Neukirchen-Vluyn. In Neukirchen-Vluyn steht in einigen Kellern Wasser. Die Bewohner sind verzweifelt, weil keiner zuständig sei. Was den Fall so kompliziert macht.
Auf den letzten Kellerstufen liegen Handtücher, die bereits nassgetreten sind, ein leicht muffiger Geruch hängt in der Luft. Er verstärkt sich, sobald man den Keller richtig betritt. Christoph Schäfer ist - mal wieder - dabei, das Wasser, das an diesem Tag mehr als einen Zentimeter hoch steht, aufzusaugen. „Heute haben wir hier einen neuen Höchststand“, sagt er und schaut ratlos auf die nassen Fliesen. Das Grundwasser ist bereits in die Fugen gezogen, es kommt gleichmäßig von unten hoch, so dass auch der Estrich betroffen ist. „Der fängt jetzt langsam an zu stinken, der Schimmel ist auch schon da“, sagt Schäfer.
In allen drei Kellerräumen ist es eigentlich nicht mehr möglich, sich längere Zeit aufzuhalten, weder im Waschraum, noch in Schäfers kleiner Werkstatt. Die meisten Möbel, ja sogar die Türen, haben Schäfer und seine Frau Astrid längst in den Garten geschleppt, sie sind unbrauchbar geworden und gehören auf den Sperrmüll. Mehr als 10.000 Euro an Material, schätzt Astrid Schäfer, wurde schon weggeschmissen. „Das ersetzt uns ja auch keiner.“
„Die Häuser sind wissentlich ins Grundwasser gebaut worden“
So wie dem Ehepaar Schäfer geht es noch weiteren Nachbarn und Nachbarinnen auf der Döpperstraße und dem Von-Arnim-Weg in der Nähe des Vluyner Nordrings. Insgesamt sind wohl um die zehn Häuser seit Anfang Januar vom Grundwasser im Keller und den Folgen betroffen. Warum das so ist, kann Klaus Biedermann, der mit seiner Ehefrau Elke auf der Döpperstraße lebt, genau erklären. „Die Häuser in diesem Wohngebiet wurden Anfang der 90er-Jahre von zwei verschiedenen Baugesellschaften errichtet, eine hat mit Betonbodenwanne gebaut, die andere nicht.“ Die Häuser mit der Betonbodenwanne hatten nie Probleme mit drückendem Grundwasser, die ohne schon.
„Die Häuser sind damals wissentlich ins Grundwasser gebaut worden, hier hätte die Stadt niemals Baugenehmigungen erteilen dürfen“, meint Biedermann. Der Bereich zähle zu den tiefsten in Vluyn und nicht umsonst komme Vluyn von „Flunen“, den alten Rheinarmen. Bereits vor 30 Jahren, als das Grundwasser-Problem in den besagten Gebäuden zum ersten Mal auftauchte, verklagten Anwohner die Baugesellschaft, bekamen Recht und sollten 50.000 Euro Entschädigung erhalten. „Das Geld ist aber nie geflossen, weil die Firma pleite ging und sich in den Osten abgesetzt hat“, so Biedermann, der damals bereits auf der Döpperstraße wohnte.
„Stehe zwei Mal pro Nacht auf, um den Keller trockenzulegen“
Bei Biedermann ist mittlerweile ein ganzer Aktenordner mit Korrespondenz mit Behörden und Firmen zustande gekommen. Nicht alle Häuser seien auf dem gleichen Niveau gebaut worden. „Bei manchen ist die Bodenplatte acht Zentimeter niedriger als beim Nachbarn, das bedeutet im Moment dann auch acht Zentimeter mehr Wasser.“ Mittlerweile habe die Stadt aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. „Auf der Rosenstraße beispielsweise hat man einen Meter höher gebaut“, erklärt Biedermann.
Das hilft Biedermann und seinen Nachbarn in der jetzigen Lage allerdings nicht. Sie sind verzweifelt, weil niemand sich für sie zuständig sieht. „Wir fühlen uns komplett alleine gelassen“, sagt Heidelore Schaf. „Ich schlafe nachts nicht mehr, stehe zwei Mal pro Nacht auf, um den Keller trockenzulegen.“ Zu der körperlichen Belastung komme auch die seelische, zumal die Vluynerin auch noch ihren pflegebedürftigen Mann betreut. „Es ist sehr belastend, wenn der erste Gang morgens immer in den Keller gehen muss“, meint auch Elke Biedermann. „Ich würde am liebsten ins Hotel ziehen.“
Bewohner haben Schadensmeldungen an die Lineg geschrieben
Die Bewohner des Wohngebiets sehen die Lineg in der Verantwortung. „Wir sind hier 1,5 Kilometer vom Schacht entfernt, das ist Bergbausenkungsgebiet“, sagt Klaus Biedermann. Die Grundwasserstände seien sehr schwankend und das Abpumpen Aufgabe der Lineg, die dieser aber nicht ausreichend nachkomme, so der Vorwurf der Anwohner. Alle vier eingegangenen Schadensmeldungen, so Lineg-Sprecher Ingo Plaschke, seien derweil einzeln geprüft, eine Regulierung aber abgelehnt worden.
Der Grund: Die gemeldeten Schäden seien nicht auf die bergbaulichen Veränderungen des Grundwassers und die damit einhergehenden Aufgaben der Lineg zurückzuführen. „Die Situation liegt ausschließlich an der Rekord-Regenmenge der vergangenen Monate“, so Plaschke. Seit Beginn des Wasserwirtschaftsjahres am 1. November 2023 bis heute fielen im Verbandsgebiet der Lineg 475,5 mm Niederschlag. Zur Einordnung: Der durchschnittliche Jahresniederschlag beträgt 783,8 mm im Verbandsgebiet. In vier Monaten sind also bereits rund 60 Prozent des durchschnittlichen Jahresniederschlages gefallen.
Lineg: Rekord-Niederschlag ist Schuld
Dieser Dauerregen hat nach Angaben der Lineg zur Folge, dass die Grundwasserstände flächendeckend hoch und die Böden gesättigt seien. Deshalb versickere der Niederschlag nicht mehr und bleibe als Oberflächenwasser auf den Böden stehen. Die Bewohner hätten aber in sofern recht, dass ihre Häuser im bergbaulichen Senkungsgebiet liegen und die Lineg dort aufgrund ihrer gesetzlichen Aufgaben gefragt ist. Grundwasserregulierung in diesen Gebieten bedeute, den Flurabstand zu halten. Damit ist nach Angaben der Lineg ein bestimmter Abstand zwischen der Höhe der Geländeoberkante und des Grundwasserspiegels gemeint. „Dieser Aufgabe, also dem Abpumpen, kommen wir nach“, so Plaschke. Allerdings pumpe das Unternehmen nur so viel, wie gesetzlich vorgegeben.
Den Anwohnern auf der Döpperstraße und dem Von-Arnim-Weg hilft das im Moment nicht weiter, zumal bei Grundwasserschäden auch keine Versicherung zahlt. „Das ist sogenanntes unsichtbares Wasser“, sagt Christoph Schäfer. Die Versicherung reguliere den Schaden aber nur, wenn es sich beispielsweise um einen Rohrbruch handele. Um die Räume zu trocknen, wenn das Grundwasser abgeflossen ist, sind Bautrockner nötig, die wochenlang laufen müssten und demnach viel Geld kosten. Ganz zu schweigen von den - auch gesundheitlichen - Schäden durch schwarzen Schimmel.
Hohe Kosten, wenn Firma alles abdichtet
Eine Firma zu beauftragen, die alles abdichtet, koste rund 25.000 Euro, sagen die Anwohner. „Und dann gibt es von den Firmen auch nur eine Garantie für die nächsten zehn Jahre“, so Astrid Schäfer. Für die Bewohner sind das keine zufriedenstellenden Lösungen, ein Verkauf mache aber ebensowenig Sinn. „Für uns bedeutet das Problem ja eine deutliche Wertminderung“, sagt Biedermann. „Und die Häuser kauft auch niemand, der weiß, das hier alle paar Jahre das Grundwasser im Keller steht“, sagt Biedermann. Er ist einigermaßen ratlos: „Wir hoffen jetzt auf lange trockene Tage, damit wir nach dem Aufstehen nicht mehr zuerst in den Keller müssen.“