Moers. .

Lübecker Nuss und Käse-Sahne sind seine Lieblingskuchen, mehrstöckige Hochzeitstorten seine Spezialität. Wie viele er davon im Laufe seines Berufslebens gebacken hat – Jupp Hanio hat sie nicht gezählt. Kaum vorstellbare 58 Jahre ist der Konditormeister Chef in der Backstube von Café Mehrhoff an der Neustraße. Jetzt geht Hanio in den Ruhestand. „Ich bin 80“, sagt er. „Irgendwann muss mal Schluss sein.“

An den Anfang seiner Laufbahn erinnert sich Jupp Hanio, als wär’s gestern gewesen – und zwar mit einem Schmunzeln. Seine Frau Margret, wie er von der Mosel stammend, hatte 1955 eine Stelle in Kevelaer bekommen, so dass es auch Jupp an den Niederrhein zog. Glücklicherweise entdeckte er in einer Zeitung eine Stellenanzeige des Café Mehrhoff in Moers: „Konditorgeselle gesucht“. Er bewarb sich und wurde ohne Vorstellungsgespräch genommen. Doch als der Eifeler, am Bahnhof der Grafenstadt angekommen, nach dem Weg zu Mehrhoff fragte, erntete er nur Achselzucken. Selbst die Taxifahrer kannten kein Café dieses Namens.

Nur eine kleine Wurstbude?

„Da bekam ich es mit der Angst zu tun“, erzählt Hanio. „Ich fragte mich, ob Mehrhoff am Ende nur eine kleine Wurstbude war.“ Er ließ sich zur Neustraße 40 fahren und entdeckte dort am Café Wilbers zu seiner Erleichterung das Schildchen an der Tür: „Inhaber Willi Mehrhoff“. Er klingelte, trat ein „und dann wurde ich wie ein Familienmitglied aufgenommen“.

1961 absolvierte Jupp Hanio seine Meisterprüfung, machte sich selbstständig und pachtete die Backstube von Mehrhoff: „Ich habe mich einfach in diese Backstube verliebt.“ Diese familiäre Verbindung blieb über die Jahrzehnte.

Als sich der Sprössling des Hauses, Klaus Dieter Mehrhoff, entschloss, ebenfalls Konditor zu werden, war es selbstverständlich, dass er bei Jupp Hanio in die Lehre ging: „Wir gaben uns die Hand auf gute Zusammenarbeit“, erinnert er sich. „Heute kennt jeder in Moers das Café Mehrhoff. Das liegt nicht nur an meinen Torten. Es ist auch das Verdienst von Klaus Dieter. Er kann wunderbar Kaffee kochen und Eis herstellen.“ Ehefrau Margret war all die Jahre an seiner Seite, hat die Torten an die Kunden ausgeliefert: „Ohne sie wäre ich nichts.“

Apropos Ausbildung: Klaus Dieter Mehrhoff ist nur einer von über 50 jungen Leuten, die bei Jupp Hanio durch die Lehre gegangen sind. Dabei ist der 80-Jährige auch in anderer Hinsicht ein ungewöhnlicher Ausbilder: Hanio ist seit seiner Kindheit taubstumm. „Aber das ist nur anfangs kompliziert. Nach ein, zwei Wochen haben sich neue Mitarbeiter oder Lehrlinge daran gewöhnt.“ Meist verständigt man sich in der Gebärdensprache. Und in der Backstube zeigen keine Klingeln, sondern Lämpchen am Ofen an, dass die Torte fertig ist.

Abschied wird schwer fallen

Überhaupt hat sich Jupp Hanio im Laufe der Jahrzehnte stets auch für die gesellschaftliche Eingliederung gehörloser Menschen stark gemacht. Er ist Geschäftsführer des Allgemeinen Gehörlosenvereins Moers sowie Vorsitzender des Gehörlosensportclubs und Hauptkassierer des NRW-Gehörlosensportverbandes. Hanio erhielt für seinen Einsatz sogar das Bundesverdienstkreuz.

Als Ruheständler will sich Jupp Hanio mehr als bisher seinen Hobbys widmen: Skat und Fernschach. Der 30. Juni wird sein letzter Arbeitstag sein, „meine Frau zählt schon wie ein kleines Kind am Adventskalender die Tage bis zu diesem Datum“, sagt er schmunzelnd. Sie freue sich, dass er die Backstube „mal loslässt“. Jupp Hanio bekennt, dass er ein wenig Angst vor dem 30. Juni hat: „Der Abschied von den lieben Menschen wird mir sehr schwer fallen. Da wird kein Auge trocken bleiben.“