals“
Genießen durften die versammelten Jazzfans auch das Mienenspiel, mit dem John Scofield nahezu jeden Akkord kommentiert. Zu den fettesten Sounds öffnet sich der vom weißen Ziegenbart umrahmte Mund zu einem großen staunenden „O“: Die Freude an den eigenen Improvisationen könnte nicht größer sein.
Richard Rogers’ 88-jährigen Evergreen „It’s Easy to Remember“ rezitiert der Nicht-Sänger aus Wilton, Connecticut, mit einem Leonard Cohen würdigen Timbre. Später versichert „Sco“ aber mit Nachdruck: „Ich werde nicht singen, niemals.“ Doch das heißt ja keineswegs, dass er nicht dem Zauber der Worte in den alten Songs nachspüren würde. Vielmehr zeichnet sein klingender Pointillismus die Stimmungen der kleinen „Showtunes“-Dramen fast Wort für Wort nach.
Scofield: „Die Klassiker sind eben unschlagbar“
In einen „Tin Pan Alley“-Themenabend sollte sich dieses hinreißende Solokonzert dann doch nicht verwandeln. Scofield präsentierte sogar eine Neuheit, der er bisher nur den (allerdings treffenden) Arbeitstitel „Funk with Chords“ gegeben hatte: Ein Spaß mit tiefergelegter Melodie und dem als Bassdrum gebrauchten Daumen. Hörte dies Nils Landgren, der Lila-Launebär des poppigen Jazz, würde er das Arrangement wohl klauen und davoneilen.
Zur größten Überraschung des einstündigen ersten Konzertteils avancierte das Medley aus Burt Bacharachs „Alfie“ und Leonard Bernsteins „Maria“: Dem vermeintlichen Easy Listening huldigte der Gitarrist mit zärtlicher Hingabe, ließ aber dann mit fiebriger Intensität die drohende Gang-Gewalt der „West Side Story“ aufflackern: Wer „Maria“ nur als prächtige Schnulze kennt, dem dürften sich Augen und Ohren geöffnet haben.
Dafür ließ das Ebertbad ihn hochleben
„Die Klassiker sind eben unschlagbar“, meinte der gefeierte Solist – um im zweiten Konzertteil noch hochtouriger aufzudrehen. Bei diesem Meister aller Genres allerdings sind die Kunstgriffe kein wohlfeiles Heischen nach Szenenapplaus (den gab’s trotzdem), sondern wahre Kunst. Ob er die Saiten dehnt oder klirren lässt, der einzigartige Scofield-Ton bleibt stets auf der richtigen Seite von traumschön. Dafür ließ das Ebertbad ihn hochleben. Es war hochverdient.
Mehr von „Sco“ in Bild und Ton
Wer keine Konzertkarten mehr ergattern konnte, kann sich trösten: Zum einen mit dem neuen Tonträger, schlicht betitelt „John Scofield“ und erschienen beim Münchner Edel-Label ECM. Knapp die Hälfte des Album-Repertoires präsentierte „Sco“ auch live im Ebertbad – allerdings in ausgedehnteren Versionen, denn die Spielfreude war groß.
Scofield mit seiner Band „Combo 66“ kommt der Dokumentarfilm „Inside John Scofield“ von Joerg Steineck ganz nahe. Zur hochklassigen „Combo“ zählt als Pianist übrigens Gerald Clayton, der erst vor wenigen Wochen im Ebertbad ein zündendes Klavierfestival-Konzert gab.