Mülheim. . Simone Thomas, langjähriges Ensemble-Mitglied am Theater an der Ruhr, inszeniert das Stück „Die Gespenster“ von Henrik Ibsen.

Nach der erneuten Lektüre von Henrik Ibsens Gespenster schoss Helmut Schäfer ein Büchner-Zitat aus Leonce und Lena in den Kopf: „Mein Kopf ist ein müder Tanzsaal“. Daran erinnert auch die leere Tristesse des nur mit einigen Objekten gefüllten Bühnenraumes. Wie der Lüster verweisen sie auf vergangene, bessere Zeiten. Es sind Requisiten aus anderen Stücken, die ein Echo der Erinnerung wachrufen. Der Lüster hing einst im Solbad, als das Theater an der Ruhr im Jahr 1981 am Raffelberg einzog. Er harrte seitdem auf einen Einsatz.

Am Ende der Gespenster, im norwegischen Original heißt das Stück Widergänger, ist nichts mehr so, wie es am Anfang der schöne Schein Glauben macht. Die Familie ist ein Scherbenhaufen, alle Lebenslügen liegen wie offene Wunden da und auch die Kirche als Institution ist diskreditiert. Hauptmann Alving, an dessen Andenken zum zehnjährigen Todestag ein Kinderheim eröffnet werden soll, erscheint in seiner ganzen Jämmerlichkeit. Den eigenen Sohn hat er missbraucht, die Haushälterin vergewaltigt und seine Frau betrogen, verachtet und gebrochen.

Das Stück durfte 1882 in Deutschland nicht aufgeführt werden

In München, wo Ibsen damals lebte, konnte ein solcher Text die Zensur nicht passieren und musste 1882 im fernen Chicago uraufgeführt werden. „Meinem Buch gehört die Zukunft“, habe der norwegische Theaterautor damals immer wieder geschrieben, sagt Regisseurin Simone Thoma. „Musik spielt eine große Rolle“, kündigt sie an, teilweise hat sie Pianist Matthias Falke komponiert, aber es kommt auch Musik, wie das bekannte, leitmotivisch erklingende Kinderwiegenlied von Brahms und andere Stücke zum Thema Kindsein, vom Band.

Mit Helene Alving (Petra aus der Beek) hat Ibsen, wie so oft, eine besondere Frauenfigur geschaffen. Es ist die Fortführung von Nora, die als emanzipatorischen Akt ihre Kinder verlässt, der Ibsen direkt zuvor Unsterblichkeit verlieh. „An Helene sehen wir, was passiert wäre, wenn Nora zu Hause geblieben wäre. Sie wäre zugrunde gegangen. Ibsen zeigt den kompletten seelischen, psychischen und moralischen Verfall eines Individuums.“ Die Ehe war ein verschleierter Abgrund, Alving entpuppte sich rasch als unverbesserlicher Wüstling, dessen Ausschweifungen sie musikalisch untermalen musste. „Eine alternde Frau gibt ihr letztes Konzert“, war für Thoma ein leitender Gedanke.

Ibsen ist ein exzellenter Beobachter der Gesellschaft

Vergeblich versucht sie Schutz in den Armen des Pastor Manders (Klaus Herzog) zu finden, doch der sittenstrenge und selbstgefällige Geistliche redet ihr ihre überspannten Pläne aus, drängt auf Einhaltung der Konventionen und hält das auch noch für eine große Tat.

Ibsen, als exzellenter Beobachter der Gesellschaft, hatte sehr früh die Familie als Mikrokosmos der Gesellschaft, in dem die Generationen aufeinanderprallen, ins Zentrum seiner Arbeit gerückt. Im Gegensatz zu anderen Autoren, welche die Familie verherrlichen oder Einzelfälle schildern, legt er klar die grundsätzliche Überforderung offen, so macht Schäfer die Qualität Ibsens deutlich. Im 19. Jahrhundert, als die Idee der Individualität aufkam, zeigt er, dass die Freiheit nur eine Illusion ist und der Mensch sich von der Vergangenheit nicht freimachen kann. Sie wird zum schweren Ballast.

Missbrauch ist nicht nur sexuell zu verstehen, sondern auch im übertragenen Sinn als seelische Gewalt durch Erziehung mit Zwängen, Pflichten und starren Regeln. Leidtragender direkter sexueller Gewalt wird der Sohn Oswald und das in Anwesenheit der Mutter. Er selbst entwickelt Schuldgefühle, die Mutter deckt den Vater, wie das heute immer noch oft der Fall ist.

Oswald wird zum Widergänger seines Vaters

Dieser Oswald ist bei Ibsen eigentlich ein junger Künstler. Bei Simone Thoma verkörpert Roberto Ciulli diesen vom eigenen Vater missbrauchten Sohn. Mit dieser Besetzung des fast 85-Jährigen Theatergründers will sie die Besetzung nicht einfach gegen den Strich bürsten, wie sie betont. Es hat konzeptionelle Gründe. „Oswald ist ein durch den Missbrauch um seine Jugend und Kindheit betrogener Mensch, der vor seiner Zeit viel zu früh gealtert ist“, erklärt sie. Oswald wird zum Widergänger seines Vaters, der ihn um sein Leben gebracht hat. Beide verschmelzen zu einer Figur. Ausgerechnet an einer Geschlechtskrankheit geht Oswald dann zugrunde.

>>> Information und KartenSimone Thoma ist seit über 25 Jahren Schauspielerin am Theater an der Ruhr. „Die Gespenster“ ist ihre vierte eigene Regiearbeit. Die Premiere ist am Freitag, 8. März. Weitere Vorstellungen: 17., 24. und 29. März jeweils 19.30 Uhr. Bei einer Matinee am Sonntag, 24. Februar, sprechen Dramaturg Helmut Schäfer und Simone Thoma über Ibsen und die Inszenierung. Karten zum Preis von 28/13 Euro (Premiere) bzw. 23,50/ 9 Euro unter 599-0188