Mülheim. Am Mülheimer St. Marien-Hospital gibt es jetzt fachübergreifende Schmerztherapie: Teamarbeit. Die Leitende Ärztin und Betroffene berichten.
Ivana Selbmann arbeitet als Reinigungskraft. Ein anstrengender Job. Besonders, wenn man ständig an Rückenschmerzen leidet. Bei der 44-Jährigen sind sie so hartnäckig, dass sie ihre Arbeitszeit reduzieren musste. Susanne Kleemann (57) hat „einen Bürojob“, wie sie sagt. Doch sie war schon lange nicht mehr im Dienst. Seit einem Dreivierteljahr sei sie krankgeschrieben wegen der Schmerzen, „obwohl ich ja nur am Schreibtisch sitzen muss“.
Marita Bucklitsch ist 74 und wird auf den ersten Blick oft jünger geschätzt. Ob sich die Rentnerin auch jünger fühlt, ist eine andere Frage, denn auch sie wird von chronischen Schmerzen geplagt. Die Lendenwirbelsäule bereit Probleme, seit drei Jahren sei es richtig schlimm. Auch „Computerspritzen“, also radiologisch gesteuerte Injektionen, die sie aus eigener Tasche bezahlt habe, hätten ihr nicht geholfen.
St. Marien-Hospital Mülheim baut neue Abteilung für Schmerzmedizin auf
Die drei Frauen kennen sich seit dem Vortag, als sie allesamt im Mülheimer St. Marien-Hospital (SMH) aufgenommen wurden. Sie sind Leidensgenossinnen, Mitpatientinnen der neuen schmerzmedizinischen Abteilung im Krankenhaus. Diese ist dem Contilia- Wirbelsäulenzentrum angegliedert, doch ausdrücklich nicht nur für Menschen mit Rückenleiden gedacht. Dr. Anna Christina Knauber ist dort neue Leitende Ärztin. Auf ihr ruhen jetzt die Hoffnungen der drei Patientinnen und vieler anderer, die hier Hilfe suchen, die sie anderswo nicht finden konnten.
Zunächst wurden sechs stationäre Plätze geschaffen, 16 sollen es bald werden. Das St. Marien-Hospital baut dafür eine leer stehende Station der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Muhrenkamp um. Ein ruhiger Bereich soll es werden, bewusst etwas abseits vom wuseligen Krankenhaus-Betrieb. Die Schmerzpatientinnen und -patienten sollen hier zehn bis 15 Tage lang behandelt werden, auch teilstationär ist das möglich.
Auch Schmerzambulanz am Mülheimer Krankenhaus ist geplant
Dr. Knauber, Fachärztin für Anästhesiologie, Intensiv- und Schmerzmedizin, ist seit gut zehn Jahren mit diesem Schwerpunkt tätig. Bis Mitte 2023 war sie Leitende Oberärztin der Klinik für Schmerzmedizin am Ameos-Klinikum St. Marien in Oberhausen und kurzzeitig auch Chefin der dortigen Schmerzambulanz. Diese wird, wie kürzlich bekannt wurde, im kommenden Frühjahr schließen. Hunderte Betroffene müssen sich eine neue Anlaufstelle suchen. Nach aktuellen Zahlen des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung, das Abrechnungsdaten aus dem Jahr 2021 ausgewertet hat, leiden in Mülheim 538 von 10.000 Einwohnern an chronischen Schmerzen, die seit mehr als sechs Monaten anhalten. Im NRW-Schnitt sind es 584 von 10.000 Menschen.
Bei ihrem Wechsel nach Mülheim habe sie noch nicht gewusst, dass die Oberhausener Ambulanz schließt, erklärt Dr. Anna Christina Knauber. Generell gebe es in diesem Bereich ein akutes Verorgungsproblem, kaum niedergelassene Schmerztherapeuten. Die Ärztin bringt einen Teil ihres Oberhausener Teams mit nach Mülheim. Eine neue Schmerzambulanz am SMH sei bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) schon beantragt, berichtet die Leitende Ärztin - als sogenannte „Ermächtigungsambulanz“, in der Krankenhausärzte ausnahmsweise ambulante Leistungen anbieten dürfen. Ob und wann sie eröffnen kann, ist aber noch unklar.
Anlaufstelle für Patienten, denen Medikamente oder OPs nicht geholfen haben
Die Betten der neuen Schmerzmedizin am SMH sind bestimmt für Menschen, die schon länger leiden, „bei denen schon eine Diagnostik durchgeführt wurde, Medikamente oder OPs nicht geholfen haben“, erläutert Dr. Knauber. Beispielsweise auch für Fibromyalgie-Betroffene oder Patienten mit CRPS (Komplexes regionales Schmerzsyndrom). Ihre Abteilung wird nicht nur mit den hauseigenen Wirbelsäulenexperten eng zusammenarbeiten, sondern auch mit der Psychosomatik oder Altersmedizin.
Erste Hinweise, ob jemand für die Aufnahme in Frage kommt, liefert ein 14-seitiger Schmerz-Fragebogen. Berichte, Befunde bringen die Patientinnen und Patienten mit. „Während des stationären Aufenthaltes bei uns ist meist keine Diagnostik mehr notwendig“, sagt Dr. Knauber. „Wir nutzen die Zeit für die Therapie.“ Nach einem ganzheitlichen Konzept: Jeder und jede bekommt einen Plan, in dem Physiotherapie, Bewegung breiten Raum einnimmt, ergänzt um Psychotherapie, naturheilkundliche Anwendunge - und Schulungen. „Damit die Patienten verstehen, wie es zu ihren Schmerzen kommt.“ Betroffen seien Menschen von Anfang 20 bis ins hohe Alter. Für bereits bettlägrige Personen sei das neue Angebot am SMH allerdings nicht geeignet, schränkt die Ärztin ein, „es ist eine aktive Therapie“.
„Werkzeugkoffer“ wird individuell gepackt
Ziel der schmerzmedizinischen Behandlung sei eine Art „Werkzeugkoffer“, den man den Patienten an die Hand gibt, auf den sie zurückgreifen können, wenn es wieder schlimmer wird. „Für jeden ist er anders gepackt.“ Medikamente könnten eingesetzt werden, physiotherapeutische Übungen, Entspannungsmethoden, Techniken aus der Psychotherapie, Naturheilverfahren - Vielfältiges, das die Betroffenen zu Hause selber anwenden können.
Die Patientinnen Kleemann, Bucklitsch und Selbmann werden sich nun, mit Hilfe von Dr. Knauber und ihrem Team, auf die Suche nach den Auslösern ihrer chronischen Schmerzen und wirksamen Gegenmitteln begeben. Viele Betroffene hätten die Erfahrung gemacht, dass man sie mit ihrem unsichtbaren Leiden nicht ernst nimmt, nicht versteht, hätten gehört, dass sie sich doch mal zusammenreißen sollten, sagt die Schmerzmedizinerin. „Wir wollen ihnen das Gefühl geben, dass man sich mit ihnen beschäftigt, den ganzen Menschen mit seinen Schmerzen sieht. Nicht nur den Rücken oder das Knie.“
Interessierte Patientinnen und Patienten erreichen die neue Abteilung am St. Marien-Hospita unter schmerzmedizin@contilia.de oder 0208 305-2234 (Sekretariat). Infos gibt es auch auf der Website des Contilia Wirbelsäulenzentrums.
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