Mülheim. Klavierkabarettist Bodo Wartke hat Antigone für zwei Personen adaptiert. Er bietet lehrreiche Unterhaltung für die ganze Familie.
Die Musik des Trailers klingt pathetisch wie die eines Blockbusters. Wie bei einem Rockkonzert gibt es Nebel und Lightshow, die Klaviermusik erinnert an Kleinkunst und so mancher Gag und die Basecap auf dem Künstlerkopf an Comedy. Dabei geht es um Antigone, die griechische Tragödie von Sophokles, die um 440 vor Christus entstand. Es ist die Tochter des Ödipus, der es ihr nicht gestattet ist, ihren toten Bruder zu bestatten. Harter Stoff, der nicht nach Leichtigkeit klingt. Aber Bodo Wartke, der am Donnerstag in der Stadthalle auftritt, schafft das locker und ist damit sogar erfolgreich. Die Hallen sind ausverkauft, das Publikum ist aus dem Häuschen, es gibt Szenenapplaus und Standing Ovations. Der 42-jährige Musikkabarettist macht wohl vieles richtig. Herr Wartke, wenn man sich Ihre Antigone ansieht, ist das eine irre Mischung aus Slapstick und Ernsthaftigkeit, Dramatik und Spaß. Wie kamen Sie auf diese Mischung?
Das hat sich so ergeben. Shows, die alle Facetten des Menschseins zeigen, berühren mich und gefallen mir am besten. Bei einem Konzert von Reinhard Mey etwa gibt es Lieder, die sind so lustig, dass man Tränen lachen muss, und andere, die einen im tiefsten Herzen berühren. Ich empfinde es als großes Geschenk, wenn auf der Bühne diese emotionale Spannbreite gelingt.
Wie sind Sie auf die antike Mythen gestoßen?
Darauf bin ich schon als Schüler gekommen. Die Idee, König Ödipus auf die Bühne zu bringen, hatte ich als Elftklässler. Ich fand es wahnsinnig öde, als wir es gelesen haben, wie das Allermeiste, was man als Schüler verabreicht bekommt. Ich habe mich gefragt: Wie müsste es sein, damit mir das gefällt? Damit ich damit etwas anfangen kann, es spannend finde, damit es einen Bezug zur Gegenwart hat? Denn das haben die Stücke. Die Themen sind aktueller denn je.
Was reizt Sie inhaltlich?
Bei König Ödipus fand ich die Frage interessant, wie weit unser Leben vom Schicksal bestimmt ist? Sind wir entscheidungs- und handlungsfrei? Das sind wir. Wir alle sterben, aber der Weg dorthin, der ist gestaltbar. In Antigone geht es um ganz aktuelle politische Themen: Willkür, Herrschaft, Tyrannentum, ziviler Ungehorsam, da kann das Publikum sehr gut andocken. Es war für mich folgerichtig, nach Ödipus Antigone zu spielen.
Sie wollen den Text in die Gegenwart holen. Sie bringen Anspielungen, etwa auf Erdogan, da meint der Zuschauer, er säße tatsächlich im Kabarett.
Genau. Es enthält viele Zitate. Auch moderne Erzählformen wie HipHop, das mag ich eben sehr. Mit zeitgemäßen Mitteln einen alten Stoff erzählen.
Ödipus haben in 130 Shows rund 70 000 Zuschauer gesehen. Was glauben Sie, wie hoch ist das Durchschnittsalter.
Von sechs bis 100. Es ist frappierend, wie groß die Bandbreite ist. Drei Generationen sind zugegen und alle haben Spaß. Ganz oft kommen Familien, und zwar auf Empfehlung der Kinder, die haben mich im Internet aufgestöbert und sagen, das ist cool, da lass uns mal hingehen.
Solche Zahlen können einige Stadttheater nicht präsentieren.
Kein Wunder, finde ich. Modernes Theater ist ja nicht immer leichte Kost. Viele trauen sich nicht, den Text zu verändern.
Aber es gibt dort auch interessante und zeitgemäße Inszenierungen mit großer Leichtigkeit, die die Schwelle zum Theater senken
.
Ich senke nicht die Schwelle, ich erleichtere den Einstieg. Bei mir werden die gleichen Szenen gesprochen wie im Original und die werden auch nicht abgeschwächt. Es wird richtig schlimm. Ödipus sticht sich die Augen aus, seine Mutter erhängt sich. Niemand wird geschont. Es wäre schade, das zu reinem Slapstick verkommen zu lassen. Ich habe den Mut, die Tragik geschehen zu lassen, mich ihr aber mit größtmöglicher Komik zu nähern.
Wo sehen Sie den Schlüssel zu Ihrem Erfolg?
Schwierige Frage. Ich glaube, dass mir die Leute vertrauen. Sie kennen mich aus anderen Zusammenhängen, etwa als Kabarettist am Klavier, und das hat sie begeistert. Sie denken, so wie dieser Typ mit Sprache umgeht, das ist solide, das gefällt uns, von dem lassen wir uns gerne mal ein antikes Drama oder eine Oper erzählen.
War Ödipus sofort ein Erfolg?
Ödipus war zunächst als Interimsprogramm gedacht, als Ausflug in ein anderes Genre, weil ich mich als reinen Klavierkabarettisten verstanden habe. Da habe ich immer mal eine Nummer eingestreut. Inzwischen wird das Programm an der Schule besprochen. Ganze Klassen kommen zu mir in die Vorstellung oder schauen sich im Unterricht die DVD auf Initiative der Schüler an. Ich bekomme ganz viele Rückmeldungen von Schülern: Endlich haben wir das Stück verstanden und, hey, das kann ja auch Spaß machen, so der Tenor. So ein Text gilt als unantastbar. Dass ich so frech daherkomme und meine, es besser zu können, das finden die Schüler dann klasse! Ich bin der Meinung, wenn es keinen Spaß macht, gibt es einen Grund, und der lässt sich beheben.