Mülheim. Der Missbrauch durch Priester hat die katholische Kirche in die Krise geführt. Bei einer Diskussionsrunde in Mülheim kamen auch Opfer zu Wort.

Priesterliche Missbrauchsverbrechen stellen die katholische Kirche vor eine Existenzfrage, die sich nicht nur in Austrittszahlen auf Rekordniveau zeigt. Die Täter zur Verantwortung zu ziehen, systemische Ursachen des Missbrauchs im Priesteramt aufzuklären, den Opfern zuzuhören und zu helfen, um weitere Missbrauchsfälle durch Vorbeugung und Eingriff zu verhindern, ist nur eine Seite der kirchlichen Medaille. Die Frage, wie man als kirchliche Gemeinschaft mit den Tätern leben und überleben kann, ist die andere. Sie treibt viele Menschen in der Kirche um. Deshalb widmete die Katholische Akademie Die Wolfsburg in Mülheim der Diskussion darüber nun einen ganzen Abend.

Dem Moderator der gutbesuchten Veranstaltung, Jens Oboth, gelang es, nicht nur die Podiumsgäste, sondern auch das aus engagierten Kirchenmitgliedern bestehende Publikum reichlich zu Wort kommen zu lassen – und damit eine Diskussion zu ermöglichen, die diesen Namen verdiente.

Bittere Erkenntnis der Mülheimer Diskussion: Täter stilisieren sich gern als Opfer

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Aus dem Publikum kam denn auch der wichtige Beitrag eines Mannes, der von einem Ordensgeistlichen missbraucht worden ist: „Der Täter ist ein Teil von mir geworden. Ich werde ihn nicht los.“ Er werde nicht fertig damit. Es geht dabei „nicht nur um Schuld, sondern auch um Scham und Schande“, sagte der Mann und machte damit den seelischen Sprengstoff sichtbar, der durch die priesterlichen Missbrauchstaten an das Fundament der katholischen Kirche gelegt worden ist. Das ernüchternde Ergebnis der Diskussion zeigte, dass die nachweislichen Täter zu keiner Reue über ihre Taten fähig zu sein scheinen und sich stattdessen selbst zu Opfern stilisieren.

Generalvikar Klaus Pfeffer, Prof Dr. Hildegund Keul, P. Klaus Mertes SJ und Moderator Jens Oboth am Donnerstag in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg in Mülheim.
Generalvikar Klaus Pfeffer, Prof Dr. Hildegund Keul, P. Klaus Mertes SJ und Moderator Jens Oboth am Donnerstag in der Katholischen Akademie Die Wolfsburg in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Auch die Frage, ob es redlicher ist, die straffällig gewordenen Priester aus dem Klerikerstand und damit auch aus der kirchlichen Versorgung in die soziale Grundsicherung aller Steuerzahlenden zu entlassen, konnte weder vom Podium noch vom Publikum beantwortet werden. Deutlich wurde aber, wie es ein Mann aus dem Publikum formulierte, „dass wir uns als Kirche nach der Aufdeckung der priesterlichen Missbrauchsverbrechen in unserer Sprache, unserem Handeln und in unserem Denken viel tiefgreifender hinterfragen und neu aufstellen müssen, als wir uns das selbst eingestehen, wenn wir künftig noch Menschen glaubwürdig Lebensorientierung geben wollen“.

Jesuit bemerkt: „Die Kirche ist keine moralische, sondern nur eine religiöse Organisation“

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Der Generalvikar des Ruhrbistums, Klaus Pfeffer, bekannte sich „zu einer Entidealisierung des Priesteramtes“. Diese bezog er auch auf den ersten Ruhrbischof Franz Hengsbach, der in seiner Amtszeit (1958 bis 1991) mit priesterlichen Missbrauchstaten fahrlässig umgegangen sei. Auch Jesuit Klaus Mertes, der seit 2010 eine wichtige Rolle im innerkirchlichen Aufklärungsprozess des Missbrauchskomplexes gespielt hat, räumte ein: „Die Kirche ist keine moralische, sondern nur eine religiöse Organisation. Auch in unserem Orden bleiben die Täter meine Brüder. Aber wir müssen von ihnen ehrliche Reue verlangen und dürfen es nicht zulassen, dass sie sich von Tätern zu Opfern umdefinieren.“

Nicht nur die Podiumsgäste, sondern auch die engagierten Kirchenmitgliedern im Publikum kamen bei der Diskussionsveranstaltung zu Wort - mit zum Teil sehr emotionalen Beiträgen.
Nicht nur die Podiumsgäste, sondern auch die engagierten Kirchenmitgliedern im Publikum kamen bei der Diskussionsveranstaltung zu Wort - mit zum Teil sehr emotionalen Beiträgen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Theologieprofessorin Hildegunde Keul plädierte dafür, Kunstwerke und Lieder, die von priesterlichen Missbrauchsverbrechern geschaffen worden seien, aus den Kirchen zu entfernen, um eine Retraumatisierung der Opfer zu verhindern. Darüber hinaus forderte sie die Täter im Priesteramt dazu auf, ganz im christlichen Sinne ihre Schuld öffentlich und ehrlich zu bekennen.

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