Mülheim. Innerhalb von Minuten wurde damals die Straße von Fred Momm überschwemmt. Welche Lehren er aus dem Hochwasser gezogen hat und was er fürchtet.
„Um zehn Uhr stand ich am Bach und dachte: Da passiert nichts. Drei Stunden später stand der Souterrain meines Hauses unter Wasser und die Feuerwehr fuhr mit dem Schlauchboot durch unsere Straße.“ Wenn sich Fred Momm an den Tag vor zwei Jahren erinnert, klingt er immer noch, als könne das gar nicht wirklich passiert sein. Als wäre da ein Film vor seinen Augen abgelaufen. „Ich hatte keine Angst. Ich habe da gestanden und gestaunt“, sagt der 71-Jährige.
Das Jahrhunderthochwasser vom 15. Juli 2021 hat Mülheim innerhalb von Stunden in eine Ausnahmesituation versetzt. Campingplätze an der Ruhr wurden geräumt, der Wasserbahnhof schwer beschädigt, Notunterkünfte wurden errichtet und zeitweise drohte die Innenstadt überschwemmt zu werden. Menschen wurden evakuiert und tagelang musste das Leitungswasser abgekocht werden. Nun jährt sich das Hochwasser zum zweiten Mal. Während im vergangenen Jahr noch längst nicht alle Spuren beseitigt waren, so kann man sich heute in der Mintarder Straße „Durch die Aue“ kaum mehr vorstellen, dass diese Idylle einst in Gefahr war.
Der Mülheimer glaubte bis zuletzt nicht daran, dass es zur Katastrophe kommt
Fred Momm erinnert sich an diesen Tag, als wäre es erst gestern gewesen. Bis zuletzt hatte er nicht damit gerechnet, dass es zur Katastrophe kommt. „Nach mehreren Tagen Regen schien endlich wieder die Sonne. Es war ein herrlicher Tag“, erinnert er sich. Momm ist gebürtiger Mintarder, seiner Familie gehörte schon die große Gaststätte, die einst an der Stelle stand, wo jetzt sein Wohnhaus ist. Drei Mal sei es kurz vor knapp gewesen. Etwa im Winter 1959, als der Schnee schnell taute. Die Eltern erzählten von 1943, als die Möhnetalsperre bombardiert worden war und eine Flutwelle durch die Ruhrtäler rollte. Nie hatte das Wasser ihr Haus erreicht. Bis zu jenem 15. Juli 2021.
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„Um 10 Uhr versammelten sich die Nachbarn auf der Brücke, um sich den Pegelstand des Alpenbachs anzugucken. Normalerweise ist der ein Rinnsaal, an dem Tag stand das Wasser so“, sagt Momm und zeigt mit seinen Händen ungefähr Schuhkartonhöhe an. Zu dem Zeitpunkt habe er sich nichts dabei gedacht, verließ sich auf seine lebenslange Erfahrung als Mintarder. Eine Viertelstunde später trat der Bach über die Ufer, kurz darauf kam das Wasser aus Richtung Kettwig und die Gullideckel liefen über. „Das Wasser kam von überall her. Wir haben Sand geschaufelt, haben versucht, Gullideckel mit Waschbetonplatten abzudecken. Aber das Wasser lief und lief. Irgendwann standen wir auf dem Balkon der ersten Etage und haben nur noch runtergeguckt.“
120 Menschen kamen am Tag danach einfach vorbei, um zu helfen
Nie hätte Momm mit diesen Wasserbewegungen gerechnet. „Es lief nach Kettwig Richtung Schloss Hugenpoet in den alten Flusslauf und von dort wieder zurück.“ Blitzartig seien die Gärten vollgelaufen, innerhalb von Minuten war der Wasserstand bei 60 Zentimetern. Auch die Souterrainwohnung der Momms lief voll. „1,23 Meter war der Höchststand“, sagt Momm.
Danach sei alles abgelaufen wie automatisiert. Die Feuerwehr stellte ein Dieselaggregat auf und Pumpen wurden angeschlossen. Das Wasser ging zurück und die Nachbarn versuchten zu verstehen, was eigentlich passiert war. „Keiner von uns ist in Panik geraten, alle haben zusammengehalten“, sagt Momm. Am Tag danach rollte die Hilfsbereitschaft erst richtig an. Etwa 120 Menschen, überwiegend Wildfremde, seien nach Mintard gekommen, um mit anzupacken. „Das war unglaublich. Was da bewegt wurde.“ Einziges Problem: Es waren nicht genug Container da, um den schlammüberzogenen Unrat wegzuschaffen. „Es waren so viele Leute da, wir hätten alles wegschaffen können. Am Ende türmte sich der Müll dann an der Straße.“ Momm hätte sich damals mehr Unterstützung von der Stadt gewünscht.
Die Mülheimer Familie war 14 Wochen ohne warmes Wasser
Er und seine Frau, so sagt er, seien noch vergleichsweise glimpflich davongekommen. Sein Haus ist als einziges an den Strom der höher gelegenen August-Thyssen-Straße angeschlossen. Seine Nachbarn waren vier Tage ohne Strom. Die Momms mussten allerdings 14 Wochen warten, bis sie wieder warmes Wasser hatten. Die Heizung war kaputt und Material begehrt. „Auch im Ahrtal und an der Mosel wurden Heizungen, Waschmaschinen, Kühlschränke gebraucht“, sagt er.
Ein paar Wochen nach dem Hochwasser dann traf sie die erschütternde Erkenntnis: Das Wasser war unter die Bodenplatte gelaufen. Putz, Estrich, alles musste bis auf die Außenmauern raus. Zu seinem Glück hatte er Jahre zuvor eine Elementarversicherung abgeschlossen, die half, den erheblichen Schaden zu regulieren. Insgesamt hat die Instandsetzung des großen Wohnhauses 290.000 Euro verschlungen, wobei darin auch eine Wärmepumpe enthalten ist, die Momm bei der Gelegenheit einbauen ließ. Die letzten Arbeiten sind gerade erst abgeschlossen worden.
Wie blickt Fred Momm in die Zukunft? „Ich bekomme nicht jedes Mal Panik, wenn Starkregen angekündigt wird. Aber ich frage mich schon, ob genug unternommen wird, um die Kanalisation und den Bach für die Wassermassen zu rüsten.“ Momm selbst hat im Zuge der Renovierung Abflüsse vergrößert und die Waschmaschine steht erhöht. Aus der Nachbarschaft weiß er, dass auch mit verstärkten Fensterscheiben und Schotts für Kellerfenster Vorsorge getragen wurde.