Mülheim. Knapp 80 Jahre nach Kriegsende sorgt ein Müll-Fund in Mülheim für Aufsehen: Plötzlich war Mülheims einstiger Ehrenbürger Hitler wieder präsent.

Eine wilde Müllkippe in Broich brachte hervor, was fast 80 Jahre verschwunden war, aber auch eine wenig rühmliche Notiz der Stadtgeschichte ist.

Dirk von Eicken kennt Mülheims Geschichte gut. Einige Mülheimer kennen ihn vielleicht noch als Mitbetreiber des Kultur- und Geschichtsladens an der Oberstraße, durch seine historischen Führungen im Rumbachtal oder durch seine historischen Beiträge für die Internetseite des Geschichtsvereins, www.geschichtsverein-muelheim.ruhr. „Ich habe mit allem gerechnet, aber damit nicht“, sagt von Eicken mit Blick auf ein Straßenschild mit der Aufschrift: Adolf-Hitler-Straße.“

Adolf Hitler wurde 1933 zum Ehrenbürger der Stadt Mülheim ernannt

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Als geschichtsbewanderter Mülheimer weiß er, „dass die Friedrichstraße während des Dritten Reiches Adolf-Hitler-Straße hieß, auch deshalb, weil Adolf Hitler seit 1933 Ehrenbürger unserer Stadt war.“ Aber dass er 90 Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübernahme und 78 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur ein solches Straßenschild auf einer wilden Müllkippe nahe einer Bushaltestelle an der Holzstraße in Broich finden würde, hat ihn überrascht. „Für mich war sofort klar, dass ich dieses Zeitdokument, das offensichtlich im Mai 1945 abgesägt wurde, nicht für mich behalten, sondern dem Stadtarchiv übergeben wollte“, so von Eicken. „Das ist schon ein ungewöhnliches Zeitzeugnis, das wir im Rahmen historischer Ausstellungen und Archivführungen nutzen können“, sagt der stellvertretende Archivleiter Jens Roepstorff.

Dirk von Eicken (r.) übergab jetzt seinen Fund, ein historisches Straßenschild mit der Aufschrift „Adolf-Hitler-Straße“ dem Mülheimer Stadtarchiv. Im Bild dessen stellvertretender Leiter Jens Roepstorff.
Dirk von Eicken (r.) übergab jetzt seinen Fund, ein historisches Straßenschild mit der Aufschrift „Adolf-Hitler-Straße“ dem Mülheimer Stadtarchiv. Im Bild dessen stellvertretender Leiter Jens Roepstorff. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wer in dem 1999 erschienenen Heft Nr. 71 der Zeitschrift des Geschichtsvereins „Vom Adlerhorst bis Zwischen den Gärten“ nachliest, erfährt dort, was es mit den Mülheimer Straßennamen auf sich hat und welche Straßennamen auf Geheiß der amerikanischen und britischen Militärregierung ab 1945 aus dem Stadtbild verschwinden mussten. Dem Autor und vormaligen Leiter des Katasteramtes, Wolfgang Meißner, sei Dank.

Macht der Nationalsozialisten zeigte sich in Mülheim auch bei Umbenennungen

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Die politische Macht der Nationalsozialisten zeigte sich ab Mitte der 1930er Jahre zunehmend auch in entsprechenden Straßennamen. Auch Mülheimer Schulen erhielten in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nationalsozialistische Namenspatronate. So wurde aus dem staatlichen Gymnasium an der Von-Bock-Straße, die wir seit 1974 als Otto-Pankok-Schule kennen, die an ein Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges erinnernde Langemarkschule. Die katholische Volksschule an der Eduardstraße, die wir heute als Martin-von-Tours-Schule kennen, wurde zur Freikorps-Schulz-Schule. Und das städtische Gymnasium, das seit 1974 als Karl-Ziegler-Schule firmiert, hieß in der NS-Zeit Kirdorfschule. Diese Namen waren für die Nationalsozialisten Programm.

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  • Die Mendener Brücke erhielt den Namen des damaligen Reichsluftfahrtministers, Hermann Göring, nachdem er im Juli 1933 Mülheim besucht und dabei auch die Mendener Brücke passiert hatte. Aus der Schul- wurde die Hugenbergstraße, weil der deutschnationale Parteiführer, Reichsminister und Zeitungsverleger Alfred Hugenberg als Koalitionspartner Hitlers Aufstieg zur Macht erst möglich gemacht hatte. Das galt auch für den im Uhlenhorst lebenden Bergbaumanager und Hitler-Förderer Emil Kirdorf, der zum Namensgeber des städtischen Gymnasiums avanciert war.

SA-Mann Horst Wessel wurde Namensgeber für die heutige Heißener Straße

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Die Von-Papen-Straße (heute Grüneck) ehrte Hitlers ersten Vizekanzler Franz von Papen, der 1932 kurzzeitig selbst Reichskanzler gewesen war und am 4. März 1933 auf dem Rathausmarkt eine Wahlkampfrede für das schwarz-weiß-rote Bündnis aus Deutschnationalen und Nationalsozialisten gehalten hatte. Und die Heißener Straße wurde zur Horst-Wessel-Straße, weil hier zeitweilig Wessels Vater, der evangelische Pfarrer Ludwig Wessel, gelebt hatte. Der 1930 erschossene SA-Mann Horst Wessel, der das NS-Lied „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen“ geschrieben hat, wurde ab 1933 als Märtyrer der NS-Bewegung verehrt.

Von 1916 bis 1949 hieß die heutige Friedrich-Ebert-Straße in Mülheim Hindenburgstraße.
Von 1916 bis 1949 hieß die heutige Friedrich-Ebert-Straße in Mülheim Hindenburgstraße.

Politisch ins Programm passte der NSDAP auch die Hindenburgstraße, die wir seit 1949 als Friedrich-Ebert-Straße kennen. Auch in Hindenburg, der als Friedrich Eberts Nachfolger im Reichspräsidentenamt 1933 Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte und im gleichen Jahr zum Mülheimer Ehrenbürger ernannt worden war, sahen die Nationalsozialisten einen ihrer politischen Wegbereiter. Der vormalige Notweg war aber schon während des Ersten Weltkrieges (1916) zur Hindenburgstraße geworden, weil der damalige Generalfeldmarschall des Kaisers im August 1914 mit der Schlacht von Tannenberg die Truppen des russischen Zaren aus Ostpreußen vertrieben hatte.

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Langemarkschule in Mülheim erinnerte an Schlacht im Ersten Weltkrieg

Auch die Langemarkschule erinnerte während der NS-Zeit an eine Schlacht des Ersten Weltkriegs. Und mit der Freikorps-Schulz-Schule wurde der letzte Kommandeur des bis 1920 in Mülheim stationierten Infanterieregimentes 159, Siegfried Schulz, geehrt, der als Führer eines nach ihm benannten antirepublikanischen Freikorps während der frühen 1920er Jahre den ideologischen Vor- und Mitläufern Hitlers militärisch beigestanden hatte. Es passt ins Bild, dass die Freikorps-Schulz-Schule während des Zweiten Weltkrieges als Flak-Stellung und als Notquartier für Ausgebombte gedient hat.