mülheim. . Nach zwölf Jahren verlässt der 45-Jährige das Theater an der Ruhr, wo er die internationalen Reihen betreut hat, und macht einen Karrieresprung.

Rolf Hemke kommt gerade aus Istanbul zurück, wo er sich neue Stücke angesehen hat, die für die Reihe Szene Istanbul möglich sind. Drei ganz starke Abende hat er erlebt und fand die Qualität insgesamt wieder überzeugender als im Vorjahr. Der Regisseur Serdar Bilis beispielsweise, der schon mit Adaptionen von Horváth „Kasimir und Karoline“ und erst kürzlich mit Dea Lohers Unschuld am Theater an der Ruhr zu sehen war, hat sich Roland Schimmelpfennigs „Der goldene Drache“ ausgesucht, um darin die türkische Gegenwart zu spiegeln. Bei Bilis sind es nun syrische Flüchtlinge, die in türkischen Schnellrestaurants schuften müssen.

Es wird die letzte Szene Istanbul sein, die Hemke kuratiert, denn nach zwölf Jahren verlässt der 45-Jährige im Sommer das Theater und übernimmt das Kunstfest Weimar. Es ist ein gewaltiger Karrieresprung. Ein Festival mit einem Grundbudget von einer Million, einem fünfköpfigen Team, einem hohen Ansehen und 20 bis 30 Aufführungen, zu denen auch Tanz und Musik gehören. Nike Wagner und Christian Holtzhauer, der nun die Intendanz des Theaters Mannheim übernimmt, waren seine Vorgänger.

15 Gruppen hat er fest im Blick

„Es ist erstaunlich, welche Türen sich für mich plötzlich öffnen, seitdem die Entscheidung bekannt geworden ist. Was für großartige Künstler jetzt den Kontakt mit mir suchen!“, freut sich Hemke, der in der Personalentscheidung auch eine Anerkennung der intensiven internationalen Arbeit am Theater an der Ruhr sieht, die auch Klang- und Theaterlandschaften umfasst. Im Sommer werde er zudem Vater - also ein Superjahr für ihn.

In der Türkei hat Hemke rund 15 Gruppen fest im Blick, auf Empfehlung schaut er auch noch einmal „rechts und links“. Zeitaufwendig ist das trotzdem. Man müsse die Stücke erlebt haben, nebenbei könne er das leider nicht weitermachen. Im Gegensatz zu den Klanglandschaften, deren Zukunft nach dem Auslaufen der Förderung durch das Kultursekretariat ungewiss scheint. Hier besteht Anlass zu Optimismus. „Wenn der WDR zuversichtlich ist, dass es weitergeht, dann bin ich das auch“, sagt Hemke, auch wenn es vielleicht ein oder zwei Konzerte weniger in der Saison sind. Er habe gute Kontakte zu den Agenturen und im Mittelpunkt stehe die Musik, so dass dies kein Problem wäre.

„Satirisch pointiert und politisch brisant“

Die Arbeit am Theater an der Ruhr war für ihn eine sehr privilegierte und luxuriöse. All die Reisen, die Begegnungen mit den Künstlern, aus denen vielfach Freundschaften wurden, hinterlassen einen reichen Erinnerungsschatz – auch wenn er mal nach einer Vorstellung mit dem Bus nachts 500 Kilometer gemeinsam mit dem Ensemble nach Istanbul zurücklegen musste. „Theater kostet aber nicht nur Kraft, es spendet auch welche“, wie ein Schauspieler im Publikumsgespräch nach der Aufführung von „Ivan Ivanovich“ am Wochenende meinte. „Technisch brillant wie ein Uhrwerk, satirisch pointiert und politisch brisant“, nannte Hemke die Inszenierung und als er seinen Abschied bekannt gab, ging einen Raunen des Bedauerns durch den Saal.

Gerade die Szene Istanbul hat sich fest etabliert, sorgt für ein volles Haus und lockt ein eher linkes Publikum aus dem gesamten Ruhrgebiet an - ohne Migrationshintergrund sind hier vielleicht zehn Prozent. Trotz deutscher Übertitelung wundert man sich, dass an einer Stelle, die nicht sonderlich komisch erscheint, der ganze Saal in schallendes Gelächter ausbricht. Man ahnt es und fragt den Nachbarn. „Der Schauspieler hat sich plötzlich genauso bewegt und genauso gesprochen wie Erdogan.“ Er spielt einen Schlosser, der zu Macht und Einfluss gelangt, aber von Ivan Ivanovich so manipuliert wird, dass er sich komplett verändert. Den Klassiker von Nazim Hikmet hat Regisseur Emrah Eren deutlich forciert.

Zensur für türkisches Theater

Regisseure aus der Türkei wie Serdar Bilis kann sich Hemke auch in seinem Weimarer Programm vorstellen. In der Türkei hat er nun doch wiederholt von Zensur gehört, keiner Vorabzensur zwar, aber von Fällen, dass Texte nach Beschwerden vorgelegt werden mussten. Die Eingriffe seien zum Teil gravierend. Alles, was mit dem 15. Juli, also dem Putschversuch, in Verbindung steht, gehe gar nicht, ebenso wie Kritik an den Gerichten oder wenn die Türkei als Unrechtsregime erscheint. Da greifen viele gern zu Klassikern wie Brechts „Kreidekreis“.

Einer der ersten Theatermacher aus dem arabischen Raum, den er in Paris kennenlernte, war der Libanese Issam Bou Khaled, der ihm Türen öffnete und im Laufe der Zeit vor allem auf interessante syrische Theaterleute aufmerksam machte. Mit seinem ersten Stück seit vier Jahren, „Carnivirous, Fleischfresser“, kommt Bou Khaled als Autor, Regisseur und Schauspieler gemeinsam mit seiner Frau Bernadette Houdeib nächste Woche zur Theaterlandschaft Mittelmeer. So schließt sich ein Kreis.

Jurist, Kritiker und Dramaturg

Hemke, der auch Jurist ist und vor seiner Zeit am Raffelberg auch als Kritiker unter anderem für die Süddeutsche Zeitung arbeite, wollte wieder stärker dramaturgisch arbeiten. Zuletzt hatte er schon seine Arbeitszeit halbiert, um dafür Zeit zu finden. Mit Wihad Sulaiman, der jungen syrischen Autorin und Regisseurin aus Essen, hat er in Oberhausen beispielsweise Medea realisiert und mit Wasim Ghrioui an der Staatsoper Hannover „Tin Pit“. Mit genauer Beobachtungsgabe und feiner Ironie werden hier Geschichten und Anekdoten der Bewohner eines versunkenen Viertels erzählt. Beide Autoren sind neben Mudar Alhaggi (Ma’louba) bei der Theaterlandschaft am Samstag, 28. April, um 16.30 Uhr bei einer Lesung zu erleben.

2019 wird Hemke sein erstes Programm in Weimar präsentieren. Er hat einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschrieben, der eine Verlängerungsoption beinhaltet. Die strebt er auch an und wird auch in die lebendige Kulturstadt in Thüringen ziehen.

Das Theater an der Ruhr und IstanbulRoberto Ciulli hat bereits Anfang der 90er Jahre auf Einladung des türkischen Kultusministeriums in Istanbul Seminare gegeben und damit die Theaterlandschaft befruchtet. Später hat er wiederholt mit türkischen Schauspielern gearbeitet.

Die Reihe Szene Istanbul gibt seit der Spielzeit 2011/12.