Moers. Das Grundgesetz der Bundesrepublik wurde von einem Rat aus 77 Männern und Frauen ausgearbeitet. Einer von ihnen war Hermann Runge aus Moers.

Im Mai 1949, fast drei Jahre, nachdem die Erstausgabe der NRZ erschienen war, wurde die Bundesrepublik Deutschland gegründet. Ihre Verfassung ist bis heute das Grundgesetz, das vom Parlamentarischen Rat ausgearbeitet wurde. Zu diesem Rat gehörten 77 Männer und Frauen, einer von ihnen war Hermann Runge aus Moers am Niederrhein.

Runge (1902 – 1975) schrieb nicht nur deutsche Geschichte, er hatte auch eine. An den Niederrhein gekommen war er als Kind aus Schlesien mit seiner Mutter und seinem Bruder. Sein Vater Paul Runge war als Bergmann in der Heimat tödlich verunglückt. In Moers fanden die Runges eine neue Heimat in der Bergarbeiter-Siedlung Meerbeck, 1920 trat Hermann in die SPD ein, war schon in jungen Jahren Mitglied im Gemeinderat von Repelen-Baerl und im Kreistag in Moers.

Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 und dem anschließenden Verbot der SPD ging Hermann Runge in den Widerstand gegen das nationalsozialistische Terrorregime. Als Fahrer der Brotfabrik Germania in Duisburg-Hamborn konnte er Kontakte zu anderen Widerständlern erhalten oder neue knüpfen.

Runge war maßgeblich am Aufbau der SPD am linken Niederrhein beteiligt

Die Gruppe verteilte zum Beispiel Flugblätter und versuchte durch Gespräche, vor den Gefahren der Nazi-Diktatur zu warnen. 1935 wurde die Widerstandsgruppe der so genannten Brotfahrer von den Nationalsozialisten entdeckt, Runge wurde ein Jahr später zu neun Jahren Haft verurteilt. Im April 1945 entging er nur knapp der Erschießung durch die Gestapo, weil ihm die Flucht aus dem Gefängnis gelang.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch der Hitler-Diktatur 1945 war Runge maßgeblich am Wiederaufbau der SPD am linken Niederrhein beteiligt. 1946 wurde er Mitglied im neuen nordrhein-westfälischen Landtag, im Parlamentarischen Rat 1948/49 war Runge Sekretär im Ausschuss für Organisation des Bundes.

Der Moerser Historiker Dr. Bernhard Schmidt hat sich intensiv mit Runge beschäftigt und dessen Lebensweg für das Portal Rheinische Geschichte des Landesverbandes Rheinland nachgezeichnet. Schmidt schreibt dort: „Dabei war die Rolle des Widerständlers Hermann Runge sicher weniger herausragend als etwas jene von Erich Ollenhauer, Kurt Schumacher, Carlo Schmid, Rudolf Katz, Georg August Zinn oder Konrad Adenauer, aber er steht dort für das ,anständige Deutschland‘ – für jenen bedeutenden Teil der Arbeiterbewegung, der sich Hitler verweigert hatte.“

Moerser Gesamtschule ist nach Hermann Runge benannt

Hermann Runge war verheiratet mit Wilhelmine Runge (1907 – 1979), geborene Holtappels. Sie setzte sich ebenfalls für den Wiederaufbau der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg in Moers ein, übernahm aber auch wichtige Aufgaben in der Arbeiterwohlfahrt. Der SPD-Stadtverband vergibt seit 2016 in unregelmäßigen Abständen den Wilhelmine-Runge-Preis für ehrenamtliches Engagement, die NRZ ist Teil der Jury.

Die Geschichte der Brotfabrik Germania und die Rolle Hermanns Runges im Widerstand sind auch Teil der Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Die Gedenkstätte ist im Bendlerblock an historischer Stätte entstanden, am Ort des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944. In der Internet-Präsentation findet sich Runge im Verzeichnis der Biografien der Widerständler, ein Foto zeigt ihn vor einem der Wagen der Brotfabrik.

In Moers ist seit 1996 eine Gesamtschule nach Hermann Runge benannt. Seit Dezember 2019 erinnern dort drei Schrifttafeln und ein Foto an eine der markantesten Persönlichkeiten der jüngeren Stadtgeschichte. Schülerin Nele sagte damals zur Einweihung der Installation: „Hermann Runge beeindruckt mich, weil er den Widerstand gegen die Nazis in Moers unter Einsatz seines Lebens mitorganisiert hat.“ Runges durchdringender Blick auf dem Foto - direkt in die Kamera – mag auch heute für viele etwas Mahnendes haben.