Mülheim. Filmstreifen statt Stoffbahnen: Die Mülheimerin Gertje Forlong gibt ihr Stoff-Geschäft „Lovelyforlong“ auf. Eine Leidenschaft drängt sie dazu.
Bald hängt sie Schere und Faden an den Nagel und widmet sich ihrer neuen Leidenschaft, der Schauspielerei. Gertje Forlong, die in Saarn das Stoffgeschäft „Lovelyforlong“ samt Nähatelier betreibt, schließt ihren Laden, denn sie spürt: Jetzt ist Zeit für etwas Neues, das zugleich alte Erinnerungen wachgekitzelt.
Knapp zehn Jahre ist es her, dass Gertje Forlong am Elsenborner Weg „Lovelyforlong“ eröffnet hat, nachdem sie zuvor bereits Baby- und Kleinkinderkleidung sowie Materialien zum Nähen übers Internet verkauft und Nähkurse gegeben hatte. Damals hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht, nachdem sie in der Welt der Mode gelernt, bei Peek & Cloppenburg eine Ausbildung und ein berufsbegleitendes Studium gemacht hat. „Genäht habe ich immer schon viel“, erzählt die zweifache Mutter. „Als die Kinder dann da waren, habe ich sie ausgestattet und bin immer öfter von Leuten gefragt worden, ob ich nicht auch für ihre Kinder etwas nähen könnte.“ So wurde ihr Label „Lovelyforlong“ geboren.
Mülheimerin gibt Laden „Lovelyforlong“ guten Gewissens ab
„Ich liebe mein Lädchen und die tolle Community, die entstanden ist“, sagt die Saarnerin heute, wohlwissend, dass sich die Tür bald für immer schließen wird. Doch sie betont: „Ich gehe mit zwei lachenden Augen, bin völlig rein mit meiner Entscheidung.“ Wirtschaftliche Gründe seien es nicht, die sie dazu veranlassten, den Laden dichtzumachen, im Gegenteil: „Das Geschäft läuft gut.“ Ihre Zeit im Einzelhandel indes sei lang genug gewesen – nach 15 Jahren bei Peek & Cloppenburg und 15 Jahren in der Selbstständigkeit zieht die 47-Jährige eine Zwischenbilanz in ihrem Berufsleben. Nicht zuletzt der Berg an Bürokratie, den sie als Selbstständige zu bezwingen habe, mache ihr den Abschied leichter. „Ich war immer in der Dienstleistung, habe mit 19 Jahren begonnen. Was ich nun angefangen habe, tut mir einfach richtig gut.“
Gemeint ist die Schauspielerei: Vor zwei Jahren während der Corona-Pandemie hat sie erste Schritte vor der Kamera als Komparsin gemacht. „Das hat meine Leidenschaft entfacht“, umschreibt die 47-Jährige ihre Erlebnisse am Filmset. Sie bleibt dabei und will mehr erfahren, belegt zahlreiche Workshops, vernetzt sich, schaut zu und lernt. Den Status der Komparsin hat sie längst hinter sich gelassen. Inzwischen ist Gertje Forlong bei einer Agentur als Nachwuchsschauspielerin gelistet mit einem eigenen Profil samt Fotos und Filmszenen, wird über Castingplattformen, über die sich Filmschaffende ihre Crew zusammenstellen, gebucht. Erste kleine Rollen als Kleindarstellerin hat sie schon bekommen – etwa in der ARD-Serie „Rentnercops“ oder in Werbespots. Demnächst ist sie auf RTL zu sehen – Details dazu sind noch geheim.
Mülheimer Nachwuchsschauspielerin: „Muss mein Gesicht nicht im Fernsehen sehen“
„Es geht mir überhaupt nicht in erster Linie darum, mein Gesicht im Fernsehen zu sehen“, sagt die Saarnerin und betont: „Mir ist klar, dass die Branche nicht auf mich gewartet hat.“ Vielmehr reize sie der Prozess, der Weg bis zur fertigen Szene: „Die Arbeit bis dahin macht mir unglaublich viel Freude.“
Dabei ist diese neue Leidenschaft eigentlich eine alte Bekannte, wachgekitzelt auch durch ihre Instagram-Filme, mit denen sie vor allem während der Hochphase der Pandemie Kontakt zu ihrer Community gehalten hat: „Ich habe kein Problem damit, vor einer Kamera zu sprechen.“ So war das auch schon zu Schulzeiten: „Damals habe ich in der Theater-AG gespielt, hatte nach dem Abi den Traum, an die Musical-School nach Hamburg zu gehen – doch damals war das wohl noch nicht dran.“ Der Sicherheitsgedanke hat sich durchgesetzt, sie machte eine Ausbildung, um Geld zu verdienen.
Selbstständigkeit hat Mülheimer Ladenbesitzerin viel Lebenszeit geraubt
Geld verdienen muss sie weiterhin, auch um ihre Lernreise in der Schauspielerei finanzieren zu können – einen Job wird sie dafür aufnehmen, so viel steht fest. „Aber ich muss dann nicht mehr 24/7 parat stehen, sondern habe mehr Zeit, um zu lernen. In der Selbstständigkeit hat vieles wie Bürokratie Lebenszeit gefressen.“ Jetzt will sie sich vollends auf das Neue einlassen können, wenn sie Ende Januar 2024 zum letzten Mal ihre Ladentür hinter ihrer Kundschaft schließt. „Das ist eine Wohlfühl-Entscheidung.“
Dem Handwerk aber bleibe sie treu, sagt Gertje Forlong. „Ich sammele bei den Workshops Werkzeuge für meinen großen Schauspiel-Koffer.“ Dabei setze sie durchaus einen hohen Qualitätsanspruch an sich selbst und sagt rückblickend zu ihrem einstigen Traumberuf: „Damals, direkt nach dem Schulabschluss, hätte ich dieses Denken, die Erfahrung noch nicht gehabt.“ Denn heute weiß die 47-Jährige: „In meinem Laden, an der Nähmaschine weiß ich, dass ich kompetent bin in dem, was ich tue.“ Das gleiche Gefühl will sie sich nun auch als Schauspielerin erarbeiten: „Da bin ich mein eigenes Werkzeug.“