Mülheim. Mitarbeiter in Mülheims Behörden mussten sich 2023 viel anhören. Noch nie zuvor wurden so viele verbale und körperliche Eskalationen gemeldet.

Den gestreckten Mittelfinger und die geballte Faust, den „Hurensohn“ und „Wichser“, oder auch die ungewöhnliche Empfehlung, „mal schnell“ zu heiraten, müssen Mitarbeitende der Mülheimer Stadtverwaltung immer häufiger ertragen. Die gemeldeten Verbalinjurien und auch angedrohten körperlichen Angriffe sind in Mülheim dramatisch durch die Decke gegangen: 31 Fälle - der mit Abstand höchste Wert seit mehr als zehn Jahren.

Dabei gehören diese Beispiele von Gewalt noch zu den weitaus harmlosen, das Anfahren eines Mitarbeiters des Ordnungsdienstes wegen eines Knöllchens, das Handgemenge ausgelöst durch einen Hundehalter, der Angriff eines Lieferanten bei einer Kontrolle in der Innenstadt sicher zu den drastischeren.

Stadt Mülheim reagiert mit null Toleranz auf Übergriffe

Doch in wenigstens acht weiteren Fällen ist den Mitarbeitenden die handfeste Gewalt zumindest angedroht worden: im Jobcenter, auf dem Bürgeramt, bei Einsätzen der Feuerwehr und des Rettungsdienstes. Am weitaus häufigsten aber ‚draußen‘, wo Mitarbeitende des Ordnungsamtes Verstöße etwa gegen das Parken oder die Leinenpflicht kontrollieren sollen - so, wie es viele Mülheimerinnen und Mülheimer schließlich fordern.

Die Stadt reagiert darauf mit null Toleranz und meldet jeden bekannten Angriff, egal ob verbal oder handgreiflich, an die Strafverfolgungsbehörden. Ein „Hättet ihr mal in der Schule besser aufgepasst, dann hättet ihr nicht so einen scheiß Job!“, reißt mit 20 Tagessätzen à 25 Euro also ein Loch von 500 Euro in den Geldbeutel. Ein unbeherrschtes „Wichser“ bei einer E-Scooter-Kontrolle addiert 90 Tagessätze zu je 30 Euro, also 2700 Euro, zusätzlich zu den Leihgebühren.

Längst nicht jeder Zwischenfall kann geahndet werden

Immer weniger Betroffene sind inzwischen bereit, die erfahrenen Eskalationen und alltäglichen Übergriffe in den Behörden hinzunehmen. Doch es gibt auch eine Kehrseite der gestiegenen Meldungen: Längst sind nicht alle 31 Verfahren abgeschlossen, und manche - bislang vier - mussten wegen fehlender Strafbarkeit nach § 170 II der Strafprozessordnung eingestellt werden, also Einstellung mangels hinreichenden Tatverdachts. Was nicht bedeuten muss, dass es keine Tat gab, sondern oftmals, dass etwa der Täter nicht ermittelt werden konnte oder die Beweise für ein Verfahren nicht ausreichten - wenn zum Beispiel Aussage gegen Aussage steht.

Oder auch, dass die Tat nicht beträchtlich ins Gewicht fällt, weil gegen den Beschuldigten schon erheblichere Anschuldigungen vorliegen. So wie in einem Fall vor rund zwei Jahren, als Mitarbeitende mit „Du olle Fotze!“ und „Wenn du noch mal wiederkommst, lege ich dich um!“ bedroht wurden. Längst nicht jeder Zwischenfall kann also geahndet werden.

Mehr Fälle aufgrund von einfacherem Meldungssystem?

Für die sich wehrenden Betroffenen in den Behörden - die seit Jahren in ihrem Alltag solche Angriffe erleben - kann das zugleich eine frustrierende Nachricht sein. Denn immerhin hat die Stadt seit 2023 ein Signal gesetzt, indem die Möglichkeit vereinfacht wurde, solche Übergriffe melden zu können. Angeschlossen an das Online-Meldesystem sind zunächst das Bürgeramt, das Jobcenter und die Berufsfeuerwehr. Das weckt auch Erwartungen an eine wirksame Verfolgung von Übergriffen.

20 der 31 Vorkommnisse sind so gemeldet worden, rund 64 Prozent. Hat also das neue niederschwellige Meldesystem die Fallzahlen explodieren lassen? Ja, hatte die Stadt bereits kurz nach der Einführung des Systems eingeräumt.

Hohe Dunkelziffer wegen Hemmschwellen

Doch das allein erklärt es nicht, denn von einer hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Übergriffe konnte die Verwaltung schon in den Jahren zuvor ausgehen. Zwar hatten die Beleidigungen im Vorjahr 2022 einen Rekordtiefststand von nur fünf Fällen erreicht. Doch in den Jahren zuvor lagen sie bereits im zweistelligen Bereich zwischen zwölf und 18 - trotz oder wegen Corona.

In der Vergangenheit hätten manche Mitarbeitenden aus Schamgefühl gezögert, entsprechende Vorfälle zu melden. Aus Sorge, „als schwach oder empfindlich angesehen zu werden“, hatte eine Stadtsprecherin dies kommentiert. So deckt das neue Meldesystem nunmehr den dunklen Bereich bislang nicht gemeldeter Fälle erstmals auf.

Was die Stadt Mülheim präventiv unternimmt

So bleibt noch die Möglichkeit der Prävention: Im September vergangenen Jahres trat Mülheim dem Landes-Präventionsnetzwerk „#sicherimDienst“ bei. Hier tauscht man sich landesweit unter rund 1600 Netzwerkmitgliedern über Handlungsempfehlungen, Best-Practice-Beispiele und verschiedene Lösungsansätze aus. Im Oktober 2023 unterzeichnete Oberbürgermeister Marc Buchholz außerdem eine Grundsatzerklärung gegen Gewalt.

Doch es gibt auch alltagspraktische Maßnahmen: Acht Mitarbeitende hat die Stadt zu psychologischen Ersthelferinnen und -helfern qualifiziert. Über ein Alarmierungssystem können nun mehr Fachbereiche und somit Beschäftigte als bisher einen stillen Alarm bei Übergriffen, bei Brand, bei einem medizinischen Notfall oder einer Amok-Lage melden.

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