Mülheim. . Roberto Ciulli und Helmut Schäfer siedeln ihre Othello-Inszenierung im Boxer-Milieu an. Es geht um Populismus, Verführung und Rassismus.

Othello ist vor allem wegen seiner rasenden Eifersucht, die ihn zum Mörder seiner Frau macht, berüchtigt. Schon bei Shakespeare steht aber Jago, der mit dem Feldherrn aus gekränkter Eitelkeit ein verhängnisvolles Spiel treibt, stärker im Zentrum. Wie er auf der persönlichen Ebene manipuliert, würde man im Großen als Populismus bezeichnen. Außerdem ist der „Mohr von Venedig“, wie das Stück im Untertitel heißt, die Geschichte einer rassistisch motivierten Ausgrenzung. Schon am Anfang wird Othellos Werben um die Tochter eines Edelmannes mit derben Worten belegt: „schwarzer Bock, Berberhengst, Karnickelstellung“.

Man muss nur an AfD-Kritik von Martin Schulz denken, der kritisierte, dass alle Probleme auf die Migration zurückgeführt werden. „Das Stück liegt in der Luft“, sagt Roberto Ciulli, den vor allem die Entwicklung in Italien, aber auch in ganz Europa sorgenvoll stimmt, da Populisten und Nationalisten auf dem Vormarsch sind. Schon Volker Lösch nutzte Shakespeare als Sprungbrett für sein Stück „Das Jago-Prinzip“ am Essener Schauspielhaus, das das Spannungsfeld zwischen Populismus und Journalismus beleuchtet. Längst haben falsche Nachrichten dasselbe Gewicht wie echte, weil die gewählten Nachrichtenkanäle wie Facebook nicht verlässlich sind.

„Was man heute Fake-News nennt, hieß früher einfach Intrige“, sagt Helmut Schäfer. Populismus entsteht durch die Reduzierung von Komplexität, die Konfrontation zwischen wir und den anderen und er hat auch immer ein irrationales Element.

Text auf den Kern der Manipulation eingedämpft

Shakespeare-Kenner Harald Bloom nennt Jago „ein Genie des Bösen“ und fragt in seinem Klassiker „Die Erfindung der Menschlichkeit: „Wer hat je vor Jago die Künste der Desinformation, der Irreführung, des Unordnung-Schaffens derart perfektioniert?“ Alles füge sich zu einem Programm einer Anti-Schöpfung zusammen. Den komplexen Text haben Roberto Ciulli und Helmut Schäfer auf den Kern der Manipulation eingedampft und auch das Personal auf den fünfköpfigen Kern reduziert. Wie gelingt es Jago (Steffen Reuber), Othello immer weiter zu reizen, seine Eifersucht anzufachen und doch dabei ganz unschuldig zu wirken? Man wird ja doch noch einmal Fragen stellen dürfen, könnte er am Ende sagen. Zum Instrument der Täuschung wird ein zufällig von Jagos Frau Emilia gefundenes Taschentuch. Immer wieder reizt Jago, schwächt dann ab. Aber wie eine Schraube spitzt sich die emotionale Eskalation immer weiter zu. „Die Eifersucht braucht keinen Grund, sie ist ein Ungeheuer, das sich selbst zeugt, sich aus sich selbst gebiert“, sagt Emilia (Petra von der Beek) einmal.

Für Ciulli stellt sich stets die Frage, wie man den Text, der Anfang des 17. Jahrhunderts entstanden ist, in die Gegenwart transportieren kann. Zuletzt hatte er das Wintermärchen im Mafiamilieu angesiedelt, Othello ist nun ein Box-Champion. Damals konnten gesellschaftliche Außenseite Anerkennung im Militär finden. „Heute ist die gesellschaftliche Aufsteig im Sport möglich, im Fußball oder im Boxen“, begründet Ciulli seine Entscheidung. Othello ist mit dem Nigerianer Jubril Sulaimon besetzt, der zuletzt in Heiner Müllers „Quartett“ spielte. Ciulli und Schäfer sind begeistert von der Kraft und Aktualität der Shakespeareschen Stücke, die allenfalls mit antiken Dramen vergleichbar sind, die in ähnlicher Weise existenzielle Konflikte thematisieren. Auch die Frauen, obwohl von Männern gespielt, sind bei Shakespeare von Rosalinde bis Portia stark.

Gott und Teufel

Desdemona (Dagmar Geppert) ist zwar die „liebenswürdigste Unschuld“ in Person, aber auch nicht frei von Vorurteilen. Sie bat Othello, ihr seine Geschichte von Flucht, Gewalt und Haft zu erzählen, die sie „mit heißen Ohren verschlang“, stellte sich gegen den Vater, der die Verbindung ablehnte („ohne Hexerei kann die Natur sich nicht so grotesk verirren“), wies andere Freier ab, doch ist sie nicht frei von Makel. Ciulli assoziiert, teilt Desdemona (die Unglückliche), in zwei Teile, die nach Gott und Teufel klingen. Er glaube zwar nicht, so Ciulli, dass er mit einer Inszenierung die Situation verändern könne, hoffe aber, zum Denken und zur Diskussion anregen zu können.

>> MATINEE UND PREMIERE

Bei einer Matinee im Foyer des Theater an der Ruhr in Mülheim, Akazienallee 61, sprechen Roberto Ciulli und Helmut Schäfer am Sonntag, 16. September 2018, um 12 Uhr über ihre Inszenierung, Europa, Rassismus und Gewalt gegen Frauen. Eintritt frei. Für die Premiere am Donnerstag, 20. September, 19.30 Uhr, gibt es Karten unter Telefon 0208 / 599 018 8.