Mülheim. Vier Kommunalpolitiker aus Mülheim erklären, was lokale Politik erreichen kann, warum Mitmachen wichtig ist, wie sie mit Drohbotschaften umgehen.
Unser Grundgesetz wird 75. Sein Name ist Programm. Es ist die Grundlage unserer Demokratie. Deshalb sprach die Lokalredaktion zum Verfassungsgeburtstag mit den Spitzen der drei größten Ratsfraktionen in Mülheim darüber, warum sie sich im Rahmen der grundgesetzlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung für unsere Demokratie engagieren.
Christdemokratin Christina Küsters sagt: „Ich liebe Mülheim und möchte es noch liebenswerter machen.“ Mit ihrer Amtskollegin Brigitte Erd von den Grünen ist sie sich darüber einig, „dass Demokratie vom Mitmachen lebt.“ Erd sieht den voranschreitenden Individualismus, der oft intolerant auftrete und aus einer mangelnden Erziehung zur Solidarität und Demokratie gespeist werde, als ein Grundproblem unserer Demokratie. „Im Zentrum des Grundgesetzes steht für mich der Gemeinschaftsgedanke. Deshalb müssen wir raus aus unserer Komfortzone und uns für unsere Gesellschaft engagieren“, betont sie.
In Lokalpolitik in Mülheim „zeigen sich unmittelbar die Ergebnisse“
Während Erd durch die Friedens- und Umweltbewegung 1990 zu den Grünen fand, fand ihre sozialdemokratische Amtskollegin Margarete Wietelmann durch ihren Geschichtslehrer und durch Willy Brandt in den 1970er Jahren ihre politische Heimat in der SPD. „Für mich war es konsequent, erst einmal zu schauen, was ich vor Ort erreichen kann. Und dafür steht die Kommunalpolitik. Hier zeigen sich unmittelbar die Ergebnisse“, beschreibt sie den Beginn ihres kommunalpolitischen Engagements.
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Für Wietelmanns grünen Amtskollegen Timo Spors beginnt sein kommunalpolitisches Engagement schon beim Bahnfahren, beim Einkaufen oder in der Kneipe, wenn er sich mit seinen Mülheimer Mitmenschen darüber austauscht, was sie und ihn bewegt. „Dass sie nah an den Menschen dran ist“, begeistert Spohrs für die Kommunalpolitik.
Auch in Mülheim sind viele Ausgaben gesetzlich gebunden
Parteiübergreifend beklagen alle Fraktionsspitzen die strukturelle Unterfinanzierung der kommunalen Selbstverwaltung. Das kommunalpolitische Quartett sieht dabei vor allem den Bund und die Länder in der Pflicht. Erd fordert in diesem Zusammenhang eine Gesetzgebung, die dem Prinzip: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen!“ folge. Küsters fordert eine Altschuldenregelung, um die Kommunen zu entlasten und wieder handlungsfähig zu machen, „damit gute Ideen nicht weiter in der Schublade liegen bleiben, weil der Stadt selbst das Geld für den Eigenanteil fehlt.“ Für viel Bitterkeit sorgt aus ihrer Sicht in der Bürgerschaft die Unkenntnis darüber, dass der größte Teil der kommunalen Finanzmittel gesetzlich gebunden ist und deshalb nicht bedarfsorientiert in andere Töpfe des städtischen Haushaltes verschoben, werden kann.
Wietelmann sieht die Kunst der kommunalen Finanzpolitik angesichts minimaler Verteilungsspielräume in einer gerechten Prioritätensetzung. Sie lässt keinen Zweifel an ihrer Ansicht, dass dabei „zuvorderst die Bereiche Bildung und Soziales zu bedenken“ seien. Ihr grüner Amtskollege Spors sieht die Uhrzeiger der kommunalen Selbstverwaltung auf „Fünf vor 12“ stehen. Er beklagt, dass das Stadtparlament angesichts der Finanzmisere der hochverschuldeten Stadt oft keine Entscheidungsalternativen habe. Mit Sorge sehen alle befragten Fraktionsspitzen, dass die zunehmende finanzpolitische Handlungsunfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung auch zum Politik- und Demokratiefrust in der Bürgerschaft führt.
Drohbotschaften aller Art erreichen leider auch Mülheimer Politiker
Neben „einer gerechten Verteilung der Mittel“ sieht Sozialdemokratin Wietelmann, dass in der Demokratie nur redenden Menschen geholfen werden kann. Deshalb ist sie davon überzeugt: „Den Anfeindungen und dem Polarisieren kann nur begegnet werden, indem man miteinander ins Gespräch kommt, mit Offenheit die Dinge erklärt und um Verständnis für seine Ideen und sein Handeln wirbt.“
Ihre Amts- und Ratskollegen Küsters und Spors berichten von Drohbotschaften aller Art, die sie per Mail erreicht und nachdenklich, aber nicht mutlos gemacht hätten. „Es ist wichtig, sich gedanklich auf die vielen guten und konstruktiven Gespräche mit den anderen Menschen in unserer Stadt zu konzentrieren. Denn die, die gegen unsere Demokratie agieren, sind zum Glück deutlich in der Minderheit. Ich lasse mich von Angriffen jeglicher Art weder einschüchtern noch in meiner Arbeit beeinflussen“, sagt Timo Spors. Und Christina Küsters meint: „Ich mache weiter wie bisher. Denn weil Demokratie vom Mitmachen lebt, wäre es dramatisch, wenn wir uns von Anfeindungen einschüchtern ließen. Aber natürlich geht so etwas nicht spurlos an einem vorbei und man macht sich schon seine Gedanken.“
Nur wenige zur Übernahme eines kommunalpolitischen Amtes in Mülheim bereit
Nicht nur vor diesem Hintergrund fürchtet die grüne Fraktionssprecherin Brigitte Erd, „dass wir unsere parlamentarische Demokratie auf der kommunalen Ebene irgendwann nicht mehr aufrechterhalten können, weil es schon heute immer schwerer wird, Menschen zur Übernahme eines kommunalpolitischen Mandates zu übernehmen.“ Doch sie macht auch deutlich, dass spannende Themen und soziale Kontakte, aber auch kleine politische Erfolge, wie die Anlage eines neuen Radweges oder einer ökologisch wertvollen Wildblumenwiese, Kommunalpolitik für sie bereichernd machen, auch wenn die Stadt Letzteres nur deshalb finanzieren kann, weil die Ausschussvorsitzenden im Rat der Stadt, Erds Vorschlag angenommen haben und seit 2017 auf die Hälfte ihrer Aufwandsentschädigung verzichten.
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