Moers. Der in Moers lebende Ukrainer Valentyn Synytsia hat Angehörige im Kriegsgebiet. Kontakt zu ihnen zu halten, wird mittlerweile immer schwieriger.

Die Bilder, die Valentyn Synytsia von seinem Bruder Oleksander erhalten hat, zeigen die dramatische Lage in der Ukraine: Raketeneinschläge vor der Haustür, zerstörte Gebäude und Panzer, die durch die Stadt rollen. In Chat-Nachrichten beschreibt Oleksander, wie er versucht, Lebensmittel zu kaufen und plötzlich Kampfflugzeuge tief und laut über Charkiw fliegen. „Er ist dann ganz schnell nach Hause gerannt, um sich in Sicherheit zu bringen“, erzählt Valentyn Synytsia.

Der 35-Jährige stammt ebenfalls aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, die seit mehr als einer Woche von russischen Soldaten angegriffen wird. Vor acht Jahren kam Synytsia als Flüchtling nach Deutschland, weil ihm die Lage durch die Annektierung der Krim durch Russland und die damit verbundenen Ausschreitungen zu gefährlich wurde.

Mit seiner Frau und den beiden Söhnen hat er sich in Moers ein neues Leben aufgebaut. Auch seine Mutter lebt hier. Doch ein Großteil der Familie – Großvater, Cousinen und Cousins und eben sein Bruder Oleksander mit Frau und Kindern – sind bis heute in der Ukraine geblieben.

Panik nach Raketenangriffen in Charkiw

Dass sich die Situation dort bis zum landesweiten Krieg zuspitzt, hat sich Synytsia nicht vorstellen können. Umso schockierter war er von den ersten Nachrichten über den Einmarsch russischer Truppen am 24. Februar. Der Moerser versuchte an diesem Tag einen kühlen Kopf zu bewahren, rief seinen Bruder in der Ukraine an und versuchte ihn zu beruhigen. „Alle waren dort in Schockstarre. Ich habe gesagt, dass sie alle wichtigen Unterlagen und einen Verbandskasten zusammenpacken und sich dicke Jacken anziehen sollen.“

In der Stadt sei Panik ausgebrochen, als die ersten Raketen einschlugen. Oleksander suchte mit seiner Familie Schutz im Keller seines Wohnhauses. Beheizt sei dieser nicht, draußen herrschten eisige Minusgrade.

Charkiw liegt im Osten der Ukraine.
Charkiw liegt im Osten der Ukraine. © FUNKEGRAFIK NRW Denise Ohms

Mittlerweile werde das Wasser knapp. Auch Strom und Heizung fallen immer wieder aus, weil die russische Armee Leitungen und Umspannwerke rund um Charkiw zerstöre. Supermärkte und Apotheken hätten nur noch vereinzelt und für wenige Stunden am Tag geöffnet – wenn es denn überhaupt noch was zu kaufen gibt.

„Ich habe so große Angst um meine Familie“, sagt Synytsia. Die Anspannung ist ihm anzumerken. Sein Handy lässt der 35-Jährige nicht aus den Augen. Es könnte schließlich eine Nachricht seines Bruders ankommen.

Kontakt in die Ukraine ist abgebrochen

Kontakt hält der Berufskraftfahrer aus Moers per Messenger-Dienst. Doch seit Dienstag ist die Verbindung abgerissen. Valentyn Synytsia hofft, dass es Oleksander gut geht und er nur keine Möglichkeit mehr habe, den Handyakku aufzuladen. Was der in Moers lebende Ukrainer aber noch weiß, ist, dass es seine Schwägerin mit den drei und zehn Jahre alten Kindern am Dienstag in einen Evakuierungszug geschafft hat, der die Menschen aus dem Land bringt.

„Das war nicht einfach. Sie haben es schon am Montag versucht aber keine Chance gehabt, weil so viele Menschen weg wollen“, erzählt Synytsia. Einen Tag später sind sie auf gut Glück erneut zum Bahnhof in Charkiw gefahren. Sieben Stunden bevor der Zug abfahren sollte. Und sie hatten Glück. Mit nur einer Tasche und zwei Rucksäcken mit Kuscheltieren der Kinder sind sie auf dem Weg Richtung Grenze.

Ihren Mann Oleksander musste sie zurücklassen. Der 31-Jährige darf das Land nicht verlassen. „Er will für sein Land kämpfen und es verteidigen“, sagt Valentyn Synytsia. Wohl ist ihm beim Gedanke, dass sein jüngerer Bruder in den Krieg zieht, nicht. „Ich will mir nicht vorstellen, dass ich ihn vielleicht nie wieder sehe.“

Moerser holt Angehörige zu sich

Ob Valentyn Synytsia seine Schwägerin mit den Kindern an der polnischen, slowakischen oder ungarischen Grenze in Empfang nehmen kann, weiß er noch nicht. Eine Info, wo der Zug genau hinfährt, habe er bisher nicht. Aber das sei egal. Der Moerser werde sie an jeder Grenze abholen.

Vielleicht kann er sich schon bald auf den Weg machen. Wie es dann weitergeht, ob die Angehörigen in Moers bleiben können oder nicht, weiß der 35-Jährige noch nicht. „Hauptsache sie sind erst einmal raus aus diesem furchtbaren Krieg.“