Nachdem der Künstler als „widerlicher Antisemitist“ gilt, wurden im Kanzleramt seine Bilder abgehängt. Im Kunstmuseum Mülheim hängen seine Werke.
Angela Merkel liebt Emil Nolde. 13 Jahre lang hingen zwei seiner Werke im Kanzleramt. Kurz vor der Eröffnung der Berliner Ausstellung, die den Künstler als glühenden Antisemiten, Hitler-Verehrer und Opportunisten entlarvt, gab Merkel die Leihgaben zurück. „Es ist für die Bundeskanzlerin eine Frage der Glaubwürdigkeit, sich ohne Wenn und Aber der Aufarbeitung deutscher Geschichte zu stellen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. „Antisemitismus ist Teil der Staatsräson. Ihrer persönlichen Noldeliebe geht Merkel besser privat nach als ausgerechnet im repräsentativen Rahmen ihres Büros.“
Nachdem mit Karl Schmidt-Rottluff das nächste Dilemma drohte, bleiben die Wände nun kahl und mit Kirchner, der im Kabinettssaal hängt, könnte eine ähnliche Debatte beginnen. Darf man Nolde heute noch zeigen? Das Mülheimer Kunstmuseum verfügt über 44 Werke des 1867 in Dänemark als Emil Hansen geborenen.
Problematischer Hintergrund nicht selten
Museumsleiterin Beate Reese und Michael Kuhlemann, Geschäftsführer der Stiftung Sammlung Ziegler, halten das Abhängen der Werke für einen Fehler. „Geht jetzt die Kanzlerin auch nicht mehr zu den Bayreuther Festspielen?“, hält Michael Kuhlemann entgegen, Geschäftsführer der Stiftung Sammlung Ziegler. Die Festspiele auf dem Grünen Hügel, die Thomas Mann „Hitlers Hoftheater“ nannte, die enge Beziehung zu Winifried Wagner sowie die Musik und die antisemitischen Schriften Richard Wagners, hält der Kunsthistoriker für mindestens ebenso problematisch.
„Die Kunstgeschichte ist voll von Kriminellen und Mördern, die großes geschaffen haben“, sagt er und verweist auf Caravaggio, der beispielsweise mehrfach wegen Beleidigungen, unerlaubten Waffenbesitzes und schwerer körperlicher Attacken inhaftiert worden war. „Man sieht, ein guter Künstler muss nicht unbedingt ein guter Mensch sein.“
Kunst muss frei von Ideologie sein
Für Kuhlemann ist es das entscheidende Kriterium, ob die Kunst frei von Ideologie ist, sich die Künstler vereinnahmen und im Sinne einer Idee instrumentalisieren lassen. Arno Breker beispielsweise war ein hervorragender Bildhauer, der seine Fähigkeiten in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hat. Seine oft monumentalen Stauen seien entindividualisiert und reine Pose. Bei Nolde sei ein solcher Stilwechsel nicht zu beobachten. Das Œuvre des 70-jährigen war in den 30er Jahren schon nahezu abgeschlossen. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP, rassistische und antisemitische Äußerungen seien keine große Entdeckung.
Bernhard Fulda und Aya Soika, die gemeinsam mit dem Direktor der Nolde-Stiftung, Christian Ring, die Berliner Ausstellung kuratierten, hatten auch schon vor fünf Jahren zur großen Frankfurter Retrospektive dazu veröffentlicht. Walter Jens hatte in den 60er Jahren schon davor gewarnt, man müsse Nolde vor Nolde schützen und auch Altkanzler Helmut Schmidt kannte die Verstrickungen.
„Ambivalenzen sind Teil der deutschen Geschichte“
„Man wollte es damals nicht wissen“, sagt Reese. Die Entnazifizierung kam schnell zum Erliegen. Statt rückwärts blickte man nach vorne. „Diese Ambivalenzen und Verwerfungen sind Teil der deutschen Geschichte. Man muss sich ihnen stellen und nicht wegsehen“, sagt sie und empfiehlt zu dieser Mentalität das aktuelle Buch vonWilli Winkler „Das braune Netz. Wie die Bundesrepublik von früheren Nazis zum Erfolg geführt wurde“.
Bei einer Lesung an der Volxbühne vor zwei Jahren ging Reese auch explizit auf die rassistischen und antisemitischen Äußerungen von Nolde und seiner Ehefrau Ada vor dem 1. Weltkrieg ein, erzählte, wie beharrlich der Maler bei Baldur von Schirach antichambrierte, um für die Rückgabe seiner Werke zu kämpfen. Die Briefe jener Zeit seien Dokumente einer Verblendung mit Huldigungen an Führer, Volk und Vaterland. Nachzulesen sei das gut in „Die Farben sind meine Noten“ von Kirsten Jüngling.
Unbequeme Wahrheit anerkennen
„Es wäre schön, wenn es uns gelänge, die Widersprüchlichkeit der Geschichte und der Kulturgeschichte, die ja eigentlich nur von der Widersprüchlichkeit des Menschen erzählt, zum Teil unserer Deutschstunden zu machen“, schreibt Florian Illies in der ZEIT.
Er spricht vom keimfreien Kultur-Fundament und der Sehnsucht unserer prüden, verängstigten Zeit nach einer besenreinen Kunstgeschichte. „Der Wahrheit Raum zu geben, dass leider auch niederträchtige Menschen höchste Kunst schaffen können. Das ist unbequem. Aber viel mutiger, als wieder anzufangen, Bilder abzuhängen.“
Nolde-Ausstellung war ein Publikumsmagnet
Für Karl und Maria Ziegler, die in den 50ern begannen, Kunst zu sammeln, war Nolde ein Lieblingsmaler. Mit 27 von 100 Werken ist er ein Schwerpunkt. Die Jubiläumsausstellung 2017 war mit 29.768 Besuchern ein Renner – mehr als in einem Jahr.
Als Nolde in den 20ern zum populärsten Künstlern avancierte, kaufte Werner Kruse das Wasserrosen-Stillleben (1922), das von den Nazis als entartete Kunst entfernt wurde. Christel Denecke kaufte es 1963 mit Förderung des Landes zurück.