Mülheim. Vor Jahren gab die Mülheim-Mumie Forschern große Rätsel auf, jetzt sind die meisten gelöst. Und die Mumie hat eine Welttournee hinter sich.

Mülheims ältester Exportschlager kommt aus Ägypten. Möglich machte es der damalige Tengelmann-Chef Wilhelm Schmitz-Scholl junior. Vor 120 Jahren stiftete er seiner alten Oberrealschule, dem heutigen Karl-Ziegler-Gymnasium, eine Mumie, die er in Ägypten erworben hatte.

Über die Aneignung fremder Kulturgüter – Indianer und Co. lassen grüßen – machte man sich damals noch keine Gedanken. Deutschland war 1903 Kolonialmacht. Und so jubelte die Mülheimer Zeitung damals: „In diesen Tagen haben die Lehrmittelsammlungen unserer höheren Schulen einen Zuwachs erhalten, wie ihn keine andere Anstalt besitzt. Und dieses jüngste Stück wird zugleich für immer das älteste bleiben. Es ist eine ägyptische Mumie, die Herr Wilhelm Schmitz-Scholl auf seiner Reise durch das Land der Pharaonen, durch eine außergewöhnliche Vermittlung der englischen Regierung, die die Echtheit der Mumie garantiert, erworben und dem Gymnasium und der Realschule seiner Vaterstadt geschenkt hat.“

Ägyptische Mumie schlummerte lange unbeachtet in Mülheims Karl-Ziegler-Schule

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Weiterhin schrieb die Mülheimer Zeitung: „Die Mumie befindet sich im Original-Holzsarg. Auf seiner glasierten Fläche innen und außen ist er mit Hieroglyphen dicht bedeckt. Diese Inschriften sollen fotografiert und einem Ägyptologen zur Entzifferung eingesandt werden, damit wir erfahren, welchen hohen Herrn aus der Zeit des Königs Thutmosis, 1600 vor Christus, aus dieser Dynastie soll sie stammen, in unseren Schulräumen beherbergen. Der Körper steckt in einer aus schmalen Leinwandbändern gewickelten Hülle, die bisher nur am Kopf gelöst wurde, wodurch der zum Teil noch von der Haut bedeckte Schädel und das Gesicht freigelegt sind, nach dreieinhalbtausendjährigem Schlummer. Jedenfalls fühlen sich die Anstalten zum größten Danke Herrn Wilhelm Schmitz-Scholl verpflichtet für ein solch seltenes und wertvolles Geschenk.“

Doch der ersten Euphorie folgte jahrzehntelanges Desinteresse. Die ägyptische Mumie schlummerte in der naturkundlichen Sammlung der heutigen Karl-Ziegler-Schule. Nur bei einer Ausstellung zum 100. Schulgeburtstag erblickte sie 1952 das Licht der Öffentlichkeit.

Der Deckel des Sargs, der die Mülheim-Mumie enthielt.
Der Deckel des Sargs, der die Mülheim-Mumie enthielt. © WWU - Archäologisches Museum

Mülheimer Mumie ging 2021 gar auf Welttournee nach Japan

Doch dann kam das Jahr 1977. Franz Matuszczyk, ehemaliger Mülheimer Lokalchef der Ruhrnachrichten, CDU-Stadtverordneter und Kulturausschussvorsitzender, berichtete in seiner neuen Funktion als Pressesprecher der Stadt Münster dem Kurator des Archäologischen Museums der Universität von einer altägyptischen Mumie, die in der naturkundlichen Sammlung einer Mülheimer Schule ihre letzte Ruhe gefunden habe. Der Kurator war elektrisiert und setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um die Mumie von Mülheim nach Münster zu bekommen. 1978 machte es eine Dauerleihgabe der Stadt Mülheim möglich.

Doch auch in ihrer neuen Heimat setzte die ägyptische Mumie aus Mülheim erst mal ihren Dornröschenschlaf fort. Nur einmal, 2009, war sie als stummer Statist im ARD-Tatort „Der Fluch der Mumie“ zu sehen.

Doch dann kam ihr Comeback 2021. Nach einer fünfjährigen Restaurierung und computertomografischen Durchleuchtung sah man klarer: Bei der Mumie handelt es sich um einen 1,66 Meter großen Mann, der um 950 vor Christus im Alter von 30 Jahren verstorben ist. Jetzt wurde die alte Mumie im neuen Glanz, gut geschützt und gut beleuchtet, in einer Vitrine des Archäologischen Museums der Universität Münster von der interessierten Öffentlichkeit wiederentdeckt. Es kam noch besser für die Mumie. 2021 ging sie als Star einer internationalen Wanderausstellung auf eine zweijährige Japan-Tournee.

Die Geschichte der Mülheim-Mumie – eine kleine Chronologie:

Tausende Museumsbesucher wollten im vergangenen Jahr die Mülheim-Mumie sehen

Die aufwendig restaurierte Mumie, die jahrzehntelang im Mülheimer Karl-Ziegler-Gymnasium ein tristes Dasein hegte, liegt im Archäologiemuseum der Universität Münster neben ihrem Sarkophag in einer neuen Vitrine.
Die aufwendig restaurierte Mumie, die jahrzehntelang im Mülheimer Karl-Ziegler-Gymnasium ein tristes Dasein hegte, liegt im Archäologiemuseum der Universität Münster neben ihrem Sarkophag in einer neuen Vitrine. © dpa | Bernd Thissen

Wie geht es der Mülheimer Mumie aus dem alten Ägypten nach der Rückkehr in ihr Münsteraner Exil? Im Gespräch mit der Lokalredaktion erklärt der heutige Kurator des Archäologischen Museums der Universität Münster Dr. Helge Nieswandt: „Der Katalog und der Presserummel um die Rückkehr der Mumie lässt viele Besucherinnen und Besucher nach ihr fragen. Eine optimale Klimatisierung unserer Räumlichkeiten und eine neue Spezialvitrine sorgen für eine optimale Unterkunft.“ Die Mumie sei im vergangenen Jahr von 9200 Ausstellungsbesuchern betrachtet worden. „Fünf von ihnen kamen aus Mülheim“, so Nieswandt.

„Wir wissen, dass es sich bei der Mumie nicht um ein reines Ausstellungsobjekt, sondern um die sterblichen Überreste eines Menschen handelt“, sagt der Kurator. Das mache sein Team bei der Präsentation und den Führungen Besucherinnen und Besuchern auch deutlich. „Bei Führungen sind alle zumeist hin- und hergerissen zwischen Scheu vor einem toten Menschen und der Faszination der Mumie“, erzählt Nieswandt.

Und welche Bedeutung hat die ägyptische Mumie aus Mülheim für das Ausstellungskonzept der Münsteraner Archäologen? „Die Mumie ist für uns ein herausragendes Ausstellungsstück, insbesondere weil es den Anspruch des Museums verdeutlicht, über unsere Kernsammlung – Griechenland und Römisches Reich – hinaus auch alle antiken Kulturen zu zeigen“, äußert sich Museumsdirektor Prof. Dr. Achim Lichtenberger.

Der bunt bemalte Sargkasten. Zentral ist das Motiv der Göttin Nephthys, eine an der Totenbahre des Gottes Osiris Klagende.
Der bunt bemalte Sargkasten. Zentral ist das Motiv der Göttin Nephthys, eine an der Totenbahre des Gottes Osiris Klagende. © WWU - Archäologisches Museum