Kamp-Lintfort/Moers.

Drei Täter im Alter von 16 und 17 Jahren stehen am Mittwoch in Moers vor Gericht. Einer von ihnen soll im Mai einen Obdachlosen brutal ermordet haben. Zuvor hatten die Jugendlichen aus Langeweile randaliert.

Zum Ort des Verbechens fährt man durch ein gepflegtes Viertel mit alten Backsteinhäusern. Fast in Sichtweite der letzten noch arbeitenden Niederrhein-Zeche, die einst „Friedrich Heinrich” und heute BW-West heißt, liegt der novembertrübe Pappelsee, der dem angrenzenden Spaßbad seinen Namen gegeben hat. Direkt davor, auf dem Parkplatz, ist Klaus B. in der Nacht zum Pfingstsonntag, dem 23. Mai 2010, einen sinnlosen Tod gestorben. Aus Langeweile und Überdruss demolierten vier Jugendliche sein Auto, dann soll einer von ihnen, 16 Jahre alt, den 51 Jahre alten Wohnungslosen erschlagen haben. Für die Staatsanwaltschaft Kleve ist das Mord, den anderen drei mutmaßlichen Tätern, 16 und 17 Jahre alt, wirft sie Sachbeschädigung und Körperverletzung vor. Am Mittwoch beginnt in Moers vor der auswärtigen großen Jugendkammer des Landgerichts Kleve der Prozess.

Die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen sein. Zwar sind Details der grausigen Tat schon vorher bekannt geworden, doch könnte auch hier die Beweisaufnahme vor Gericht Neues hervorbringen. Sicher ist, dass Klaus B. auf äußerst brutale Art erschlagen wurde. Viel gewehrt hat er sich wohl nicht - ein sehbehinderter Duisburger Frührentner, der den Tod seiner Frau nicht verwinden konnte, dem die Wohnung abgebrannt war, und dem doch so viel an irgendeinem Dach über dem Kopf gelegen war, dass er das Angebot eines Kumpels annahm und in einem uralten Opel Corsa hauste, nur um nicht unter einer Brücke schlafen zu müssen.

Aufgegeben hatte er sich nicht

B. mag ein Eigenbrötler gewesen sein, aufgegeben hatte er sich nicht. Der Kofferraum des Corsa mit dem Weseler Kennzeichen war sein Kleiderschrank, den Parkplatz „bewohnte” er seit Anfang des Jahres, weil er sich im Hallenbad waschen konnte. Neben dem Auto war ein Handy sein einziger Luxus.

Passanten kannten ihn, wer seinen Hund gassi führte, sah, wie er sich Wasser holte, um Kaffee zu kochen oder wie er auf einer Bank vor sich hinträumte. Angst hatte keiner vor dem schmächtigen Mann mit den grauen Haaren. Und auch keinen Respekt - mehrfach hatte er sich über Schikane durch Jugendliche beschwert, die so jemanden wie ihn verachten und im Jargon „Opfa” nennen. Klaus B. hatte sogar Anzeige erstattet - gegen Unbekannt.

Gegen drei Uhr morgens am Pfingstsonntag wird die grausam zugerichtete Leiche des Mannes auf dem Parkplatz gefunden. Klaus B.’s Schädel ist zertrümmert, aus einer tiefen Wunde ist Blut in die Atemwege gelangt, daran ist der Mann erstickt. Kamp-Lintfort ist in Aufruhr. Schnell wächst das Kerzenmeer um den Ort, an dem die Leiche gefunden wurde, Erwachsene, Kinder und Jugendliche finden sich ein, um ihr Entsetzen auf Zetteln auszudrücken. Die Polizei ermittelt fieberhaft.

Nur wenige Tage

Und sie braucht nur wenige Tage, um das Puzzle des möglichen Tathergangs zusammenzusetzen. Es gibt überall Fußspuren, Fingerabdrücke, Reifenspuren, Aussagen von Zeugen, die in der Nacht etwas gehört haben. Der Corsa wird in einem Wendehammer auf der anderen Seeseite gefunden.

Ein Zeuge berichtet, dass er in der Nacht durch Reifenquietschen geweckt wurde und aus dem Fenster heraus geschimpft habe. Ein „Ja, t’schuldigung” sei zu hören gewesen. War es ein Mörder?

Das demolierte Handy neben dem Toten liefert das gespenstischste Dokument - rekonstruiert wird ein 20 Sekunden langer Wortwechsel zwischen Opfer und einem mutmaßlichen Täter: „Guck ma, et ist komplett schwarz”, beteuert eine raue Stimme. Dann die Antwort: „Ey, trotzdem is et auf Digitalkamera. Siehse datt hier? Siehse datt? Komm guck mich ma an!” Dann ein Knirschen.

Die entscheidenden Hinweise kommen aus der Bevölkerung. Der Haupttäter soll anderen von seiner Tat erzählt haben, heißt es. Bei den Polizeivernehmungen soll er sich schließlich verraten haben.

Den Ermittlungen zufolge könnte es etwa so gewesen sein: Die vier Lintforter Jugendlichen beschließen an jenem ereignislosen Samstagabend, den Obdachlosen in seinem Wagen „zu ärgern”.

Die KFZ-Schilder werden abgerissen, einer springt übermütig auf die Wagenhaube, zertritt die Heckscheibe. Dann muss einer aus dem Quartett nach Hause. Klaus B. will sich den Terror anscheinend nicht gefallen lassen. Irgendwie muss er versucht haben, die Täter aus dem Auto heraus mit dem Handy abzulichten, er redet von Schadenersatz.

Das könnte sein Todesurteil gewesen sein. Es kommt zur Prügelei, an der sich zwei aus der Gruppe beteiligen, während einer sich zurückzieht, dann geht schließlich auch der Dritte. Der vierte Jugendliche soll Klaus B. durch Schläge mit einem Gegenstand auf den Kopf getötet haben. Dann rast er mit dem Corsa fort.

Jacken liegen gelassen

Später treffen die drei Jungen noch einmal zusammen. Man hat Taschen und Jacken auf dem Parkplatz liegen gelassen. An dem leblosen Klaus B. vorbei zieht die Gruppe in ein Schnellrestaurant.

Ob sich die vier Angeklagten vor Gericht einlassen werden, ist ungewiss. Stephan Küppers, Moerser Anwalt des wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung Angeklagten, glaubt, dass sein Mandant „nur ungern bei einem üblen Spaß” mitgemacht habe. Was daraus entstehen könnte, „lag wohl jenseits der Vorstellungskraft”.

Auf dem Pappelsee-Parkplatz welken die Blumen vor sich hin. R.I.P. - „Rest In Peace” - steht auf einem verblichenen Zettel, der Wind reißt an weißen Trauerbändern. Für eine kurze Zeit bekam Klaus B. hier mehr Aufmerksamkeit als zu seinen Lebzeiten. Nun, während der angesetzten fünf Prozesstage, steht sein Schicksal noch einmal im Mittelpunkt.