Mülheim. Klaudia Schmalenbach blickt auf 40 Jahre Seelsorge in Mülheim zurück. Im Interview blickt sie zurück und erzählt über ihre schwersten Momente.
Sie hat ihr langes Berufsleben im Krankenhaus verbracht - als Seelsorgerin hat Klaudia Schmalenbach (66) im Evangelischen Krankenhaus Mülheim Neugeborene und Sterbende begleitet. Manchmal liegt das bedauerlicherweise nah zusammen, erzählt sie im Interview.
Ihre Gemeinde setzt sich anders zusammen als die anderen im Kirchenkreis - was macht den Unterschied aus?
Meine Gemeinde sind die Patientinnen und Patienten im Evangelischen Krankenhaus - das wechselt täglich. Daher weiß ich auch morgens nicht, was sein wird. Ich bin natürlich auch für die Angehörigen der Patienten da, genauso wie für Mitarbeitende des Krankenhauses. Kurz vor diesem Gespräch erhielt ich noch einen Anruf von einer Station, auf der ein sterbender Patient lag, dessen Angehörige sich Begleitung wünschten. Das hat nun meine junge Kollegin übernommen, die auch meine Nachfolgerin werden wird.
Wie kommt man dazu, Krankenhaus-Seelsorgerin zu werden?
Ich habe Theologie studiert, weil mich das Fach interessiert hat. Damals hatte ich keine Vorstellung davon, ob ich jemals in ein Pfarramt gehen werde. Mein Interesse galt auch der Mathematik, ich habe lange geschwankt, ob ich vielleicht beides studiere und Lehrerin werde. Doch das Studium der Theologie hat mich gepackt. Durch das Diakonie-Praktikum bin ich hier in Mülheim ins Evangelische Krankenhaus gekommen - 1979 war das. Die damalige Oberin hat mich dann zur Krankenhausseelsorgerin geschickt, meiner späteren Vorgängerin. Da tat sich für mich zum ersten Mal eine berufliche Perspektive auf. Seitdem hat mich das fasziniert und auch dieses Haus hat mich fasziniert.
Sie sind dem Haus also fast Ihr ganzes Berufsleben lang treu geblieben?
Das kann man so sagen. Ich habe Anfang der 80er Jahre in den Semesterferien hier gearbeitet - um Geld zu verdienen, habe ich den Kiosk betreut. Seitdem weiß ich: Kiosk ist wie Seelsorge. Wenn die Patienten dort morgens ihre Zeitung holten, erzählten sie, was bei ihnen ansteht. Da kam man ins Gespräch - das hat mich fasziniert. Ich hab dann Kontakt gehalten zu meiner Vorgängerin. Das war eine faszinierende Frau. Sie hat sich dafür eingesetzt, dass ich schließlich vom Niederrhein, wohin ich nach dem Studium von der Landeskirche versetzt worden war, zurück ins Evangelische Krankenhaus kommen konnte. Damit ging mein Lebenstraum in Erfüllung. Ich hätte damals im ganzen Rheinland keine Pfarrstelle in der Krankenhausseelsorge finden können, mit so vielen Möglichkeiten. Denn unser Direktor hatte viel übrig für Kunst und Kultur. Kirche und Musik gehören einfach zusammen. Ich habe auch eng mit Kirchenmusikdirektor Gijs Burger zusammengearbeitet. Hier im Krankenhaus bekam ich dann mit Petra Stahringer eine eigene Kirchenmusikerin hinzu - das war einfach perfekt. Wir haben schon einen tränenreichen letzten Gottesdienst hier im Krankenhaus hinter uns.
Die Arbeit mit teils schwerkranken, sterbenden Patienten ist aber doch auch schwer - wie verpackt man das? Was war da Ihr Ansatz?
Wichtig war mir immer, wenn ich einen Patienten besuche und nachher wieder aus dem Zimmer gehe, dass ein Sonnenstrahl zurückbleibt. Dass es den Menschen einfach ein bisschen guttut. Seelsorge heißt für mich, einander etwas Gutes zu tun. Das tun viele Menschen hier im Krankenhaus sowieso den ganzen Tag - ich hab eine unglaubliche Hochachtung vor Medizinern und Pflegenden. Daher kann ich es auch nicht ertragen, wenn unsere Pflegenden getadelt werden. Ich habe mich auch immer als Vermittlerin zwischen Patienten und Mitarbeitenden und auch der Geschäftsführung gesehen.
Wie hat sich das Verständnis von Ethik in den über 40 Jahren Ihrer Krankenhausseelsorge verändert?
Ethik gab es gar nicht, als ich hierhin kam - noch nicht mal in der Krankenpflegeschule. Ich habe meine pastoral-psychologische Ausbildung in den USA gemacht und von dort zwei Ideen mitgebracht. Erstens: Mülheim braucht ein Hospiz. Das Hospiz war meine Herzensangelegenheit, da fülle ich ein Ehrenamt aus und dabei wird es auch erstmal bleiben. Beeindruckend finde ich, dass es ganz viele Mülheimer aus der Stadtgesellschaft gibt, die das Hospiz durch den Förderverein tragen. Die zweite Idee war: Das Evangelische Krankenhaus braucht ein Ethik-Komitee. Doch der damalige Direktor war der Meinung, dass wir das in einem evangelischen Haus nicht nötig haben. Er war überzeugt, dass unsere Mitarbeiter das Verständnis ohnehin mitbringen, weil sie evangelisch sind. Danach hat sich aber viel entwickelt. Die Autonomie der Patienten wurde gestärkt. Wir haben hier die erste Patientenverfügung für unser Haus geschrieben.
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Wie haben die alteingesessenen Mediziner darauf reagiert? Was hat sich im Laufe der Jahrzehnte gewandelt?
Häufig gab es damals die Einstellung: Was Ethik ist, bestimme ich, denn ich bin der Mediziner. Ein Arzt hat mal zu mir gesagt: Sie können sich Ihre Patientenverfügung auf den Bauch tätowieren, ich mache doch, was ich will. Aber da hat sich so viel geändert. Ich hab mich schon auf die Seite der Patienten gestellt und versucht, das Beste für die Menschen herauszuholen. Inzwischen ist das gar keine Frage mehr. Wir machen viel ethische Fallbesprechungen. Ethik wird nie langweilig, denn Werte und Normen ändern sich innerhalb der Gesellschaft. Ein Beispiel ist die Kinderwunschbehandlung. Zuerst habe ich gedacht: Was soll denn sowas Künstliches? Als ich dann aber Kontakt zu betroffenen Eltern hatte, war mir klar: Natürlich muss man das machen. Gleiches gilt für das Ende des Lebens: Was dürfen wir tun, wie viel darf der Patient selbst bestimmen? Früher haben wir die Patienten vor der Medizin geschützt, heute schützen wir die Patienten manchmal vor den Angehörigen, weil die Medizin einfach alles kann - sie kann uns auch künstlich am Leben erhalten, selbst dann, wenn es keinen Sinn mehr macht. Von Medizinern höre ich, dass Gespräche darüber anders verlaufen, wenn ich dabei bin - das empfinde ich als Lob.
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Heute sind wir fast wieder an einem Punkt, wo es gefährlich wird. Denn die Autonomie tragen wir auf einem Tablett vor uns her und vergessen dabei die Fürsorge. Denn manche Menschen verstehen die komplizierten Zusammenhänge der Medizin einfach nicht. Da ist die Patientenverfügung ein erster Anhalt, um ins Gespräch zu kommen. Früher schlug das Pendel zur Medizin, die Ärzte hatten zu sagen, wo es lang geht, heute schlägt es eher zum Patienten, der sagen kann: Ich bestimme selbst. Da muss ich dann mitgehen, auch wenn das gegen meine eigene Überzeugung ist. Mich erschreckt aber, wie sich unsere Gesellschaft wandelt: Früher waren Patienten Patienten, heute sind sie Kunden und fühlen sich als solche mit bestimmten Ansprüchen. Da geht Vertrauen verloren - auf beiden Seiten.
Gab es Situationen in ihrer seelsorgerischen Laufbahn, die Ihnen besonders schwergefallen sind?
Wenn ein Kind tot geboren wird oder stirbt, gibt‘s einfach nichts Positives. Wir haben hier die Bestattung von Sternenkindern eingeführt, ich hab auch lange die Selbsthilfegruppe für die Eltern geleitet und das Grabfeld auf dem Hauptfriedhof initiiert, das Sternenfeld. Als ich Mitte der 80er Jahre hier angefangen habe, wurden totgeborene Kinder erst ab einem Gewicht von 1000 Gramm beerdigt, der Rest galt als ethischer Abfall. Inzwischen haben wir ein zweites Sternenfeld auf dem Auberg-Friedhof. Da habe ich vergangene Woche mein letztes Sternenkind bestattet, das wog 1300 Gramm. Man weiß nicht, warum es gestorben ist - das ist einfach furchtbar. Dass ich das nicht mehr machen muss, da bin ich froh. Inzwischen bin ich selbst mehrfache Großmutter. Man härtet durch den Beruf nicht ab, im Gegenteil, in manchen Dingen bin ich dünnhäutiger geworden. Wir sollten immer im Kopf haben, dass wir alle sterblich sind. Aber ich bin sicher, dass es etwas außerhalb von Vernunft und Verstand gibt, etwas, das über uns hinaus geht.
Der Abschiedsgottesdienst mit der Entpflichtung von Klaudia Schmalenbach findet am Freitag, 24. Mai, um 15 Uhr in der Mülheimer Petrikirche, Pastor-Barnstein-Platz 1, statt.
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