Das Kollektiv Ma’louba präsentiert mit Ya Kebir am Theater an der Ruhr sein zweites Stück. Ein Beziehungsdrama eines Geschwisterpaares
Erst im Frühjahr hatten syrische Exilkünstler das Kollektiv Ma’louba gegründet, es genießt am Theater an der Ruhr bei technischer und logistischer Unterstützung völlige Freiheit und schon legen Rafat Alzakout und Amal Omran ihr zweites Stück vor. Es ist eine Stückentwicklung, die zeigt, wie in einer Diktatur unter Zwang und Gewalt die familiären Strukturen und damit die Gesellschaft geprägt und zerstört wird.
Es geht um ein Geschwisterpaar, deren Vater Offizier beim Geheimdienst war. Beide entwickeln ihre eigenen Strategien damit umzugehen. Der Bruder lehnt sich dagegen auf, zerbricht aber daran. Die Tochter, die den Vater liebt, verdrängt dessen Schattenseiten, flüchtet sich in Arbeit und stellt sich erst spät der Realität. „Seit sechs Jahren bin ich einsam, leer, ohne Träume. Meine Seele verblutet zum Klang dieses wahnwitzigen Krieges. Ich bin schon jenseits des Alptraums. Ich bin ein wandelnder Toter und kann nicht noch mehr sterben“, heißt es im Programmheft, eine Passage, die den Seelenzustand des Bruders gut charakterisiert und im Bühnentext gerade deshalb gestrichen wurde. „Meine Lunge ist kalt, und diese Kälte geht tief, so tief wie die Zeit, glaube mir, ich habe keine Illusionen mehr.“
Kern des Textes sind sehr intime Tagebuchnotizen der Schauspielerin Amal Omran von 2013, die sie damals Rafat Alzakout zeigte. Diesen Nucleus haben sie nun durch Erfahrungen und Erlebnisse der anderen aus dem Team in Improvisationen ergänzt, erweitert und verändert. Der Titel „Ya Kebir“ war in dem achtwöchigen Probenprozess der Leitgedanke. Der mehrdeutige Begriff steht einmal für die Allmächtigkeit einer Autorität, kann sarkastisch gemeint sein oder als Hilferuf: „Gott, hilf mir!“ Der Vater ist abwesend, inzwischen tot, und doch dreht sich alles um ihn. Die Geschwister begegnen sich mit großer Distanz, reichen sich nur zögernd die Hand, sezieren dann ihr Beziehungsgeflecht, sie das Plappermaul, Vaters Liebling, er, die Heulsuse, Mutters ganzer Stolz. Ihre Tochter liebt sie überhaupt nicht. Das wird nicht linear erzählt, sondern durch Reflexionen, Träume („Ich schwamm mit geschlossenen Augen im Fruchtwasser. Ich weiß noch, dass ich nicht hinaus wollte“) und Erinnerungen vor allem der Schwester. Kurz gibt es einen Moment der Heiterkeit, dann folgt eine Eskalation der Aggression. Der Bruder erinnert sich, wie er all seinen Mut fasste und dem Vater widersprach. Das Letzte, was er wolle, sei, „Menschen im Dienste des Vaterlandes abschlachten“. Der zückt drohend die Pistole. Aber auch gerade die ruhigen Momente der Sprachlosigkeit berühren. Video, Licht und Musik sind wichtige Elemente.
Es sind beklemmende Szenen und heftige, unter die Haut gehende Texte. „Ja, so ist unser Leben“, erwidert Alzakout. Am Ende steht von Heiner Müller der Ophelia-Monolog als Elektra, der Rächerin. Es geht darum, die Perspektive zu weiten, das es eines fundamentalen Wandels bedarf, der aber auch den Westen betrifft, betonen beide.