Kamp-Lintfort. Susanne Hausmann leitet einen Kita-Verbund und kämpft mit Personalnot. Sie fordert auch in Kitas Pooltests, um Mitarbeitende besser zu schützen.

Bei Susanne Hausmann klingelt seit Wochen schon am frühen Morgen das Telefon. Corona-Verdachtsfälle, bestätigte Tests bei Kita-Kindern, Geschwisterkindern, Eltern, Mitarbeiterinnen oder Personen,mit denen sie in einem Haushalt leben. Knapp zwei Jahre Corona haben die Verbundleiterin der fünf Kitas der St. Josef-Gemeinde und ihre 80 Mitarbeitenden bislang so gut wie möglich gestemmt. Seit die hochansteckende Omikron-Variante das Infektionsgeschehen auch hier bestimmt und sich immer mehr Erzieher*innen anstecken, ist die Arbeitsbelastung für das Kita-Personal so hoch wie nie. Im Interview spricht Susanne Hausmann über den aktuellen Kita-Alltag und das große Risiko für Mitarbeitende, sich mit dem Virus zu infizieren.

Frau Hausmann, wie hat heute Ihr Arbeitstag begonnen?

Auf dem Weg in Büro schellte schon beim Aussteigen aus dem Auto das Handy. Und ich dachte – okay, das muss jetzt kurz warten, bis ich aufgeschlossen und die Taschen abgestellt habe. Zeitgleich läutete dann auch der Festnetzanschluss. Am Handy war eine Mitarbeiterin der St.-Josef-Kita, wo Eltern mit ihrem Kind vor der Kita standen und ungehalten darüber waren, dass sie heute einen Bürgertest für das Kind brauchten. Die Eltern hatten dann beim Gesundheitsamt nachgefragt und dort eine andere Antwort bekommen. Da fragte die Kollegin, was denn jetzt gelte.

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Was haben Sie geantwortet?

Die Eltern hatten gestern Abend, dann doch einen Test im Testzentrum machen lassen, obwohl das Gesundheitsamt ihnen sinngemäß gesagt hat, wie die Kita denn auf die Idee käme, sie bräuchten einen Bürgertest. Danke dafür! Laut einer Handlungsempfehlung des Gesundheitsamt ist es so: Wenn innerhalb von vier Tagen mehr als ein Kind infiziert ist, dann müssen die Eltern dreimal die Woche einen Test vorzeigen, zweimal einen Selbsttest und einmal einen Bürgertest. Nur, dass in unserem Fall vier Erzieherinnen und nicht Kinder infiziert sind. Davon steht in dem Schreiben aber nichts. Ich habe noch keine Rückmeldung vom Gesundheitsamt zu dem Sachverhalt. Ehrlich gesagt können wir die Selbsttests der Kinder ja sowieso nicht kontrollieren. Alle Kolleginnen testen sich täglich, da sind wir auf der sicheren Seite. Aber bei den Eltern wissen wir nicht, ob und wie der Test gemacht worden ist, das ist ja im Einzelfall auch nicht so einfach. Es ist ein Vabanquespiel, weil wir so auch keine überprüfbaren Zahlen zu infizierten Kindern haben.

Wie sieht es aktuell aus, wie viele Erzieherinnen fehlen corona-bedingt?

Seit Weihnachten sind 21 Mitarbeiterinnen an Corona erkrankt, obwohl sie alle doppelt geimpft und geboostert sind. Aktuell sind es zehn oder zwölf, die gerade fehlen. Das bringt die Kitas in ihrer Personalbesetzung vollkommen an die Grenzen. Ein Drittel bis die Hälfte meiner Mitarbeiterinnen arbeiten mit 18, 20 oder ähnlich reduziertem Stundenumfang. Heißt: Ich kann 45 Stunden Öffnungszeit in der Woche mit so wenig Personal nicht mehr gewährleisten. So viel Mehrarbeitsstunden kann man keinem zumuten. In der Kita Oase haben wir gerade Quarantäne, da kann jetzt heute und morgen keiner kommen. Aber am Montag wieder. Allerdings wissen wir noch nicht, wie viele Kinder tatsächlich kommen. Die Eltern sind mittlerweile müde, Rückmeldung zu geben.

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Wie realistisch ist es im Moment, dass eine Kita schließen muss?

Das hat es bei uns schon gegeben. Aber jetzt haben sich die Rahmenbedingungen wieder geändert. Mitarbeiter gehen nicht in Quarantäne, nur weil Kinder erkrankt sind, die Einrichtung wird nicht geschlossen, weil dort ein ,Hot Spot’ sein könnte. Dass man vom Gesundheitsamt aus eine Kita schließt, halte ich für eher unwahrscheinlich. Ich müsste immer dann Gruppen schließen oder Betreuungszeiten einkürzen, wenn ich die Personaldecke nicht mehr habe. Es gibt ja einen gesetzlich festgelegten Betreuungsschlüssel.

Susanne Hausmann ist Verbundleiterin der fünf Kitas der St. Josef-Gemeinde in Kamp-Lintfort.
Susanne Hausmann ist Verbundleiterin der fünf Kitas der St. Josef-Gemeinde in Kamp-Lintfort. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Während der zwei Coronajahre, müssen wir ehrlich sagen, da war das nicht einzuhalten. Man musste die Mängel, die da sind, verwalten. Mitarbeiterinnen haben ohne Pause gearbeitet, weil keiner mehr da war. Viele Eltern haben aber auch reagiert, und die Kinder früher abgeholt. Da war viel guter Wille von allen Seiten. So schlimm wie jetzt aktuell mit der Omikron-Variante war es bei uns aber noch nie.

Gibt es so etwas wie einen ,normalen’ Kita-Alltag, hat es den in letzten zwei Jahren gegeben?

Ja. Es gab normale Kita-Zeiten. Immer dann, wenn wir auch als Gesellschaft den Eindruck hatten, dass ein bisschen Normalität aufkommt. Immer dann, wenn wir viel draußen sei konnten. Aber das Normale bezog sich immer nur auf pädagogische Mitarbeiter und Kinder. Wir haben zwei Jahre lang Kinder aufgenommen, mit deren Eltern wir nicht ein Mal einen echten Kita-Alltag erleben konnten.

Wie werten Sie den hohen Personalausfall durch Corona?

Ich bin der Meinung, die Menschen, die in Kitas arbeiten, stecken sich zu 90 Prozent bei der Arbeit an. Die waren nicht zeitgleich auf Feten oder sonstwo. Die haben alle dieselben Kinder auf dem Schoß, die wickeln, die trösten, die singen und tanzen mit denen und die Aerosole schweben durch alle Räume. Das Risiko, sich anzustecken, ist immens hoch. Wenn ich Vollzeit in einer Kita arbeite, dann bin ich 39 Stunden die Woche mit ungeimpften Personen zusammen.

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Es gibt Mitarbeitende, die aufgrund ihrer familiären Situation größte Ängste haben, die Krankheit mit nach Hause zu tragen. Ich kenne keinen Beruf, wo jemand innerhalb seiner Arbeitszeit ungeschützt mit ungeimpften Personen die volle Arbeitszeit zusammen ist. Ich will um Gottes willen weder Altenpfleger*innen noch Krankenhauspersonal irgendwie an eine falsche Stelle rücken. Nur – die haben wenigstens noch einen Schutz. Und Patienten, die getestet werden. Bei uns ist das noch nicht einmal Pflicht. Pooltests? Gibt es hier nicht.

Wie gehen Sie in den fünf Kitas mit dem Tragen einer Maske um?

Wir verbieten keiner Mitarbeiterin, eine Maske zu tragen. Man erlebt aber, dass die sehr jungen Kinder sich nicht gut eingewöhnen, wenn sie nicht Gesichter wahrnehmen können. Von daher tragen wir bei der Arbeit eher keine Maske. Auch bei Kindern mit Behinderungen ist das schwierig.

Was fehlt am meisten?

Ich glaube, das meiste was fehlt, ist Beziehung. Kontakt und Austausch – für alle Beteiligten. Normalerweise wären wir um diese Zeit zum Beispiel mit den Vorschulkindern zur Polizei und zur Feuerwehr gefahren. Wir hätten den Wochenmarkt besucht, wären den Schulweg abgegangen, hätten viele Dinge außerhalb der Kita gemacht, um die Kinder ins Leben zu begleiten. Das alles fehlt. Wir machen es stattdessen in der Kita, bauen einen Parcours auf, der wie eine Straße aussieht und üben, wie man sie überquert. Aber es ist eben nicht die Realität. Den Kindern fehlt auch der zwanglose Kontakt untereinander, gruppenübergreifend. Und für die Eltern finde ich es fast noch schwieriger. Sie können kaum noch auf andere Eltern treffen und sich im lockeren Gespräch austauschen.

Was müsste besser laufen?

Es sollte Pooltests geben, damit alle sicher sein können: Gibt es heute einen Fall bei uns oder nicht? Ich bin geneigt zu denken, dass man es jetzt auf eine Durchseuchung anlegt, weil man es nicht gestoppt bekommt. Das kann gesellschaftspolitisch sogar richtig sein. Wir müssen uns nur vor Augen halten, dass die Gesellschaft es dann billigend in Kauf nimmt, dass sie Menschen ungeschützt ins Rennen schickt.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Eine gute Vorsorge. Wir müssen sicher sein, dass die Kinder, die kommen, zumindest an diesem Tag negativ sind. Dann können wir auch alles öffnen, was wir für die Bildung von Kindern vorhalten.