Kamp-Lintfort. Stadtarchivar Dr. Martin Klüners will die Geschichte Kamp-Lintforts zwischen 1933 und 1950 genauer unter die Lupe nehmen und sucht Zeitzeugen.
Am 12. Februar 1946 kehrte nach den langen Jahren der Nazidiktatur mit der ersten Gemeinderatssitzung langsam die Demokratie zurück nach Kamp-Lintfort. Zum Bürgermeister ernannte Oberstleutnant Hardie damals den Sozialdemokraten Robert Schmelzing, der zeitweise im KZ Börgermoor inhaftiert gewesen und damit Opfer der NS-Herrschaft war. Stadtarchivar Dr. Martin Klüners hat dieses Datum zum Anlass genommen, sich näher mit der Stadtgeschichte Kamp-Lintforts zwischen 1933 und 1950 zu beschäftigen und sucht jetzt Zeitzeugen und ihre Geschichten, bevor sie in Vergessenheit geraten. Im Interview erklärt er, wie die Kamp-Lintforterinnen und Kamp-Lintforter dabei helfen können.
Warum ist es für Kamp-Lintfort wichtig, die Zeit zwischen 1933 und 1950 jetzt noch einmal genauer zu beleuchten?
Die Idee zu unserem Projekt war genau besehen eine Reaktion auf die unerwartete Resonanz, die unsere Pressemitteilung zum 75. Jubiläum des Kriegsendes im letzten Mai hervorgerufen hat. Wir erhielten, ohne gezielt dazu aufgerufen zu haben, Berichte von Zeitzeugen, die insbesondere den Einmarsch der Amerikaner zum Inhalt hatten. Manchmal bedarf es eines konkreten Anlasses wie beispielsweise eines solchen Jahrestags, um Erinnerungsschübe auszulösen. Da die Zeitzeugen allmählich aussterben, gilt es, ihre Erinnerungen an diese Zeit für die Nachwelt zu bewahren.
Kommt der Zeitpunkt nicht ein bisschen spät?
Wie das mit Jubiläen nun einmal so ist – sie passieren leider nur alle „Jubeljahre“. Und die beschriebene Resonanz war nicht unbedingt vorherzusehen. Unser jetziger Aufruf allerdings, der mit der ersten Gemeinderatssitzung 1946 freilich keinen ganz so großen „Aufhänger“ wie das Kriegsende besitzt, hat bisher offen gesagt noch nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Es wird sich zeigen, ob es am Ende genügend Texte geben wird, die den Druck einer Broschüre gerechtfertigt erscheinen lassen.
Was gibt der Archivbestand aktuell thematisch her?
Wir haben zahlreiche Akten aus der betreffenden Zeit zu sehr unterschiedlichen Themen. Ziel des aktuellen Projekts ist aber weniger die Quellenforschung als wie gesagt das Sammeln von Zeitzeugenberichten. Aber auch hier gibt es, abgesehen von der zeitlichen, keine thematische Begrenzung. Alles, was in irgendeiner Form an besagte Zeit erinnert, ist willkommen.
Neukirchen-Vluyn hatte 1928 einen der ersten NS-Bürgermeister in Preußen. War Kamp-Lintfort ähnlich schnell?
Der Bürgermeistereiverband der Kamp-Lintforter Vorgängergemeinden Kamp, Hoerstgen und Vierquartieren hatte bereits seit 1920 den mit dem katholischen „Zentrum“ sympathisierenden Hubert Lesaar (1888-1963) zum Bürgermeister. Da die Nazis an ihm offenbar nichts auszusetzen fanden, blieb er auch 1933 im Amt. Inwieweit sein Eintritt in die NSDAP im selben Jahr unter Druck erfolgte, muss dabei offen bleiben. Lesaar war sicher kein glühender „Nazi der ersten Stunde“, aber er war de facto Teil der NS-Herrschaft und wurde nicht von ungefähr im Oktober 1945 aus politischen Gründen entlassen.
Wie sichtbar sind Spuren jüdischen Lebens noch in Kamp-Lintfort?
An die Opfer von Deportation und Ermordung erinnern auch in unserem Gemeindegebiet zahlreiche Stolpersteine. Eine Bürgerinitiative plant gegenwärtig, mit Unterstützung durch die Stadt Kamp-Lintfort, die Aufstellung einer Gedenktafel am Standort der ehemaligen Synagoge in Hoerstgen. Das Projekt korrespondiert im Übrigen sowohl mit dem Jubiläum der Synagogengründung vor 260 Jahren als auch mit dem aktuellen Gedenkprogramm „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.
Welche Rolle spielte die aufstrebende Zeche?
Sehr allgemein formuliert, spielte die Zeche in Kamp-Lintfort bis zu ihrer Schließung immer eine zentrale Rolle. Ohne das Bergwerk, um das herum sich aus wenigen Dörfern im 20. Jahrhundert eine beachtliche Siedlung entwickelt hat, gäbe es Kamp-Lintfort in seiner jetzigen Form nicht. Nicht zu vergessen, dass die Zeche für einen Großteil der Einwohnerschaft und über mehrere Generationen hinweg Arbeitgeber war.
Sie suchen für Ihre Publikation nach Zeitzeugen. Warum sind die für Sie besonders wichtig und was erhoffen Sie sich davon?
Zeitzeugenberichte vermitteln in der Regel einen „persönlicheren“ Zugang zur Geschichte als Zahlen, Statistiken oder fachwissenschaftliche Abhandlungen. Sie sind sozusagen „Geschichte aus erster Hand“. Unser aller Erleben, auch das Erleben von Geschichte, die ja zunächst einmal Gegenwart ist, hat subjektiven Charakter.
Dieser subjektive Aspekt ist ein wichtiger Teil dessen, was man im Anschluss an den Historiker Jörn Rüsen „Geschichtskultur“ nennt und den Umgang einer Gesellschaft mit ihrer Geschichte auch jenseits der wissenschaftlichen Fachdisziplinen meint. Leider werden persönliche Erinnerungen selten verschriftlicht – was konkret bedeutet, dass diese Erinnerungen mit dem Tod eines Augenzeugen im Grunde verloren sind.
Wie können die Kamp-Lintforterinnen und Kamp-Lintforter helfen?
An dieser Stelle möchte ich unseren Aufruf noch einmal wiederholen: Senden Sie uns Ihre verschriftlichten Erinnerungen! Natürlich sind auch Bilder und andere Dokumente willkommen, aber diese können nur dann Eingang in die Broschüre finden, wenn wir eine Geschichte dazu erzählen können. Das Wichtigste sind also die Texte. Und da spielt es wie gesagt keine Rolle, ob diese sich mit alliierten Luftangriffen, dem Einmarsch der Amerikaner, dem Wiederbeginn der Demokratie, mit Alltagsbegebenheiten – oder auch mit den dunklen Seiten der NS-Herrschaft auseinandersetzen. Im Gegenteil ist es sogar unser Wunsch, ein möglichst breites Spektrum abzudecken. Bitte vergessen Sie auch nicht, uns Ihre Einwilligung in die spätere Veröffentlichung Ihrer Texte am besten schon im Anschreiben zu geben. Vielen Dank im Voraus!
Kontakt: martin.klueners@kamp-lintfort.de. Stadtarchiv, Stadt Kamp-Lintfort, Am Rathaus 2, 47475 Kamp-Lintfort.