Mülheim. . Mit „Der Westen“ hat Konstantin Küspert eine ernüchternde Bestandsaufnahme des zivilisatorischen Erfolgsmodells geschrieben.
Die Freiheitsstaue ist ins Straucheln geraten. Die sonst so strahlende und unerschütterlich wirkende Miss Liberty hat sich übergeben müssen und liegt zerknautscht neben einem Kaktus. Sie ist erschüttert, was aus der Freiheit geworden sei, die ja doch relativ sei, aber Flüchtlingsboote im Mittelmeer und dann „diese Sache mit der Mauer an der Grenze zu Mexiko.“ Die Freiheit sei es doch schließlich, die den Grundgedanken der westlichen Welt ausmache.
DAS STÜCK
Miss Liberty muss sich, so wie die Helden der Populärkultur neben ihr, erst einmal aufrappeln und straffen, bis sie sich wieder zuversichtlich als Freiheit präsentieren kann. Neben ihr stehen Lucky Luke, Dagobert Duck, Superman und Super Mario, der als japanische Videofigur in Gestalt eines italienischen Klempners die extremste Inkarnation eines fleißigen und versierten Handwerkers darstellt. Allzeit bereit für den Wettbewerb. Die Idealbesetzung für „Der Westen“. Nach dem Erfolg des Stücks „Europa Verteidigen“, für das Konstantin Küspert vor zwei Jahren mit dem Publikumspreis der Mülheimer Theatertage Stücke-Festivals ausgezeichnet wurde, legt der 37-Jährige ein Stück in ganz ähnlicher Form nach: ein breites und buntes Kaleidoskop der Gesellschaft in Vergangenheit und Gegenwart.
Plötzlich erscheint das zivilisatorische Erfolgsmodell ernsthaft in Gefahr. Küspert nimmt sich der historischen und zeitgenössischen Webfehler in unserer politischen Ordnung mit „vergifteter Freundlichkeit zur Brust“, wie Franz Wille in Theater heute schreibt. „In jeder seiner 22 Kurz- und Kürzest-Szenen legt er westlichem Spitzenpersonal auf seinem langen Marsch durch Geschichte und Kultur nett den Arm über die Schulter, um dann langsam zuzudrücken.“
Virtuos spielt erneut das Ensemble des Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theaters auf, das mit viel Pappmaché und noch mehr Leidenschaft „Europa verteidigen“ seine starke Dringlichkeit verliehen hat. Vier Männer und eine Frau schlüpfen in unzählige Rollen von Kolumbus bis Neil Armstrong. Für Küspert ist es der dritte Text, der in Bamberg zur Uraufführung gelangt. Intendantin Sibylle Broll-Pape hat selbst die Regie übernommen. Ihr ist es auch gelungen, dass Haus aus dem Dornröschenschlaf einer Provinzbühne wach zu küssen und zu einem lebendigen und wachen Ort für zeitgenössisches Theater zu machen, wie Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung schreibt. Eine Leistung die 2017 von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit dem Bundes-Theaterpreis honoriert wurde.
Für das Theaterpublikum im Ruhrgebiet ist die 62-Jährige keine Unbekannte. Sie hat 1991 in Bochum das Prinz Regent Theater gegründet, das sie von 1995 bis 2015 leitete und über den Verein noch weiter kontrollierte. Unumstritten ist sie 62-Jährige weder in Bochum, noch in Bamberg. Seit drei Jahren arbeitet Küspert als Dramaturg am Schauspiel Frankfurt, wo er die Dramaturgie für Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ erarbeitet hat, was ihn sehr stolz mache, wie er bei einer Lesung in Mülheim erzählte. Er arbeitet sehr diszipliniert. Morgens ist er der Erste im Haus, arbeitet zunächst an seinen eigenen Stücken, danach für die Inszenierungen am Haus.
UNTERHALTUNGSPOTENZIAL Höchst vergnüglich. „Broll-Pape macht aus dem schon sehr nach vorne geschriebenen Texten ein rasantes Kabarett, durch das Film- und Fernsehmusiken wie aus „Games of Thrones“, „Natural Born Killers“ oder „True Detective“ rauschen“, heißt es auf Nachtkritik.
DIE STÄRKEN
Recherchiert hat Küspert sehr sorgfältig, bringt die Szenen auf den Punkt. Einer der dramatischen Höhepunkte spielt während der Kuba-Krise in einem russischen U-Boot, das gerade von amerikanischen Wasserbomben attackiert wurde. Damals stand die Welt hauchdünn vor dem Dritten Weltkrieg. Dass es nicht dazu kam, ist dem Offizier Wassili Alexandrowitsch zu verdanken, der die Provokation nicht atomar beantworten wollte.
DIE SCHWÄCHEN
Es fehlt der rote Faden und wirkt beliebig. „Manche Szenen wie ein Trump-Auftritt oder Angela Merkel bei Gerhard Schröder sind niederschmetternd in ihrer Plumpheit, andere brillant“, so die Süddeutsche.
DER PROMIFAKTOR
Küspert stellt Schauspieler Stefan Hartmann ironisch als Erneuerer des Volksschauspiels vor, die Wiedergeburt Beppo Brems. „Seine Karriere führte steil über Bochum, Bamberg schnell nach Berlin und New York. Er galt während seiner Hollywood-Zeit gar als größter Schauspieler der westlichen Welt, als neuer Clark Gable“, heißt es rückblickend aus dem Jahr 2058.
FESTIVALBAROMETER
Dieses Mal reicht es nicht.
TERMINE
Freitag und Samstag, 24. und 25. Mai, jeweils 19.30 Uhr, Stadthalle, Studiobühne.