Oberhausen. . Der Neunjährige Levan wurde nach Moskau abgeschoben. Dort kann der Vater die Medikamente für den an Epilepsie erkrankten Sohn nicht bezahlen.
Es war ein Dienstag um 4 Uhr. Das Leben in Oberhausen findet am 6. März sein Ende. Nächster Halt: Moskau. Levan, Alexander und ihre Eltern sind aus dem Schlaf gerissen und in den Flieger gesteckt worden. Ihre Sachen konnte die Familie zwar noch packen, doch die lebenswichtigen Medikamente für den neunjährigen Levan konnten die Eltern nicht mehr besorgen. Der Junge leidet an Epilepsie und Cerebralparese, einer Störung des Gehirns. Das Leben in Moskau ist für ihn die Hölle, zeitweise verweigerte er die Nahrung. Er möchte zurück nach Oberhausen, zu seinen Freunden und Mitschülern. Levan gehe es schlecht.
Das alles berichtet Marina Khalo, die Dolmetscherin der Familie. Sie hat unserer Redaktion die traurige Geschichte des kleinen Levan erzählt.
Die Familie Lamandziia/Khazaliia stammt aus Georgien, wohnte zuletzt in Moskau. 2016 kam sie nach Deutschland, weil sie sich hier Hilfe für ihren kranken Sohn Levan erhofft hat. Mit fünf Jahren bekam der Junge seinen ersten epileptischen Anfall. Sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Die Medikamente waren in Moskau teuer. Das Gehalt von Vater Levan reichte nicht aus, um die Wohnung, Lebensmittel und die Medikamente zu bezahlen.
Alexander besuchte die GSO
Die Familie strandete in Bielefeld, stellte einen Asylantrag und zog im Dezember 2016 nach Oberhausen. Es lief gut, im Februar 2017 gingen die beiden Jungs zur Schule. Levan besuchte die Christoph-Schlingensief-Schule für Kinder mit Behinderungen, sein zwei Jahre älterer Bruder Alexander ging zur Gesamtschule Osterfeld. „Er war ziemlich gut in der Schule, half seinen Eltern zuhause mit der deutschen Sprache, die er mittlerweile richtig gut beherrschte“, meint Marina Khalo.
Khalo hat im Sozialpädiatrischen Zentrum im Evangelischen Krankenhaus (EKO) für Levan bei Untersuchungen und Terminen gedolmetscht. „Das letzte EEG, nur wenige Tage vor der Abschiebung, war zum ersten Mal richtig gut und gab den Eltern Hoffnung“, sagt sie. Am Tag der Abschiebung wurde der lang ersehnte und von der Krankenkasse genehmigte Rollstuhl und Therapiestuhl an die Schule ausgeliefert. Allerdings konnte die Familie die Hilfsmittel nicht mehr mitnehmen. Die Christoph-Schlingensief-Schule bemühte sich bislang vergeblich, den Rollstuhl nachzuschicken, weil es bei Paketdiensten Schwierigkeiten mit der Größe gebe.
In Moskau nutzt Levan seinen alten, inzwischen kaputten und zu klein gewordenen Rollstuhl, der nicht durch das Treppenhaus passt. Die Eltern tragen ihren Sohn. Seit sie in Moskau sind, sei der Junge nur wenige Male draußen gewesen. Moskau sei nicht behindertengerecht, schildert die Mutter die Situation. Das bestätigte uns auch eine Journalistenkollegin, die in Russland lebt. „Es gibt keine Schule, die Levan aufnehmen würde. Die Zentren der Heilpädagogik sind alle nicht unentgeltlich. Jede Untersuchung, jedes Medikament kostet viel Geld – egal, ob mit Rezept oder ohne“, erklärt Khalo. Auch die Arbeitslosenhilfe und das Behindertengeld seien sehr gering.
Levan ist auf seine Medikamente angewiesen. „Sie sind aber in Russland für die Familie unbezahlbar“, so Khalo. Der Vater müsste 24 Stunden am Tag arbeiten, um 500 Euro monatlich zu verdienen, rechnet sie vor. Und das in einer Stadt, die zu den teuersten der Welt gehöre.
„Es geht für uns in Moskau um das reine Überleben“, schildert die Mutter. „Einen Job wird mein Mann schon finden, um die Kinder ernähren zu können – mehr ist nicht drin. Ein Auto werden wir unbedingt brauchen, um Levan zur Schule zu fahren – einen Krankentransport wie in Deutschland gibt es hier nicht. Wie wir Job und Pflege unter einen Hut bekommen – weiß ich nicht. Ohne meinen Mann bin ich kaum in der Lage, Levan zu pflegen. Schließlich ist er schon neun Jahre. Wir tragen ihn sogar zusammen zur Toilette“, schreibt Levans Mutter in einem Brief. „Wir bräuchten eine behindertengerechte Unterkunft. So was gibt es hier aber nicht. Wir müssten eine Wohnung kaufen (Kaufpreis ca. 100.000 Dollar) und umbauen. Woher sollen wir aber so viel Geld herzaubern? Ermäßigungen oder Wohngelder sind für Behinderte nicht vorgesehen.“
All das waren Gründe, warum die Familie nach Deutschland gekommen ist.
Auch in Oberhausen hat die Abschiebung Spuren hinterlassen. Die Klassenkameraden von Levan seien entsetzt und könnten nicht verstehen, warum der Junge plötzlich nicht mehr in die Schule kam. Sie schickten ihm Videobotschaften, schildert Khalo. Levan würde gern zurückkehren. In der Christoph-Schlingensief Schule habe er sich gut aufgehoben gefühlt, er vermisse seine Klassenkameraden und Lehrer.
Ein Vater will helfen
Ein Vater aus Oberhausen, dessen Kind ebenfalls an Epilepsie leidet und die Christoph-Schlingensief-Schule besucht, engagiert sich an der Seite von Marina Khalo, um Levan in seiner Entwicklung zu unterstützen. Er war geschockt, als er hörte, dass die Familie abgeschoben worden ist. „Durch unser eigenes Schicksal kann ich mich in die Not der Eltern hineinversetzen“, sagte er der Redaktion. Und er weiß: Wenn Epilepsie nicht regelmäßig behandelt wird, bildet sich die Krankheit stärker heraus.
Er hat bereits ein Zentrum für Heilpädagogik in Moskau gefunden, von dem er sich erhofft hat, man könne dort der Familie Khazaliia helfen. Doch schon allein die Beratung koste bereits Geld. Doch er will nicht aufgeben und versucht weiter, über deutsch-russische Vereine zu helfen.
Da die Familie Lamandziia/Kazalii nicht aus einem unsicheren Herkunftsland kommt, lagen nach Angaben der Stadt keine Abschiebungsverbote nach dem Aufenthaltsgesetz vor. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte nach Angaben der Stadt am 10. November 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab. Dieser Ablehnungsbescheid, so Dolmetscherin Khalo, sei auf dem Postweg verloren gegangen und erreichte die Familie erst vier Monate später.
Sie legten Klage und einen Eilantrag auf aufschiebende Wirkung ein – ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf lehnte sie mit Beschluss vom 20. Oktober 2017 ab. In der Begründung habe das Gericht die Auffassung vertreten, dass sich im Falle einer Abschiebung in die Russische Föderation der Gesundheitszustand des Kindes nicht wesentlich verschlechtern würde. Im Januar 2018 teilte das Bundesamt für Migration mit, dass Abschiebungsandrohung vollziehbar sei.
Ärztliche Atteste für den Jungen wurden von den Eltern der Ausländerbehörde Oberhausen nicht eingereicht, erklärt die Stadt auf Nachfrage der Redaktion. Der Familie habe keine ärztlichen Bescheinigungen vorgelegen, als sie nach Deutschland flüchteten. „Sie kamen völlig unvorbereitet“, sagt Marina Khalo.
„Die Ausländerbehörde Oberhausen hat eigeninitiativ die gesamte Abschiebemaßnahme vom Wohnort Oberhausen bis zum Flughafen Frankfurt/Main ärztlich begleiten lassen; ein Rollstuhl stand als Leihgabe zur Verfügung“, erklärt die Stadtverwaltung auf Nachfrage der Redaktion. Die nächtliche Abholzeit der Familie war der Flugzeit geschuldet, heißt es weiter.
Die Arbeitserlaubnis kam erst spät
Beide Eltern haben in Deutschland einen Deutschkurs besucht und mit dem Zertifikat A 1 abgeschlossen. Weitere Kurse seien nicht genehmigt worden, schildert Marina Khalo. „Der Vater wollte in Deutschland unbedingt arbeiten, um dem Staat nicht zur Last zu fallen“, erklärt sie weiter. Er habe das Jobcenter um Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz bzw. einer Bildungsmaßnahme gebeten, habe jedoch lange auf die Arbeitserlaubnis warten müssen. Sie kam erst kurz vor der Abschiebung.