Neukirchen-Vluyn. . Familien an der Gartenstraße ärgern sich über Saatkrähen, die sich direkt neben ihren Grundstücken angesiedelt haben. Monatelang hätten sie nicht im Garten sitzen können, sagen sie. Tisch und Bank waren täglich aufs Neue verkotet. Noch schlimmer: der Lärm!

Das Lexikon bezeichnet die Saatkrähe als „sehr ruffreudig“ – eine Charakterisierung, der die Familien Heinemann und Herberholz-Boschmann sicher vorbehaltlos zustimmen. Denn unmittelbar neben ihren Grundstücken an der Gartenstraße ist eine Saatkrähen-Kolonie entstanden, und was die beiden Ehepaare über ihr Leben damit berichten, lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Saatkrähen will man eher nicht als Nachbarn haben.

Ingeborg Heinemann lässt sich mit Heide Herberholz an dem wuchtigen Holztisch vor dem Gartenhäuschen nieder. Monatelang haben die beiden da nicht sitzen können. Tisch und Bank waren täglich aufs Neue verkotet. Aber was noch schlimmer war: „Der Lärm!“, sagt Ingeborg Heinemann. „Dieses Getöse, dieses Geschrei – das geht von Sonnenaufgang über den ganzen Tag bis abends um elf. Glauben Sie mir: Das macht einen fertig.“ Auch für Freundin Heide Herber-holz war die laute Dauerbeschallung eine Belastung: „Manchmal bin ich richtig aggressiv geworden oder einfach für ein paar Stunden weggefahren.“

Die Saatkrähen nisten in den Bäumen eines Privatwäldchens, die Äste ragen über Teile der Nachbargärten. 38 Nester hat Karl-Heinz Poschmann gezählt. Als die Krähen sie im April gebaut haben, ging es mit dem Lärm los, er steigerte sich, als der Nachwuchs kam. Seit Ende Juli herrscht wieder Ruhe, denn jetzt sind die Saatkrähen auf den Feldern unterwegs.

Dass die Neukirchener nicht übertreiben, kann der Kreisvorsitzende des Naturschutzbundes Peter Malzbender zwar nicht für den konkreten Fall, aber doch aus Erfahrung bestätigen. Auch der Vogelexperte scheut sich nicht, von „Lärm“ und „richtiger Belästigung“ zu sprechen. Andererseits weist Malzbender darauf hin, dass die Saatkrähe eine bedrohte Art und ihr Bestand derzeit nur in Nordrhein-Westfalen stabil ist: „Unser Land hat deshalb eine besondere Verpflichtung“, sagt Malzbender.

Auch der Kreis Wesel macht den geplagten Neukirchenern wenig Hoffnung auf Hilfe. Saatkrähen gehören nach dem Naturschutzgesetz zu den „besonders geschützten europäischen Vogelarten“, erklärt der Koordinator für den Artenschutz, Klaus Horstmann. Wer die Tiere verjagt, macht sich strafbar. Doch selbst eine offizielle Umsiedlung ist nicht ohne weiteres möglich. In dem Fall verlangt der Gesetzgeber ein Lärmgutachten, das die Antragsteller in Auftrag geben und bezahlen müssten: „Das Gesetz ist streng. Wir dürfen uns nicht nach dem Empfinden Einzelner richten, sondern benötigen eine objektive Entscheidungsgrundlage“, ergänzt Horstmann, nach dessen Angaben es im Kreis etwa 60 Kolonien mit 2000 Saatkrähen gibt. Im Frühjahr hat der Kreis eine Kolonie in Wesel-Büderich mit wissenschaftlicher Begleitung umgesiedelt, aber: „Dort waren der Wochenmarkt und ein Kindergarten betroffen. Wir sammeln jetzt erstmal Erfahrungen mit diesem Procedere.“ Im Kreis gebe es mehrere solcher „Brennpunkte“ wie an der Gartenstraße, weiß Horstmann, an der Kattenstraße oder im Dieprahmswäldchen in Kamp-Lintfort etwa: „Der Lebensraum der Tiere auf dem Land geht verloren. Und dann siedeln Tiere wie die Saatkrähen mehr und mehr in der Nähe der Menschen.“