Kreis Wesel. Der Kreis Wesel lehnt ab, was andernorts geht: die Bewohner von Demenzwohngemeinschaften in ihren Einrichtungen statt im Zentrum zu impfen.

Mehr als 11.000 Coronaschutzimpfungen sind seit Ende vergangenen Jahres an Menschen verabreicht worden, die im Kreis Wesel in Altenpflegeheimen leben oder arbeiten. Die Fahrt zum Impfzentrum in Wesel wurde ihnen dafür nicht zugemutet, Ärzte kamen zu ihnen in die Einrichtungen. Genauso wünscht es sich das Sozialwerk St. Georg für die Bewohner seiner Demenz-Wohngemeinschaften in Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort. Doch der Kreis Wesel sieht das anders.

Das Sozialwerk St. Georg betreibt in Neukirchen-Vluyn und Kamp-Lintfort insgesamt sechs Wohngemeinschaften (WG) mit jeweils acht Bewohnerinnen und Bewohnern. „Die Klienten sind durchweg schwer an Demenz erkrankt, einige sind bettlägerig, alle müssen rund um die Uhr betreut werden“, erklärt Thomas Kaczmarek, der Geschäftsführer des Sozialwerks. Aus seiner Sicht gehören sie, wie Altenheimbewohner, zu den am meisten verwundbaren Gruppen – und damit zur Priorität 1 der zu impfenden Personen. „Diese 48 Menschen nach Wesel zu bringen, um sie dort impfen zu lassen, ist schlicht nicht vorstellbar“, sagt Kaczmarek.

Sogar einen Arzt würde der WG-Betreiber stellen

Dabei habe man alles für eine aufsuchende Impfung vorbereitet, versichert der Geschäftsführer weiter: „Die Einverständniserklärungen der Angehörigen liegen vor. Sogar einen Arzt können wir selber stellen. Wir müssen nur irgendwie das Serum in die Häuser bekommen.“ Nach seinen Worten wollen sich 90 Prozent der WG-Bewohner und 80 Prozent der 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter impfen lassen.

Doch das Kreisgesundheitsamt Wesel hat anders entschieden und beruft sich dabei auf die Corona-Impfverordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Danach „gehören Bewohnerinnen und Bewohner von Demenz-WG nicht der Prioritätengruppe 1 an“, erklärt Sprecherin Eva Richard. Sie müssten deshalb zum Impfzentrum gebracht werden. Nun ist es übrigens nicht so, dass sich Thomas Kaczmarek darüber empört, „ich werfe dem Kreis Wesel nichts vor. Seine Juristen sehen die Situation bloß anders als unsere. Wesel und wir haben einen Konflikt, den wir lösen müssen.“

Die gleichen Vorschriften wie andere stationäre Einrichtungen

Freilich kann Kaczmarek ein gewichtiges Argument anführen. Nicht nur seine Juristen interpretieren die Impfverordnung in seinem Sinne. Auch die Behörden in Soest und Duisburg-Homberg, wo das Sozialwerk weitere Demenz-WG betreibt, haben sich für die aufsuchende Impfung entschieden. Die Heimaufsicht der Stadt Duisburg etwa hat von allen Demenz-WG Informationen über besonders vulnerablen Gruppen und ein Konzept zum Umgang mit diesen Gruppen erhalten und geprüft. „Im Ergebnis müssen von den Wohngemeinschaften die gleichen Vorschriften eingehalten werden, die auch für alle anderen stationären Pflegeeinrichtungen gelten“, erklärt Susanne Stölting, Sprecherin der Stadt Duisburg, auf Anfrage. „Daher wurde gemeinsam mit dem Gesundheitsamt entschieden, die Demenz-WG – analog zu anderen Pflegeeinrichtungen – in die Impf-Priorisierung 1 zu übernehmen.“ Laut Thomas Kaczmarek sind in den drei Homberger WG mit jeweils sieben Klienten bereits Ende Januar die Zweitimpfungen erfolgt.

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Von der Redaktion mit diesen Infor mationen konfrontiert, will der Kreis Wesel seine Position prüfen. Sprecherin Eva Richard teilte nun mit: „Vor dem Hintergrund der Entscheidung in Duisburg hat sich der Krisenstab des Kreises Wesel an das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gewandt, um zu klären, inwieweit eine anderweitige Entscheidung von der Landesebene mitgetragen würde.“

Das Sozialwerk St. Georg e. V. ist ein dezentral aufgestelltes soziales Dienstleistungsunternehmen. Es betreibt rund 100 Standorte in NRW. 4600 Menschen werden unterstützt, St. Georg beschäftigt dazu 2600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Das Ziel sei, Menschen mit Assistenzbedarf ein selbstbestimmtes Leben nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu ermöglichen, heißt es in der Selbstdarstellung. Zu den Klienten gehören Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen, mit Suchtproblemen, Autismus oder sozialen Schwierigkeiten (www.sozialwerk-st-georg.de).