Mülheim. Ostersonntag feiert Roberto Ciulli seinen 84. Geburtstag und spielt „Der kleine Prinz“. Über die Zukunft des Theaters und seine Bücherpläne

Tunesien kennt Roberto Ciulli nur bei Sonnenschein. Jetzt war es kalt und nass, der Saal des Nationaltheaters in Tunis bei der ersten Probe noch eisig. Umso warmherziger war der Applaus, nachdem er dort mit Maria Neumann Ibsens „Peer Gynt“ zum internationalen Welttag des Theaters gegeben und damit das Theaterfestival eröffnet hatte. „Es ist ein Stück über das Alter und über die Jugend“, erzählt Ciulli, die Spannung zwischen Jung und Alt ist zentral. Wo sind die Momente, auf die es im Leben ankommt? Peer versucht sie zu fassen, aber kann sie nicht greifen. Was macht ein Leben aus? Die Tiefe der Gedanken habe das überwiegend junge Publikum unter 30 gut verstanden. Auch Theaterintendant Fadhel Jaïbi habe die Konzentration und die beeindruckende Ruhe des Publikums während der 90 Minuten bemerkt.

Ein Stück in fremder Sprache mit Übertiteln zu verfolgen, ist schwierig. „Ich habe sofort gespürt, dass ich intensiver spielen muss. Es braucht mehr Körper“, erzählt er und er habe auch gemerkt, dass die Energie sich rasch auf das Publikum überträgt. Vor deutschem Publikum funktioniere die Aufführung stärker über den Text.

Der Theatermann ist ein Faultier

Das ist es, was Theater für Ciulli so reizvoll macht, auf den Moment einzugehen, dem Zufall eine Chance zu geben und zu improvisieren. Das macht jede Aufführung, jeden Abend zu einer kleinen Premiere. Routine einstellt darf nicht aufkommen. Die Natur des Menschen ist dem Theatermann nicht fremd. „Er ist ein Faultier. Aber der Macht der Gewohnheit muss sich der Künstler widersetzen. Er darf sich nicht selbst pensionieren, sondern muss auf der Bühne leben.“

© Erich Dorau

Das gilt auch für „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint Exupéry, den er ebenfalls mit Maria Neumann seit 18 Jahren spielt. Die 200. Aufführung liegt wie auch seine Inszenierung mit türkischen und spanischen Schauspielern schon ein paar Jahre zurück. Premiere hatten sie einst in der Wüste von Usbekistan, in einem kleinen Theater mit 50 Plätzen. „18 Jahre, die spürt man. Bewegungen, die ich damals erfunden habe, tun mir heute einfach weh.“ Auch der Blick verändert sich. „Es passieren immer noch Dinge, die ganz neu für uns sind. Das hält die Aufführung lebendig.“ Zu sehen ist dieser Klassiker wieder an Ostersonntag. Es ist ein besonderer Termin, denn an diesem 1. April feiert Ciulli seinen 84. Geburtstag. Das Alter merkt man ihm nicht an, vor allem wenn man sieht, wie er Maria Neumann in „Peer Gynt“ auf seinen Schultern trägt und im kleinen Prinzen auf dem Fahrrad zu der melancholischen Melodie mit Engelsflügeln ausgestattet auf dem Fahrrad schier unendliche Runden dreht.

Blick auf 35 Jahre TAR

Ein Geburtstag ist etwas Privates, aber sein Leben und das Theater an der Ruhr sind sowohl für ihn als auch in der Außenwahrnehmung längst eins geworden. So lässt sich der Tag schön gemeinsam feiern.

An Pensionierung denkt Ciulli aber weder im übertragenen noch im wörtlichen Sinn. Solange er dazu beitragen kann, dass sich die Zuschauer mit dem Theater an der Ruhr als geistige Heimat identifiziert, will er weiterarbeiten. „Die Zukunft hat längst begonnen“, betont er – schon seitdem er kein Geschäftsführer mehr ist und neben ihm andere wie Philipp Preuss, Jo Fabian und Simone Thoma Regie führen. Aber Ciulli blickt schon sehr konzentriert auf über 35 Jahre Theater an der Ruhr zurück. Gemeinsam mit Jonas Tinius, der zum Ruhrorter-Team gehört, arbeitet er an einem Buch. Wie schon in „Botschafter der Sphinx“ mit Frank M. Raddatz wird es keine Chronologie, sondern Gespräche. Der Titel: „Die Kunst, den Zufall zu ermöglichen.“

Der Zufall wollte es auch, dass sich in der Redaktion in einer Schublade alte Fotos aus den 90er Jahren fanden. Zigarre rauchend sieht man ihn da noch. Ciulli blättert fasziniert durch die Fotos, die ihn mit dem aus der Türkei stammenden Lyriker und Übersetzer Yüksel Pazarkaya, Bodo Hombach, Eleonore Güllenstern und dem Regisseur Hansgünther Heyme zeigen. Ein Bild von der Verleihung des Verdienstkreuzes durch Bundespräsident Roman Herzog 1996 ist auch dabei. Auf einem ist er mit strengem Schnäuzer, das wallende Haar akkurat gestutzt oder durch einem Zopf gebändigt zu sehen. „Fürchterlich“, kommentiert Ciulli und lacht, bieder wirkt er da und ähnelt dem Autor Eduardo de Filippo. Natürlich nur für eine Rolle.