Moers. Wer „Nazis raus!“ ruft, muss sagen, wohin mit ihnen: Aus Juli Zehs Roman „Über Menschen“ destilliert das Schlosstheater seinen Saisonauftakt.

Wenn Neonazis keinen Platz in unserer Gesellschaft haben – wo sollen sie dann hin? Das ist eine der Fragen, die Bestsellerautorin Juli Zeh in ihrem Roman „Über Menschen“ aufwirft – und der das Ensemble des Moerser Schlosstheaters nun nachgeht. Zur Eröffnung der Spielzeit mit dem Leitmotiv „Radikalität und Sanftheit“ könnte wohl kaum ein Stück besser passen.

Dabei wird das Buch von Juli Zeh, Verfassungsrichterin in Brandenburg, durchaus zerpflückt und zerlegt. Denn, so räumt Schlosstheater-Intendant Ulrich Greb ein: „Ich habe mich bei der Lektüre manipuliert gefühlt.“ Also zeigen er und Dramaturgin Viola Köster, wie man manipuliert: Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden in eine Werbeagentur entführt, die ein brandenburgisches Dorf ins rechte (hüstel) Licht rücken soll.

Die Geschichte, die Juli Zeh in ihrem Roman erzählt, bietet dafür Anknüpfungspunkte: Eine linksliberale Mitarbeiterin einer Berliner Werbeagentur zieht im Corona-Homeoffice von Berlin aufs Land und muss feststellen, dass ihr Nachbar Gote ein Neonazi ist.

Romanfigur Gote war schon bei den Krawallen in Rostock 1992 dabei

Einer, der auch schon in Rostock-Lichtenhagen dabei war, wo übrigens vor genau 30 Jahren erstmals die Polizei vor Rechtsaußenkrawallen kapitulierte. Gote ist einer, der im Gefängnis gesessen hat. Der aber zum Mit-Menschen gemacht wird, der sich um seine Tochter bemüht, so baut ihn Juli Zeh und buhlt zudem um das Mitleid der Lesenden: Gote ist todkrank und Dora wird zur Begleiterin, fast Freundin.

Ein Modell dient als Planungshilfe für die Szenen des Stücks.
Ein Modell dient als Planungshilfe für die Szenen des Stücks. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Und Dora (oder auch Juli Zeh) fragt sich, ob man das darf. Wie weit muss und soll man sich von Neonazis distanzieren? Reicht das eigene Haus, das Dorf, der Landkreis? Eine Frage, die auch Ensemble-Mitglied Joanne Gläsel sehr beschäftigt. Sie und die anderen Akteure suchen Nähe und Distanz durch eine Inszenierung, in der die Akteure auf der Bühne immer nur episodisch in die Rollen der Romanfiguren springen. Immer wieder sei bei den Proben die Frage aufgetaucht, welche Sätze sich sagen lassen. Wie viel Radikalität kann man wagen, wann macht man sich mit der bösen Sache gemein?

Das Szenario wird durch Modellbauten dargestellt, die mit Kameras auf Leinwände links und rechts der Zuschauer projiziert werden. „Unsere Schauspieler sind dabei auch Kameraleute und Filmproduzenten“ erläutert Ulrich Greb. Bei „21 Lovesongs“ habe man Erfahrungen mit so genannten hybriden Inszenierungen gemacht.

Allerdings wird man das neue Stück nicht online sehen können – die Filmrechte sind schon vergeben. Ist vielleicht auch besser so, denn aufgeworfen wird auch die Frage, wie sehr wir uns durch künstliche Aufgeregtheiten der Shitstorms im Internet vor uns her treiben lassen und wo die Grenze verläuft zwischen übertriebener Skandalisierung und dem berechtigten Werben um Aufmerksamkeit. Und die will das Schlosstheater ja bei seiner Spielzeitpremiere durchaus.

Matinee, Premiere, Aufführungen und eine Lesung

Mit einer Matinee am Sonntag, 28. August, um 11.30 Uhr führen Ulrich Greb und Viola Köster in das Stück ein. Die Premiere ist dann am 31. August.

Weitere Aufführungen sind geplant für den 2., 3., 9., und 14. September, immer um 19.30 Uhr, am 11. September beginnt die Aufführung um 18 Uhr.

Ergänzend zur Thematik des Stückes gibt es am 24. September um 19.30 Uhr eine Lesung aus dem Buch „Mit Rechten reden“, gewissermaßen eine Gebrauchsanweisung für den Umgang mit Neonazis, mit Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn und Per Leo, dem derzeitigen Metropolenschreiber Ruhr.