Neukirchen-Vluyn. .
Der Purismus beginnt bei der Bühnenausstattung: ein Stuhl, ein Tisch, darüber ein schwarzes Tuch. Mehr Requisite brauchte der Mann, der sein Handwerk wie kaum ein zweiter in Deutschland versteht, am Mittwochabend in der Kulturhalle nicht, um sein Publikum zu fesseln und es nach knapp drei Stunden in wohliger Ehrfurcht nach Hause zu entlassen. Das politische Kabarett ist tot? Nicht, so lange Dieter Hildebrandt immer noch mit Sprache pur unsere Gesellschaft vortrefflich sezieren und in ihre Einzelteile zerlegen kann. Die immerwährende und immer noch aktuelle Botschaft des 85-Jährigen zwischen treffsicheren Worten: Der Fisch stinkt vom Kopf zuerst ...
Kein Wunder also, dass sie alle Federn lassen müssen. Die Kanzlerin, der Ex-Kanzler, die Röslers, Stoibers, Dobrindts und von der Leyens, die Brüderles und Berlusconis. Dabei schwingt Hildebrandt nicht wie viele andere seiner Kollegen im Lachgeschäft die einfache Rundum-Keule, er schlägt die Politiker mit ihren eigenen Waffen. Genüsslich zitierend, genau hinschauend bis die Blasen platzen. Ein Kunst-Handwerker, der akribisch arbeitet.
Aber Hildebrandt kann weit mehr als Politiker-Schelte, nicht nur, weil die Reibungsflächen nach all den Jahren immer glatter geworden sind. 75 Auftritte stehen in diesem Jahr im Tourneeplan, die Aktualität bleibt dennoch nicht auf der Strecke. Er reitet gekonnt auf dem Pferdefleischskandal herum („es ist doch besser auf dem Ross, als auf dem Sattel zu kauen“), zitiert aus Anette Schavans Doktorarbeit einen (nicht abgeschriebenen) Bandwurmsatz und entlarvt diesen letztlich als hülsenreiche Phrase. Ja, und wie wäre es denn wirklich, wenn es denn eine „Phrasen-Flensburg-Kartei“ gebe: „Wenn man 18 Punkte hat, muss man eine Woche schweigen.“
Schlimm nur, wenn man sich dann vor den Fernseher setzt. Schon mal mit Dieter Hildebrandts Augen Sport auf der Mattscheibe gesehen? Da sind zum Beispiel die „Ski-Schießer“, die immer von vorne links bis hinten rechts über den Bildschirm laufen und wieder verschwinden. Oder die Formel-1-Fahrer, die einfach zwischendurch mal tanken gehen. Wäre es da nicht spannender, die würden alle 20 Runden aussteigen und ebenfalls schießen, aufeinander? Ja und dann bleibt da noch die Frage, wer denn Tour de France -Sieger von 1998 bis 2005 wird? „Ein Radfahrer kann es nicht sein.“
Neukirchen-Vluyns Kulturbeauftragter Franjo Terhart machte keinen Hehl aus seiner persönlichen Bewunderung für den „Erfinder des politischen Kabaretts“. „Ich freue mich unsäglich, das ist das Highlight meiner bisherigen Kulturarbeit in Neukirchen-Vluyn,“ hatte Terhart die Gäste in der bis auf den letzten Platz besetzten Kulturhalle begrüßt. Und mit dem guten Gefühl, einen kulturellen Höhepunkt im kleinen Neukirchen-Vluyn erlebt zu haben, gingen zu später Stunde sicher auch die allermeisten Besucher nach Hause.