Mülheim. Claudia hat zwei Kinder und eine depressive Frau. Für sie ist das Leben zur Belastungsprobe auf Dauer geworden. Wie sie mit der Krankheit umgeht.

Eigentlich ist alles gut, findet Claudia. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben, liebt ihre Frau und die beiden Kinder, hat einen großen Freundeskreis und startet bald in einen neuen Job. Aber immer mal wieder gibt es diese Phasen, zunehmend häufiger, in denen sich ihre Frau „ausklinkt“. Sie ist dann abwesend, nicht ansprechbar. „Es ist so, als wäre sie unter einer Käseglocke. Das beschreibt es am besten“, sagt Claudia, die anders heißt, aber zum Schutze ihrer Familie lieber anonym bleiben möchte. „Dann ist sie für mich nicht erreichbar.“

Claudias Frau ist depressiv, diagnostiziert schon seit etlichen Jahren, doch in den vergangenen fünf verschärfte sich die Lage immer mehr. So weit, dass ihre Partnerin heute sagt: „Ich fühle mich oft allein.“ Allein mit den Freuden und Lasten des Alltags, den Kindern, ihren eigenen Sorgen. 2018 hat sie vermehrt festgestellt, dass es etwas nicht stimmt bei ihrer Frau. „Du musst das angehen, habe ich zu ihr gesagt. Das wollte sie von mir aber nicht hören“, erinnert sich Claudia zurück. „Da brauchte sie schon lange professionelle Hilfe und die Erkenntnis aus sich selbst heraus, dass sie ein ernsthaftes Problem hat.“ Das Paar streitet sich, die Kinder sind noch klein, die Probleme werden größer.

Mülheimer Paar geht wegen Depressionen durch schwierige Zeiten

Während Claudia zuhause bleibt und sich um die Kinder kümmert, geht ihre Frau arbeiten. Ein Bürojob, in dem sie sich nicht wertgeschätzt fühlt, und unter dem sie leidet. „Sie hat sich immer mehr zurückgezogen“, erinnert sich die Anfang 40-Jährige. „Es war in der Zeit schwierig, trotzdem weiterzumachen.“ Schließlich sucht sich ihre Frau Hilfe. Eine Therapie hilft ihr dabei, sich und ihre Depression besser zu verstehen. „Vor allem die Kommunikation hat sich dadurch verbessert. Heute kann meine Frau mir oft sagen, dass sie sich zurückziehen muss und Zeit für sich braucht.“ Lange war das undenkbar.

Und auch wenn sich vieles gebessert hat – „ich gehe mittlerweile selbst zur Therapie“ – rosig ist anders. „Ich habe das Gefühl, dass ich mich nicht richtig entfalten kann“, gesteht Claudia ein. Sie bringt die Worte nicht einfach über die Lippen, fast so, als schämte sie sich. „Wie kann es mir gut gehen, wenn es ihr schlecht geht?“ Eine bittersüße Frage, denn sie zeigt, dass Claudia ihre Frau liebt, trotz allem. „Ich sehe, dass sie sich bemüht und das Beste für uns will.“

Mülheimerin musste Kinder während Reha der Frau alleine betreuen

Ein funktionierender Alltag als Ehepaar und als vierköpfige Familie; etwas, das andere Menschen bereits ohne psychische Erkrankungen an den Rand ihrer Belastungsgrenze bringt, reicht für Claudia oftmals darüber hinaus. Während ihre Frau bei einer Reha in den Sommerferien neue Kraft schöpfte, wuppte sie die Betreuung der Kinder. „Mir hat meine Frau gefehlt. Als Schulter zum Anlehnen, als meine Stütze“, erinnert sich die zweifache Mutter an die harte Zeit vor wenigen Wochen erst zurück. Dass sie stark sein muss, steht außer Frage – „anders geht es nicht, ich muss funktionieren“.

Seit mittlerweile mehr als drei Monaten kann ihre Frau nicht arbeiten, auch das eine Belastung. „Aber wir drehen es jetzt um. Ich starte wieder ins Berufsleben und meine Frau bleibt zuhause.“ Neue Rollen und Aufgaben, von denen sich Claudia vieles erhofft. „Dann komme ich raus und kann hoffentlich auch mal einfach ich sein.“ An die doppelte Belastung, Arbeit im sozialen Bereich bis 14 Uhr, danach Haushalt und Kinder, denkt sie jetzt noch nicht so viel. „Für mich überwiegt die Freude auf das Neue.“

Neue Selbsthilfegruppe für Mülheim: wöchentliche Treffen geplant

Und die findet die Optimistin auch im Privaten: „Es gibt Fortschritte. Meine Frau öffnet sich langsam Freunden gegenüber und das hilft uns beiden.“ So habe man oft etwas vorgegeben, was von der Wahrheit sehr weit weg war. „Auch das ist anstrengend. Aber es ist ihre Entscheidung, wem sie das erzählt.“

Wie heilend es sein kann, sich anderen mitzuteilen, weiß Claudia spätestens seit ihrer Therapie. Auf der Suche nach einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen wurde sie nicht fündig, wandte sich an das Selbsthilfe-Büro des Paritätischen. Dort soll nun eine neue Selbsthilfegruppe gegründet werden.

„Diese Gruppe bietet Raum für den Austausch von Erfahrungen, das Teilen von Tipps und das Finden von Entlastung für all jene, die sich um psychisch erkrankte Familienmitglieder kümmern“, erklärt Sozialarbeiterin Lena Schütter, die sich um die Gründung der Gruppe kümmert. Gut gemeinte, aber nicht immer zielführende Ratschläge von Außenstehenden könnten oft zu Frustration führen.

Die Sozialarbeiterin Lena Schütter stellt auf Initiative von Claudia eine neue Selbsthilfegruppe zusammen.
Die Sozialarbeiterin Lena Schütter stellt auf Initiative von Claudia eine neue Selbsthilfegruppe zusammen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Umso wichtiger sei der Austausch mit Menschen in ähnlichen Situationen. „In der Selbsthilfegruppe haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, ihre persönlichen Erfahrungen und Lebensgeschichten zu teilen sowie praktische Alltagstipps und Informationen zu Therapiemöglichkeiten zu erhalten.“

Die Gruppe plant, sich einmal wöchentlich am Abend zu treffen. Derzeit läuft die Suche nach Interessentinnen, die sich beim Selbsthilfe-Büro Mülheim per Mail an selbsthilfe-muelheim@paritaet-nrw.org oder telefonisch unter 0208 300 48 14 melden können.

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