Kamp-Lintfort. Corona-Zahlen steigen, die Sorge in Pflegeheimen wächst. Pflegeheimleiter Ralph Simon fragt sich, warum seine Mitarbeiter nicht getestet werden.

Seit dem Lockdown Mitte März hat sich der Alltag in Pflegeheimen enorm verändert. Während über den Umgang mit Corona in Schulen viel geredet wird, bleiben die Pflegeheime in der Diskussion aktuell oft außen vor. Über die Sorge vor steigenden Corona-Zahlen und den Umgang damit haben wir im Interview mit dem Leiter des Kamp-Lintforter Friederike-Fliedner-Hauses, Ralph Simon und dem Pflegedienstleiter Andreas Marzejek gesprochen.

Wird es in diesem Winter Weihnachtsfeiern im Fliedner-Haus geben?

Simon: Ja, wird es. Gerade feiern wir unser letztes Sommerfest. Sonst gibt es immer ein großes Fest, mit Öffentlichkeit, Gästen, mit Angehörigen. Das haben wir jetzt nicht gemacht. Jetzt sind wir dabei, diese Feste etagenweise anzubieten, damit wir uns nicht durchmischen. Dann wird eben drei- oder viermal Sommerfest oder Weihnachten gefeiert.

Im Fliedner-Haus hat es bislang noch keinen Covid-19-Fall gegeben. Ist das Glück oder Zufall?

Marzejek. Ich würde sagen, vielleicht beides. Aber ich würde auch noch einen dritten Punkt dazunehmen: die Disziplin der Mitarbeiter. Wir wissen ja, und da müssen wir uns nichts vormachen, wenn sich nicht alle – auch im Privatbereich – so an die Auflagen halten würden, dann kann das auch schief gehen.

Ralph Simon im Gespräch.
Ralph Simon im Gespräch. © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

Was macht den Bewohnern aktuell am meisten zu schaffen?

Marzejek: Im Moment würde ich sagen aktuell erst mal nichts. Durch die ganzen Lockerungen, durch unsere Ideen und Lösungsmöglichkeiten für Probleme etwa bei den Besuchsregelungen läuft es ganz gut. Aber in der Zeit des Lockdowns, wo wir alle uns einschränken, uns einschnüren mussten, das war schon schwierig. Jetzt müssen wir sehen, wie es im vierten Quartal wird, wenn die Grippewelle dazukommt und schon jetzt zu beobachten ist, dass die Corona-Zahlen wieder steigen.

Und was hat der Belegschaft seit März am meisten zu schaffen gemacht?

Simon: Die Mitarbeiter waren während des Lockdowns oft die einzigen Ansprechpartner für unsere Bewohner. Die sind mehr als über das normale Maß hinaus von unseren Mitarbeitern in Beschlag genommen worden. Die Belastung war enorm. Das bei der eigenen Sorge: Hoffentlich bin nicht ich es, der hier die Krankheit hineinträgt. Denn bei aller Vorsicht ist man davor ja nicht gefeit. Mittlerweile haben wir uns daran und an die nötigen Sicherheitsvorkehrungen gewöhnt.

Würden Sie sich im Umgang mit Corona eine bundesweit einheitliche Regelung für Pflegeheime wünschen?

Simon: Ich würde sogar noch ein Schritt zurückgehen. Es wäre schon toll, wenn wir in NRW eine einheitliche Regelung hätten.

Warum ist das so wichtig?

Simon: Gegenfrage: Was glauben Sie, wie oft wir seit März hier getestet worden sind?

Kein Mal ...?

Simon: Richtig. Diese unklare, ungenaue und zum Teil auch unehrliche Art, die hat uns schwer zu schaffen gemacht. In Rheinhausen haben wir eine Einrichtung, da ist bislang zweimal getestet worden. Das ist willkürlich, von Kreis zu Kreis unterschiedlich – weil es vom Land keine einheitliche Regelung gibt. Hinzu kommt: Wenn es eine neue Verordnung gibt, dann kommt die Freitagmittag und ist bis Samstag umzusetzen. Jetzt ist es ruhig geworden, in den letzten Wochen hat sich wenig verändert. Das einzige, was immer noch unklar ist, ist die Regelung bei Krankenhausentlassungen.

Pflegedienstleiter Andreas Marzejek: „Wir haben drei Notfallpläne in der Schublade.“
Pflegedienstleiter Andreas Marzejek: „Wir haben drei Notfallpläne in der Schublade.“ © FUNKE Foto Services | Ulla Michels

Inwiefern?

Simon: Leute, die von hier ins Krankenhaus kommen, werden getestet und sind negativ. Dann werden sie im Krankenhaus getestet und sind positiv - und sollen trotzdem zu uns zurück. Obwohl sie sich im speziellen Fall im Krankenhaus angesteckt haben …. Dadurch wird ein Risiko erhöht, was künstlich zusätzlich auf die Pflegeheime zukommt.

Marzejek: Wir haben Sorge, sind aber darauf vorbereitet. Wir haben für den Fall der Fälle alles hochgefahren und drei Notfallpläne erarbeitet.

Für wie wichtig halten Sie denn präventive Reihentests in Pflegeheimen?

Simon: Ich persönlich halte es für sehr wichtig. Es geht nicht zu sagen, dass Altenpflegeheime ein hohes Risikopotenzial haben und dann einfach nur zuzusehen. Das ist schizophren. Fußballspieler werden alle drei Tage getestet. Das sind Reihentestungen, die wären auch im Pflegebereich erforderlich. Lehrer. Erzieher – die haben die Möglichkeit. Solange es aber in Einrichtungen, die ein viel höheres Risikopotenzial haben, nicht passiert, muss ich mir die Frage stellen: Warum wird über Altenpflegeeinrichtungen hinweggeschaut? Kostengründe? Kapazitätsgründe?

Was halten Sie von Schnelltests für Besucher?

Marzejek: Ich glaube, da sind im Moment die Maßnahmen, die wir haben, ausreichend.

Simon: Zumal wir ja auch noch mit Kitteln oder mit Visieren arbeiten können. Da fände ich es besser, wenn dieser Schnelltest für das Personal zur Verfügung stehen würde.

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Was wünschen Sie sich von der Politik?

Simon: Ich habe zu keinem Zeitpunkt der Pandemie die Politik beneidet. Das war eine ganz komplett neue Situation. Diese neue Situation hat viele Defizite aufgezeigt. Ich würde mir wünschen, dass die Politik einheitliche Regeln hat. So wie jetzt auch entwickelt aus dem Lockdown regional, nicht global. Ich würde mir wünschen, dass die Beklatschung der Mitarbeiter im Pflege- und Krankenhausbereich nicht damit aufhört, dass man sagt: Ihr werdet jetzt nicht getestet und Geld für die Tariferhöhung haben wir eh nicht. Ich würde mir wünschen, einheitliche fassbare Vorgaben zu machen, die es uns, die Plan A, B und C in der Schublade haben, ermöglichen, die Maßnahmen durchzuziehen. Zumal wir ja auch selber neu waren in der Situation. Wir haben oft erlebt, dass wenn wir irgendwelche Verordnungen bekamen, sei es vom Kreis oder vom Land, dass diese Verordnungen in so einem rüden Amtsdeutsch geschrieben waren, dass ich mich schuldig gefühlt haben. Da habe ich eine Beratungsfunktion vermisst.

Marzejek: Die Prämie oder das Klatschen kann man sich eigentlich an den Hut stecken. Jedes Klatschen, jede Prämie wäre nicht nötig, wenn man den Stellenschlüssel zukünftig so angleicht, dass der Pool an Mitarbeitern nicht nur an Pflegegraden gemessen wird oder daran, ob eine Pandemie wütet. Viele wollen gar nicht mehr Geld, sondern Entlastung oder den ein oder anderen freien Tag mehr. Da, denke ich, da muss was passieren.

Bereiten Ihnen die kommenden kalten Monate Sorgen?

Marzejek: Auf jeden Fall. Deshalb haben wir uns schon vor Wochen gut aufgestellt und vorgesorgt. Mit unserem Schutzmaterial wie Handschuhen oder Desinfektionsmaterial müssten wir bis März, April nächsten Jahres auskommen. Wobei wir aber nicht wissen, ob das im Falle eines Covid-19-Ausbruches so lange reichen würden. Die Preise sind in die Höhe gegangen. Handschuhpakete mit 1000 Stück haben früher 17 Euro gekostet, und liegen jetzt bei 79 Euro. Wir wissen einfach nicht – wie gut kommen wir durch?